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Die Wirtschaft steht auf die Türkei

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Kein OECD-Land wächst rasanter. | Nach Krise stehen Investoren Schlange. | OMV, Verbund mit starken Deals. | Die österreichischen Außenhandelsstellen in Ankara und Istanbul sind diese Woche geschlossen: Das türkische Opferfest zum Gedenken an den Propheten Ibrahim beschert Konstantin Bekos und Marco Garcia ein wenig Entspannung in hektischen Zeiten.


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Denn über mangelnden Stress können sich die beiden Handelsdelegierten der Wirtschaftskammer wahrlich nicht beklagen - trotz der ziemlich undiplomatischen jüngsten Aussagen des türkischen Botschafters in Wien werden weder die rot-weiß-roten Exporte noch die Expansionspläne zahlreicher Unternehmen beeinträchtigt, die sich in seiner Heimat niederlassen.

Die Türkei, deren Wirtschaft von rund 20 riesigen, zumeist in Familienbesitz befindlichen Konglomeraten beherrscht wird, ist neuerdings weitaus mehr als eine beliebte Feriendestination: Investoren aus aller Herren Länder - von Russen und Chinesen über die Scheichs aus dem arabischen Raum bis zu Europäern, allen voran die Holländer - strömen in Scharen in die zurzeit zehntgrößte Volkswirtschaft Europas. Es sind nicht mehr bloß die klassischen Branchen wie Textilien, die für sie im Fokus stehen.

Noch wichtiger sind andere Bereiche geworden, vor allem die Autoindustrie. Toyota, Ford und Renault lassen in der Türkei immer mehr Pkw vom Band rollen, auch Fiat und der PSA Peugeot/Citroen-Konzern lassen dort fertigen.

In jüngster Zeit haben sich beispielsweise auch Spaniens zweitgrößte Bank BBVA, der russische Energieriese Lukoil, die französische Alstom und der deutsche Fruchtsafthersteller Eckes-Granini, aber auch die Schweizer Aufzugfirma Schindler, die australische Zementgruppe Blackstone sowie die italienische Enel in der Türkei engagiert.

Auch die Österreicher, die seit Jahren zu den zehn wichtigsten Investoren zählen, wollen den Boom am Bosporus nicht verschlafen und legen ihre einstige Zurückhaltung zusehends ab: Anfang 2001 war die Türkei in eine tiefe Wirtschaftskrise geschlittert, die massive Kapitalabflüsse auslöste. Der Internationale Währungs-fonds musste damals mit einem 16 Milliarden-Dollar-Kredit aushelfen. Nach der Durststrecke ging es ab 2003 steil aufwärts, und das Land schaffte jahrelang ein Wachstum von durchschnittlich sechs Prozent. Seit Beginn des Jahrzehnts hat sich das Bruttoinlandsprodukt mehr als verdreifacht.

Die Auswirkungen der globalen Finanzkrise indes sorgten 2009 wieder für einen Rückschlag: Die Wirtschaft schrumpfte um sechs Prozent, die Arbeitslosenquote schoss auf 15 Prozent empor, die Exporte brachen gar um 30 Prozent ein.

Heute gilt die Türkei allerdings wieder als wirtschaftlicher Musterschüler schlechthin: Im September bescheinigte ihr OECD-Generalsekretär Angel Gurria, das stärkste Wachstums aller OECD-Staaten. Im ersten Quartal wuchs das BIP um stolze 11,7 Prozent, im zweiten um 10,3 Prozent. Damit steht das Land am Bosporus sogar besser da als die boomenden Bric-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China.

Boom hat viele Gründe

Das spektakuläre Wachstum basiert auf mehreren Ursachen: Neben dem starken Konsumanstieg dank niedriger Zinsen spielen der Bau- sowie der Exportboom eine wichtige Rolle. Die Tourismusbranche hat eine tolle Sommersaison hinter sich, der Immobiliensektor blüht, und auch die Istanbuler Börse verzeichnet einen Höhenflug: Im September kletterte der Leitindex ISE-100 auf ein Rekordhoch, seit Jahresbeginn haben türkische Aktien um rund 35 Prozent zugelegt. Die für heuer geplante Steuerreform, die eine Reduktion der öffentlichen Verschuldung vorsah, wurde allerdings verschoben und soll erst nach den nächsten Wahlen in zwei Jahren angegangen werden. Die Staatsschulden liegt aber schon jetzt weit unter den Maastricht-Kriterien.

Ankara, seit Jahren als EU-Interessent in eine Endlos-Warteschleife abgedrängt, möchte in der Region, aber auch international, in eine neue Rolle schlüpfen: Im August hat die Türkei als nicht-ständiges Mitglied den Vorsitz des UNO-Sicherheitsrats übernommen, seit voriger Woche steht ihr Außenminister für sechs Monate dem Ministerkomitee des Europarats vor - bei dem übrigens ein Türke als Präsident der Parlamentarischen Versammlung fungiert.

Das Referendum im September, das die vor 30 Jahren nach dem seinerzeitigen Militärputsch eingeführte Verfassung in 26 Punkten modifizierte, war die nötige Voraussetzung für ein moderneres Image. In wirtschaftlicher Hinsicht ist das Land längst vom rückständigen Looser zum selbstbewussten Winner mutiert. Für heuer werden wieder rund sieben Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen, erwartet, der Löwenanteil - mehr als 80 Prozent - kommt aus europäischen Staaten. Österreichische Firmen investieren zwanzig Mal so viel wie im Jahr 2000 und haben damit die Deutschen überholt.

Österreicher voran

Es gibt etliche Gründe, die Türkei als zukunftsträchtige Alternative zu den jahrelang umworbenen Zielmärkten im CEE-Raum zu sehen: Der längst noch nicht gesättigte Markt ist zum einen mit fast 73 Millionen Einwohnern beinahe so groß wie Deutschland. Das türkische Pro-Kopf-Einkommen hat sich im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt unter 30 Jahren, gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitskräfte sind vorhanden, überdies können sich das immer noch vergleichsweise günstige Lohnniveau und niedrige Steuersätze sehen lassen.

Die Österreicher spielen vor allem in der türkischen Energiewirtschaft eine beachtliche Rolle: Der Verbund hatte Mitte 2007 die Stromfirma Enerjisa zu 50 Prozent übernommen und will mit ihr bis 2015 einen Marktanteil von mindestens 10 Prozent schaffen und damit die Nummer eins werden. Das Joint-Venture mit der mächtigen Sabanci-Holding kaufte kürzlich eine Verteilnetzgesellschaft, die in und um Ankara mehrere hunderttausend Kunden beliefert. Obendrein baut Verbund neun Wasser- und ein Gaskraftwerk sowie einen Windpark. In den kommenden sechs Jahren sollen weitere 400 Millionen Euro investiert werden.

Für die OMV wiederum, die soeben für eine Milliarde Euro die Petrol Ofisi, eines der führenden Mineralölunternehmen, praktisch zur Gänze übernimmt, ist die Türkei neben Österreich und Rumänien das dritte große Standbein. Nunmehr verfügt sie dort über ein landesweites Netz mit 2500 Tankstellen. Den jüngsten Coup bezeichnet OMV-Boss Wolfgang Ruttenstorfer als "Meilenstein". Große Hoffnungen setzt er auch auf das in Bau befindliche Gaskraftwerk in Samsun sowie die Nabucco-Pipeline, weil das Land "ein strategisch wichtiger Brückenkopf in die rohstoffreiche Kaspische Region und den Mittleren Osten ist".

Seit kurzem setzt auch Baumax große Hoffnungen in die Türkei: Die Kette hat im August, ebenfalls in Samsun, einen Mega-Markt eröffnet und ist obendrein schon in Izmir vertreten.

Mittelfristig will Baumax-Boss Martin Essl auf 30 türkische Niederlassungen in allen größeren Städten ausbauen und 600 Millionen Euro Umsatz anpeilen. Die Türkei sei für ihn, schon wegen der Dimension des Absatzmarktes, eine "besondere Herausforderung". Das gilt wohl auch für alle übrigen rot-weiß-roten Investoren (siehe Kasten).

Einer der größten Türkei-Fans ist Wolfgang Leitner, CEO der Grazer Andritz AG. Trotz zahlreicher Proteste von Umweltschützern halten die Steirer an der vereinbarten Lieferung von Turbinen und Generatoren für das Kraftwerk Ilisu fest. Der Staudamm am Tigris wird ihnen in sieben Jahren immerhin 340 Millionen Euro bescheren.

Die Österreicher in der Türkei

Um rund eine Milliarde Euro hat der österreichische Energieriese OMV jüngst den türkischen Tankstellen-Marktführer Petrol Ofisi - mit landesweit 2500 Stationen - praktisch zur Gänze übernommen. Foto: Petrol Ofisi

Neben OMV, Verbund und Baumax sind rund 150 rot-weiß-rote Firmen in der Türkei vor Ort. Der Mayr-Melnhof-Konzern etwa beliefert seit Jahren mit seinen Verpackungen die Tabakindustrie, weiters wurde im Vorjahr der Faltschachtelproduzent Superpack zu 60 Prozent erworben, der jährlich 8000 Tonnen Karton verarbeitet.

Mit Produktionsstätten vertreten sind u.a auch Baumit mit einer Baustofffabrik, die Tiroler Holzgruppe Egger, der Kunststoffrohrproduzent Pipelife und der Stahl- und Hallenbau-Spezialist Zeman. Vertriebsbüros unterhalten u.a. Engel Schwertberg, Hoerbiger Kompressortechnik, Red Bull und Voestalpine Eurostahl. In Istanbul sind weiters die AUA, Borealis, Eglo Leuchten, der Schmuckhersteller Frey-Wille, Kotanyi, Liebherr, der Kaminbauer Schiedel und Swarovski anzutreffen.

Im nahe gelegenen Kocaeli sind die Dämmstofffirma Austrotherm, AVL List, der Beschlägefabrikant Blum und die Schalungsexperten von Doka zu finden. In der Hauptstadt Ankara wiederum sitzen beispielsweise die Strabag und Voith Hydro.

Überdies steuern Multis wie UniCredit, Henkel und Siemens von Wien aus ihre Türkei-Aktivitäten. Versicherer wie die Vienna Insurance Group, Spediteure wie Schenker und Caterer wie Do & Co setzen ebenso auf den Riesenmarkt wie die RHI, die dort Magnesit abbaut, oder der Personaldienstleister Trenkwalder, der in der Türkei seit Jahren bereits mit mehreren einschlägigen Firmen präsent ist.