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Die wirklichen Fehler der Bawag

Von Erich W. Streissler

Wirtschaft
Auch große Banken gehen mitunter bei gefährlichen Spekulationen baden. Foto: bilderbox

Risikoreiche Auslandsgeschäfte bräuchten großen Expertenstab. | Die nicht angeklagten Kredite an die Refco waren ärgste Verfehlung. | Bankverluste sind immer diskret zu behandeln. | Wien. Das Um und Auf einer hochentwickelten Wirtschaft sind beständige Neuerungen in Produktionsprozessen und Produkten, Marketing und Finanzierung. Wenn viele neue Produkte entwickelt werden, der Häuser- und Wohnungsbau rasch voranschreitet und es großer Infrastrukturinvestitionen bedarf, im 19. Jahrhundert in den Bahnbau, im dritten Viertel des 20. in Straßen- und Kraftwerksbau, so sind Finanzierungsmittel gefragt und der erzielbare Zinsertrag ist relativ sicher und hoch. Entstehen wenige neue Produkte und wirken diese noch dazu, wie Computer und ihre Software, deutlich kostensenkend, ist der Häusermarkt gesättigt und die Welle des Infrastrukturausbaus abgeebbt und ist dann obendrein noch die Sparkapitalbildung, wie heute in Österreich, mit 10 bis 11 Prozent des verfügbaren Einkommens hoch, dann entsteht ein Überschuss an Finanzierungsmitteln. Viel Geldkapital wird gebildet, aber es gibt Kapitalverwertungsprobleme. Dann suchen die Banken verzweifelt nach Veranlagungsmöglichkeiten für die ihnen aufgedrängten Ersparnisse.


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#Viel zu viel Kapital

Schon seit den 1980er Jahren und dann markant seit dem Ende der ersten Hurra-Phase des deutschen Wiederaufbaus lebt Deutschland und leben seine wirtschaftlich erfolgreicheren Nachbarn Dänemark, die Niederlande, die Schweiz und Österreich in chronischem Kapitalüberschuss. Dieser manifestiert sich gegenwärtig in Leistungsbilanzüberschüssen dieser Länder zwischen 2 und 15 Prozent des Sozialprodukts (dabei 5 Prozent für Deutschland) - wozu noch die Überschüsse von Skandinavien sowie von China, Japan und anderer kommen. Sparmittel sind also im Überschuss vorhanden - definitionsgemäß ist ein Leistungsbilanzüberschuss identisch gleich einem Überschuss der Ersparnisse über die inländischen Investitionen. Daher sind die Banken all dieser Länder zu höchst riskanten Auslandsveranlagungen genötigt.

Russlandkrise 1998

Risikofinanzierung auf schwer durchschaubaren fernen Märkten, noch dazu bei enormem Wettbewerbsdruck, wird zum Schicksal - auch der Bawag. Erfolgversprechende Risikofinanzierung heißt: im langfristigen Durchschnitt höhere Erträge, gleichzeitig aber auch hohe Verlustwahrscheinlichkeiten. Was haben denn nicht ungezählte Banken im Russlandgeschäft 1998 verloren, und was waren da nicht die nahezu fatalen Verluste der Größten, der Deutschen Bank und jüngst der beiden größten Schweizer Banken! Natürlich wurden und werden solche Verluste nicht an die große Glocke gehängt, wie jetzt die ehemaligen Bawag-Vorstände mit Recht betonen: denn sonst könnten die Anleger fliehen und Bonitätszweifel die Zinsen, die die Bank zahlen muss, noch weiter in die Höhe treiben und so fast jede Erholung unmöglich machen.

Es stellt der wirtschaftlichen Vernunft der Österreicher kein gutes Zeugnis aus, wenn so viele immer noch glauben, Banken würden unweigerlich fette Geschäfte machen, weil sie fast umsonst Geld erhalten und dieses hochverzinslich, aber sicher ausleihen. Einst mag das gestimmt haben: bei national abgeschotteten Finanzmärkten und in einem erst aufstrebenden Schwellenland. Aber bei dem in der EU seit 1990 verpflichtenden freien Kapitalverkehr zwingt Konkurrenzdruck die Einlagezinsen hinauf, die Ausleihezinsen herunter.

Schlicht analphabetisch ist die Vorstellung, Spekulation sei unmoralisch. Den genannten Kapitalüberschussländern bleibt gesamtwirtschaftlich gesehen gar nichts übrig als Auslandsspekulation. Weil aber die Bawag als Gewerkschaftsbank obendrein versuchte, den vielen Gewerkschaftsmitgliedern besonders niedrig verzinsliche Kredite zu geben und andererseits deren Einlagen hoch zu verzinsen, musste sie besonders riskant spekulieren, in der Hoffnung, durch höhere Risikotragung auch höhere Erträge zu erzielen. Da der Wechselkurs von Kapitalgeberländern über die Zeit unausweichlich aufwertet, von Kapitalnehmerländern aber abwertet, was vor allem den US-Dollar trifft, wird die Veranlagung in Auslandswährungen noch riskanter.

Auslandsspekulationen müssen zum Risikoausgleich breit gestreut auf viele Projekte verteilt durchgeführt werden. Dazu bedarf es eines hochgeschulten, teuren, großen Expertenstabes. Über einen solchen verfügte die erst spät in die Auslandsveranlagung einsteigende Bawag nicht. Konsequenz war die gefährliche Dummheit, die Auslandsspekulation einem einzigen Projektemacher zu übertragen, der noch dazu kein Angestellter der Bank war: eine geschäftliche Dummheit, aber nicht kriminell. Bankgeschäftswidrig war erst der hunderte Millionen schwere Kredit im Herbst 2005 durch Herrn Zwettler an die offensichtlich konkursnahe Refco, wobei das Drängen auf raschen Abschluss des Geschäfts an einem Sonntag (!) jedem Bankmann die Augen hätte öffnen müssen. Über diese offenkundigste Verfehlung der Bawag-Direktion wird heute merkwürdigerweise nicht mehr gesprochen.

Erich W. Streissler ist emeritierter Professor der Volkswirtschaftslehre, Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien.