Eine österreichische Elite-Universität sollte von der Wirtschaft und nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, meint die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel. Im Interview analysiert sie, wo derzeit die Probleme heimischer Unis liegen. Dabei nennt sie neben der finanziellen Situation auch das Problem der Kluft zwischen Arbeitsmarkt und Studium.
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Seit Wochen geistert die Idee einer österreichischen "Elite-Universität" durchs Land. Für Spiel, Dekanin der neuen Fakultät für Psychologie an der Universität Wien, müssten zunächst die Rahmenbedingungen einer solchen Einrichtung geklärt werden. Würden die Mittel dafür aus dem jetzigen Budget der heimischen Hochschulen abgezweigt, wäre das in ihren Augen "Zynismus", denn: "Die Universitäten bekommen wirklich zu wenig Geld, woher kommt jetzt plötzlich Geld?"
"Wirtschaftshilfe" durch prominente Forschende
Spiel teilt bereits vorhandene Überlegungen wonach man "an bestehende Zentren andocken kann, also keine räumlich beisammen liegende, sondern eine virtuelle Elite-Universität schafft". Wie in der Hochbegabtenforschung sei es natürlich ein Problem, exakt zu definieren, wer zur Elite zählt und wer nicht. Aber eines steht für Spiel außer Zweifel: "Wir brauchen ein paar Stars, damit überhaupt Wissenschaft in der Öffentlichkeit existent ist."
Es sei wichtig, dass Leute wie der Physiker Anton Zeilinger oft in den Medien auftreten, nur wäre wünschenswert, dass auch Forscher, die nicht aus der Naturwissenschaft kommen, stärker wahrgenommen würden.
Ihr Wunsch an die "Promis" der heimischen Wissenschaft: "In Österreich beteiligt sich die Wirtschaft viel zu wenig an der Förderung von Forschung und Entwicklung. Warum schaffen es diese berühmten Leute nicht, sich von der Wirtschaft finanzieren zu lassen? Die Wirtschaft kann Geld für eine Elite-Universität aufbringen. In den USA wird ein sehr hoher Prozentsatz der Forschung über die Wirtschaft finanziert. Da brauchen wir eine Kulturänderung. Die Stars wären dafür da, dass sie diese schaffen." Spiel spricht sich gegen die Förderung eines solchen Projekts durch Bund oder Länder aus, bis die Wirtschaft vielleicht einmal einsteigt: "Die Wirtschaft soll das gleich finanzieren, man soll nicht die Absicherung von Land und Bund haben!"
Probleme und Chancen des Universitätsgesetzes
Ob sich das Universitätsgesetz 2002 in der Praxis bewährt, könne man, so Spiel, jetzt noch nicht sagen. Die Tatsache, "dass das Gesetz mit einem äußeren Druck zu einem bestimmten Zeitpunkt kam", eröffne jedoch ihrer Meinung nach Chancen. Etliche Details daran seien jedoch schwierig und problematisch. Sie nennt dafür als markantes Beispiel, dass man die eine Seite der Universität dem anglo-amerikanischen Modell angenähert habe, die andere jedoch nicht. Amerikanische Universitäten könnten ihren Input punkto Qualität und Quantität selbst kontrollieren und definieren.
In Österreich haben die Universitäten unter hoher Heterogenität gelitten. Es gebe Disziplinen, die kaum Studierende haben, und Disziplinen mit unheimlich vielen Studierenden: "Ich kann aber nicht aus Disziplinen, die wenige haben, plötzlich umschichten. Es wird nicht ein Physiker oder Chemiker plötzlich Psychologie oder Publizistik unterrichten können, das sind pragmatisierte Personen. Das Geld, um das auszugleichen, ist nicht vorhanden. Das sind Rahmenbedingungen, die man modifizieren, aber nicht drastisch ändern kann."
Spiel weist auf eine Evaluation in ihrem Fach Psychologie hin: "Wenn wir vergleichbare Bedingungen, und zwar sowohl für die Lehrenden als auch für die Studierenden, wie in einem durchschnittlichen deutschen Institut haben wollen, müssten wir uns von 90 Prozent der Studierenden trennen oder unser Personal mit zehn multiplizieren." Das bedeutet in der Praxis, dass in Österreich viel weniger Zeit zum Forschen bleibt, denn es müssen viel mehr mündliche Prüfungen abgehalten und schriftliche Arbeiten angeschaut werden.
Die Universität stehe, so Spiel, vor drei zentralen internen Herausforderungen: Die Erste: Was soll auf Universitätsebene entschieden werden, was von der Fakultät und was vom einzelnen Forscher oder Lehrenden oder einer kleinen Gruppe. Momentan sei die Tendenz sehr zentral.
Zweitens werde man, auch gesetzlich, ein Qualitätssicherungssystem aufbauen müssen. Das werde sich aus Indikatoren und Evaluationen zusammensetzen. Die Orientierung an jenen Indikatoren, die ökonomisch zu erheben sind, zum Beispiel Zahlen von Drittmittelanwerbung, Anzahl von Publikationen, Impact-Faktoren und so weiter, seien am beliebtesten, aber keineswegs immer eine den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wirklich gerecht werdende, faire Vorgangsweise.
Und drittens würden ständig neue Strukturen und Pläne geschaffen, aber die wahre Aufgabe sei, die damit in Gang gesetzten Prozesse zu definieren und zu beobachten, was davon greift: "Entscheiden ist viel leichter als die Entscheidung umzusetzen." In der neuen Fakultät für Psychologie, die Spiel nun als Dekanin leitet, sieht die Wissenschafterin schon große Vorteile. Es falle die bisherige Zwischenebene zum Rektorat weg. Sie sieht die Möglichkeit, Geldmittel jetzt gezielt im Sinn eines Anreizsystems zu verwenden.
Wie sieht Spiel die Situation in einzelnen Disziplinen wie Publizistik, die von Studierenden überlaufen werden? Müsste eine verantwortungsvolle Bildungspolitik von manchen dieser Studien abraten, da kaum alle Absolventen in dieser Branche einen Job finden können?
Nicht für die Uni, sondern für das Leben lernen
Die Psychologin hält auf den Arbeitsmarkt bezogene Prognosen für "sehr schwierig", denn es gelte " für Publizisten, aber genauso für Soziologen, Bildungswissenschafter oder Psychologen, dass sie ein ganz breites Spektrum an Berufen haben". Trotz vieler angebotener Informationen sei für viele Studierende am Anfang eines fünfjährigen Studiums das Ende oft so weit weg, dass sie sich die Frage nach dem Arbeitsmarkt für ihr Fachgebiete gar nicht stellten.
Spiel nennt ein konkretes Beispiel: "Wir machen ein E-Learning-Projekt und versuchen in dessen Rahmen so etwas wie Schlüsselqualifikationen zu fördern. Ich habe versucht, den Studierenden klarzumachen, dass das lauter Qualifikationen sind, die man am Arbeitsmarkt braucht und mit denen man leichter einen Job bekommen kann."
Als symptomatisch empfand sie dazu die Aussage einer Studentin: "Das glaube ich Ihnen, dass das für mich am Arbeitsmarkt ganz wichtig sein wird, aber jetzt möchte ich nur das Zeugnis haben." Christiane Spiels Resümee: "Solange die Studierenden die Einstellung haben: ,Der Arbeitsmarkt ist so weit weg, mit dem beschäftige ich mich nicht', solange werden wir keine Chance haben, ihnen klarzumachen, wie wichtig die Studienentscheidung für das spätere Leben ist."