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Die Willkommenskultur und ihre sinnlosen Rückzugsgefechte

Von Gerhard Männl (Bürgerjournalist)

Leserforum

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Mir geht die Flüchtlingsdebatte schon auf die Nerven. Ich verschließe mich ihr bereits, weil sie mM von den Falschen falsch geführt wird. Eine die Zukunft mitbestimmende Herausforderung wird ohne jede Vorarbeit frisch und frei aus dem Bauch heraus entschieden.
Mir kommen die Diskussionen wie Streitgespräche über den Bewegungsmangel der Jugend, an der ausschließlich das Handy und der fehlende Turnunterricht schuld sind, vor. Als Opponenten stehen sich Rapidler und Austrianer gegenüber: Nur die Verehrung ihrer Mannschaft vermag die Jugend zur Bewegung an der frischen Luft zu erziehen.
Und genauso wird mM die Flüchtlingsdebatte geführt. Sesam-öffne-dich-Fans und Flüchtlinge-nein-danke-Fans hören Gegenargumenten gar nicht zu; sie überschreien sich lieber.
Grenzen dicht! Bleiberecht für alle! Grenzzaun! Offene Grenzen! Rapid! Austria!
Dabei sind die Rapid- und Austriafans als Experten im gleichen Ausmaß für ein Beheben des fehlenden Bewegungsmangels unserer Jugend kompetent wie die selbsternannten Flüchtlingsexperten für das Eingliedern der Flüchtlinge in unsere westliche Gesellschaft.
Keine Politikerin würde sich entweder vor die Rapidler oder vor die Austrianer stellen. Nicht, weil ihr das zu blöd wäre. Blödes gibt es für die Politik nicht; nur Stimmenmaximierendes oder Stimmenminimierendes. Wegen der zahlenmäßigen Bedeutungslosigkeit der Rapid- und Austriafans würde sich aber auch ein aufwendiges Berwerben dieser Gruppen bei der nächsten Wahl nicht auswirken.
Die Flüchtlingsdebatte aber bewegt die Gesamtbevölkerung. Hier sind Stimmen leicht und billig zu lukrieren.
Durch die Emotionalisierung eines Problems lässt sich außerdem jegliche Sachlichkeit leicht kaschieren. Niemand fragt sich, wie in der heutigen Zeit, nach Snowdens Aufdecken, Regierungen von den Flüchtlingsströmen, die bereits seit Jahren gedroht hatten, überrascht werden konnten. Niemand fragt sich, warum die Botschaften, die Konsulate und alle anderen Auslandsstellen überrascht werden konnten. Warum sich Österreich den Luxus zweier konkurrierender Geheimdienste leistet, wenn sowohl der militärische Nachrichtendienst als auch der zivile Staatsschutz überrascht werden konnten. Und niemand fragt sich, warum sich Assange wegen Vergewaltigungen, die aus einvernehmlichem Geschlechtsverkehr konstruiert worden sind, in eine Botschaft flüchten musste, um sich dort jahrelang zu verstecken.

Wenn man in Wien zur Rushhour mit dem Auto vom Auhof quer durch Wien bis nach Stammersdorf fährt, berechnet das Navi wegen Stauzonen mehrmals einen neuen Kurs. Aber ganz Europa, die ganze Welt waren überrascht, dass Flüchtlinge kommen. Und Merkel war noch überraschter, als noch mehr Flüchtlinge kamen, als sie dazu aufrief, dass noch mehr kommen.
Merkel bekam vernichtende Berichte. Die stärkste Frau der Welt wurde erstmals, auch in nordamerikanischen Medien, massiv kritisiert.

Daher überraschte mich das Agieren der österreichischen Polit-Elite um so mehr: Der Wahlkampf um das höchste Amt wurde konzertiert mit dem Flüchtlingsthema inszeniert. Obwohl die Grünen in 6, die ÖVP in sieben Landesregierungen und in der Bundesregierung sitzen, schicken sie ihre Kandidaten als unabhängige Retter aus der Flüchtlingsnot ins Rennen.
Gegen diese Unverfrorenheit sollten sich die Emotionen richten.

Die überwiegende Mehrheit sieht unsere Probleme in den Ghettoschulen, in den wachsenden Parallelgesellschaften, im Steigen der Arbeitslosigkeit, im Abbau der Sozialleistungen, im Sinken des Lebensstandards. Nur die Wenigsten streiten noch, wem die eigentliche Schuld an den Übergriffen in Köln trifft. Das hilft weder den Opfern, noch dient es der Bewältigung der Krise. Das interessiert doch nur lineardenkende SchwätzerInnen, die wegen ihres realen Unvermögens ihre persönliche Wichtigkeit in einem Wolkenkuckucksheim zu finden hoffen.