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Die winzige Welt der Nanomotoren

Von Alexandra Grass

Wissen

Drei Forschern wurde für Design und Produktion der kleinsten Maschinen der Nobelpreis für Chemie zugesprochen.


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Stockholm/Wien. Ein winziger Lift, künstliche Muskeln und Miniaturautos - die kleinsten Maschinen der Welt sind das Forschungsgebiet der diesjährigen Träger des Nobelpreises für Chemie. Jean-Pierre Sauvage von der Universität Straßburg, Fraser Stoddart von der Northwestern University in Illinois und Bernard Feringa von der niederländischen Universität in Groningen sind von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften für "das Design und die Synthese molekularer Maschinen" ausgezeichnet worden. "Sie haben Moleküle entwickelt, deren Bewegungen man kontrollieren kann und die eine Aufgabe erfüllen, wenn sie Energie erhalten", so das Nobelpreiskomitee. Mit ihren Forschungen seien "sie in eine neue Dimension der Chemie vorgedrungen".

Der erste Nanolift

Schon in den 1950er Jahren hatte der US-Physiker und spätere Nobelpreisträger Richard Feynman Vorhersagen zur Entwicklung der Nanotechnologie getroffen. Er war von der Möglichkeit überzeugt, Maschinen im Nanometerbereich herstellen zu können. Im Rahmen einer Vorlesung hatte er sein Publikum einmal Folgendes wissen lassen: "Haben sie eine schöne Zeit beim Umgestalten ihrer Haushaltsgeräte. In 25 bis 30 Jahren wird sich dann die praktische Verwendung ergeben. Was das sein wird, weiß ich aber nicht."

Was weder er noch Wissenschafter im Publikum damals noch wussten, war, dass parallel dazu die ersten Schritte hin zu molekularen Maschinen bereits getätigt wurden - nämlich von Chemikern. 1983 gelang es dem in Paris geborenen Sauvage schließlich, zwei ringförmige Moleküle wie Kettenglieder aneinanderzufügen. Solche kettenförmigen Verbindungen nennen Chemiker "Catenane". Besonders daran war, dass die Moleküle nicht starr, sondern beweglich verbunden waren. Diese Beweglichkeit ist die Voraussetzung für den Bau einer molekularen Maschine. 1994 gelang es Sauvage sogar, eine ringförmige Verbindung zu schaffen, bei der einer der Ringe bei Erwärmung kontrollierte Umdrehungen um den anderen bewerkstelligte. "Das war der erste Embryo einer nicht-biologischen molekularen Maschine", stellt das Nobelpreiskomitee dazu fest.

Den zweiten Embryo hatte Stoddart in die Welt gesetzt. Zugute war ihm die Tatsache gekommen, dass er als Kind weder Fernseher noch Computer besessen hatte. Anstelle dessen beschäftige er sich mit Puzzles und trainierte damit eine Fähigkeit, die für Chemiker relevant ist: das Erkennen von Formen und mögliche Verlinkungen. Ebenso wurde er von der Vorstellung angezogen, ein molekularer Artist zu werden - jemand, der neue Formen kreiert, die die Welt zuvor nicht gesehen hat.

So hat Stoddart 1991 Moleküle entwickelt und so verbunden, dass sie an eine Achse mit Rad erinnern - sogenannte Rotaxane, wie sie Chemiker nennen. Er verband dafür ein ringförmiges mit einem langgestreckten Molekül und zeigte, dass sich der Ring entlang der Achse bewegen konnte. Seit 1994 hat Stoddarts Forschergruppe verschiedene Rotaxane eingesetzt, um etwa einen Lift zu bauen, der sich bis zum 0,7 Nanometer über seiner Oberfläche erheben kann.

Werkzeugkasten für Forscher

Weitere Ergebnisse waren ein künstlicher Muskel und ein auf Rotaxanen basierter Computerchip mit einem Datenvolumen von 20 Kilobyte. "Die Transistoren in heutigen Computern sind bereits winzig, aber noch immer gigantisch im Vergleich zu molekülbasierten Transistoren. Molekulare Chips könnten die Computertechnologie einmal mehr revolutionieren", formuliert das Nobelpreiskomitee.

1999 hat Feringa schließlich den ersten molekularen Motor entwickelt. Dabei bediente er sich verschiedener Tricks, um ein molekulares Rotorblatt zu schaffen, das sich kontinuierlich in die gleiche Richtung dreht. Mit Hilfe solcher Motoren konnte er bereits einen Glaszylinder rotieren lassen, der 10.000 Mal größer als die Antriebsmaschine selbst ist.

Der erste Motor war nicht besonders schnell, aber Feringas Forschungsgruppe arbeitete an der Optimierung. 2014 erreichte der molekulare Motor eine Geschwindigkeit von 12 Millionen Umdrehungen pro Sekunde. Drei Jahre zuvor hatte die Gruppe schon ein vierrädriges Nanoauto entwickelt. Dabei hält ein Molekular-Chassis vier Motoren zusammen, die als Räder fungieren.

Diese wegweisenden Schritte, die von Sauvage, Stoddart und Feringa vorgelegt wurden, dienen heute Forschern auf der ganzen Welt als Werkzeugkasten für die Entwicklung neuer Kreationen. Das Nobelkomitee vergleicht den Stand der Entwicklung der molekularen Motoren mit jenem des Elektromotors in den 1830er Jahren. Damals hatten Forscher stolz die ersten Räder präsentiert, ohne zu wissen, dass diese die Grundlage für die Entwicklung von Eisenbahnen, Waschmaschinen oder Autos sein könnten. Künftig würden molekulare Maschinen bei der Entwicklung neuer Materialien, Sensoren und Energiespeichersysteme eine Rolle spielen.

Der Preis wird am 10. Dezember, am Todestag des 1896 gestorbenen Preisstifters, verliehen.