Klerus macht Druck auf Regierung. | Rafsanjani warnt vor Sanktionen. |
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Mit Atom-Streit und UN-Sanktionen steht Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad bereits gehörig unter Druck. Nun schlägt ihm aber noch von Teherans Führung selbst ein kalter Wind entgegen. In außergewöhnlich scharfer Form haben Irans Geistliche die Regierung bei ihrer jüngsten Sitzung zur Lage des Landes eindringlich vor den internationalen Sanktionen gewarnt.
"Im gesamten Verlauf der Revolution gab es noch nie so viele Sanktionen und Bedenken gegen uns. Ich möchte Sie alle und alle Behörden aufrufen, diese Sanktionen ernst zu nehmen, denn das ist kein Spiel. Ich glaube auch nicht, dass die Regierung die Sanktionen bremsen kann", erklärte der regimekritische Ayatollah Ali Akbar Hashemi Rafsanjani. Er ist der Vorsitzende des aus 86 Geistlichen bestehenden Expertenrates und somit der zweitwichtigste Mann im Land - nach dem geistlichen Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei.
Wegen der umstrittenen Urananreicherung des Iran hat erst vor wenigen Monaten der UN-Sicherheitsrat ein weiteres Sanktionspaket gegen die Perser beschlossen, das durch zusätzliche Maßnahmen der US-Regierung einerseits und der EU andererseits ergänzt wurde. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) hat Teherans Willen zur Zusammenarbeit letzte Woche erneut bemängelt. Vor allem die Weigerung, Inspektoren ins Land zu lassen, stand im Fokus der Kritik. Bei der Generalversammlung der IAEO vom 20. bis zum 24. September wird der Irankonflikt wieder ein Haupttagesordnungspunkt sein.
Klage über Vorgehen der Bassij-Milizen
Doch Rafsanjani beschränkte sich nicht nur auf Kritik am Umgang Ahmadinejads mit den UN-Sanktionen. Er prangerte auch die jüngsten politischen Entwicklungen im Land an: "Diese Willkür, die ich zurzeit im Land beobachte, ist reines Gift für das Land." Alle Schritte und Maßnahmen müssten auf dem Gesetz aufbauen. Raf sanjani bezieht sich damit offenbar auf die regierungstreuen Kräfte in Zivil, allen voran die paramilitärischen Bassij-Milizen, die bei den Angriffen auf Demonstranten gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl im letzten Jahr eine zentrale Rolle spielten.
Teherans Führung hat zum Schutz gegen in- und ausländische Feinde erzkonservative, schlagkräftige Revolutionsgarden ("Pasdaran"). Sie bilden neben der regulären Armee ("Artesh") die zweite wichtige Stütze der Streitkräfte, die unter der Führung des obersten geistlichen Führers, Ayatollah Ali Khamenei, stehen. Doch seit Mahmoud Ahmadinejad Präsident ist, also seit 2005, haben sie eine einzige Hauptaufgabe: Gegner im Inneren zu "eliminieren". Ahmadinejad verhalf ihnen zu zunehmendem politischen Einfluss. So wurden ehemalige "Pasdaran"-Kommandeure zu Ministern oder Provinzgouverneuren ernannt. Hinzu kommen circa eine Million Kämpfer einer den "Pasdaran" unterstellten Volksmiliz, genannt "Bassij" (Freiwillige).
Oppositioneller stark eingeschüchtert
Sie stehen nicht nur im Kriegsfall zur Verfügung, sondern auch, falls das Mullah-Regime durch Gegner im Inneren - wie bei den Protesten nach der letzten Präsidentschaftswahl im Juni 2009 - in Bedrängnis gerät. In Betrieben, Schulen und bei Straßenkontrollen prüfen sie, ob die strengen Regeln der Islamischen Republik befolgt werden, zum Beispiel ob Frauen die Bekleidungsvorschriften einhalten.
Die Bassijis hatten erst neulich das Haus eines der oppositionellen Präsidentschaftskandidaten der Wahl 2009, Mehdi Karroubi, fünf Nächte hintereinander belagert, Fensterscheiben eingeworfen, das Gebäude beschädigt und dabei viele Menschen verletzt.
Während die Revolutionsgarden eine Beteiligung an diesen Angriffen in einem Statement ausschlossen und sie "willkürlich handelnden Kräften" zuschrieben, behauptet die Opposition, dass die Übergriffe unter direkter Aufsicht der Bassij und der Revolutionsgarden erfolgten.
Der Chef der Expertenversammlung unterstrich, Gesetzestreue sei der einzige Weg, um gegen die "Feinde" vorzugehen. Die Expertenversammlung besteht aus fachkundigen Geistlichen aus dem gesamten Land und kommt alle sechs Monate zusammen. Die Sitzung der Geistlichen hat im Iran ein großes Echo ausgelöst und der oberste geistliche Führer Ali Khamenei muss sich nun mit der Regierungskritik der Mehrheit der Mullahs im Gremium eingehend auseinandersetzen.