Mitunter trafen Profiler grandios ins Schwarze, teils aber total daneben. | Typus von Verbrechen soll den Charakter des Täters widerspiegeln. | Marne/Holstein. 1940 wurde auf einer Fensterbank des Consolidated Edison Building in Manhattan eine selbstgebastelte Rohrbombe gefunden. Ihr war ein Drohbrief beigefügt, der an das Unternehmen Edison gerichtet war. In den folgenden siebzehn Jahren baute der "Mad Bomber", wie der Täter später genannt wurde, immer wieder Bomben, von denen etliche explodierten, und in Bekennerschreiben attackierte er immer wieder die "Gauner von Edison".
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Weil die New Yorker Polizei mit ihren Ermittlungen nicht von der Stelle kam, bat sie 1956 den freudianischen Psychiater James Brussel um Unterstützung. Schon nach kurzer Zeit konnte Brussel mit einer Reihe verblüffender Schlussfolgerungen aufwarten. Der Täter, verkündete er, sei wahrscheinlich slawischer Herkunft und Katholik, untersetzt, ziemlich gebildet, pedantisch und zwanghaft. Er sei vermutlich ein unverheirateter Einzelgänger, der das ödipale Stadium nie überwunden habe und bei einer Mutterfigur lebe. Außerdem sei für ihn ein äußerst konservativer und hyperkorrekter Kleidungsstil typisch - bei seiner Verhaftung werde er sicher einen zweireihigen Anzug mit zugeknöpftem Jackett tragen.
Nur vier Wochen später wurde der Bombenleger gefasst. Er war unverheiratet, ein Ordnungsfanatiker, lebte bei seinen älteren Schwestern und besuchte regelmäßig den Gottesdienst - und als er abgeführt wurde, trug er tatsächlich einen Zweireiher, der zugeknöpft war. Das alles teilte Brussel in seiner Autobiografie mit. Brussel verschwieg freilich, dass er mit etlichen seiner Mutmaßungen auf dem Holzweg gewesen war. So traf es eindeutig nicht zu, dass der Bombenleger eine Narbe im Gesicht hatte, von Beruf Ingenieur war und in erster Linie nachts arbeitete. Außerdem hatte Brussel das Alter und den Bildungsstand des Täters falsch eingeschätzt und in ihm nicht einen Mann slawischer Herkunft, sondern einen gebürtigen Deutschen vermutet. Im Übrigen war es keineswegs Brussels Täterprofil, das schließlich zur Entlarvung des Täters führte, sondern die Durchforstung der Personalakten der Firma Edison.
Der fragwürdige Mr. Brussel gilt als der erste Profiler. Von ihm führt eine direkte Linie zu John Douglas, einem der Schlüsselfiguren des Profiling und das Vorbild für Jack Crawford, den Mentor der FBI-Agentin Clarice Starling aus "Das Schweigen der Lämmer". Douglas und sein FBI-Kollege Robert Ressler haben Ende der 70er Jahre 36 Serienmörder aus den USA befragt. Aus den Antworten glaubten Douglas und Ressler eine Grunderkenntnis ableiten zu können: Im Typus des Verbrechens spiegeln sich Charaktereigenschaften und Lebensgewohnheiten des Verbrechers wider.
Dabei würde sich ein fundamentaler Unterschied zeigen. Auf der einen Seite gibt es Täter, die intelligent und eloquent sind, sich anderen Menschen überlegen fühlen und ihr Alltagsleben effizient organisiert haben. Täter dieser Kategorie würden sich ihre Opfer sorgfältig auswählen, ihre Verbrechen minuziös planen und präzise ausführen. Auf der anderen Seite gibt es Täter, die wenig attraktiv, eigenbrötlerisch und absonderlich sind, deren Selbstwertgefühl schwach entwickelt ist und die ihr Alltagsleben nicht im Griff haben. Täter dieser Kategorie neigten, sich die Opfer willkürlich auszusuchen, ihre Verbrechen schlecht oder gar nicht zu planen und sie stümperhaft auszuführen.
Vor einiger Zeit haben der britische Psychologe Laurence Alison (Universität Liverpool) und sein deutscher Kollege Andreas Mokros 100 Vergewaltigungen in Großbritannien systematisch analysiert und anhand von 28 verschiedenen Variablen klassifiziert - zum Beispiel danach, ob die Täter maskiert waren oder nicht, ob sie ihre Opfer fesselten und knebelten oder nicht, welche Waffen sie benutzten, usw. Dann suchten die Wissenschafter nach Entsprechungen zwischen der Art der Vergewaltigung und bestimmten Eigenschaften des Vergewaltigers wie Alter, Beruf, Bildungsniveau, Familienstand, Vorstrafen oder Drogenabhängigkeit. Den Experten gelang es nicht, aussagekräftige Entsprechungen ausfindig zu machen. Unlängst hat das britische Innenministerium 184 Ermittlungsverfahren untersuchen lassen, an denen 29 Profiler direkt beteiligt waren. Ergebnis: Hin und wieder konnten die Profiler nützliche Hinweise liefern, aber in gerade einmal fünf Fällen ermöglichten ihre Vorhersagen die Identifizierung des Täters.
Der englische Kriminalpsychologe Paul Britton - Vorbild für den Protagonisten der TV-Serie "Für alle Fälle Fitz" - gilt als der bedeutendste Profiler der Gegenwart. Britton hat bei der Aufklärung einige der spektakulärsten Kriminalfälle Großbritanniens eine entscheidende Rolle gespielt, und man kann ihm nicht vorwerfen, mit einer ähnlich simpel gestrickten Psychologie vorzugehen wie viele FBI-Profiler. Trotzdem sind auch ihm Irrtümer, Fehler und Pannen angelastet worden.
Kräftevergeudung möglich
1992 wurde die 23-jährige Rachel Nickell am helllichten Tag in der Parkanlage Wimbledon Common brutal ermordet. Paul Britton legte ein Profil des Täters vor. Schließlich wurde gegen Colin Stagg Anklage erhoben, der in unmittelbarer Nähe des Parks wohnte und der exakt die im Profil postulierten Merkmale aufwies. Britton betonte, dass derjenige, auf den sämtliche aufgelisteten Merkmale zutreffen würden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Täter sei. Doch nach einem DNA-Test musste man die Anklage gegen Stagg fallenlassen, der Serienmörder Robert Napper wurde der Tat beschuldigt, und Britton wäre um ein Haar aus der British Psychological Society ausgeschlossen worden.
"Jedem Erfolg," erklärt der Kriminalpsychologe Graham Davies von der Universität Leicester, "steht ein Ermittlungsdesaster gegenüber, bei dem die Kräfte der Polizei auf der Jagd nach einem mysteriösen Flüchtigen vergeudet werden, der am Ende kaum eine oder keine Ähnlichkeit mit dem wirklichen Täter hat."