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Die Wissenschafts-Akademie schlägt Alarm

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Nachdem Ungarns rechtsnationale Regierung unter Viktor Orbán die von George Soros gegründete Central European University (CEU) aus Ungarn vertrieben hat, soll nun die einheimische Forschung politisch unter Kuratel gestellt werden.


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Budapest. Als Márton Bene geboren wurde, schrieb man das Jahr 1989 und in Ungarn standen alle Zeichen auf Befreiung von den letzten Resten geistiger Bevormundung durch die kommunistische Diktatur.

Für den jungen Politologen, der in wenigen Tagen 30 Jahre alt wird, ist die Welt der Wissenschaft in seinem Land zu einem Unsicherheitsfaktor geworden, weil die Regierung von Viktor Orbán die politische Kontrolle über seinen Arbeitgeber, die 200 Jahre alte Akademie der Wissenschaften übernehmen will. Demnächst dürfte das Parlament ein Gesetz beschließen, das alle Forschungsinstitute dem Dach der Akademie entzieht und dem von der Regierung beaufsichtigten neuen Eötvös-Loránd-Netzwerk unterstellt. Akademie-Präsident László Lovász schlug am Mittwoch auf einer internationalen Pressekonferenz Alarm und prangerte eine Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft an. Lovász blieb aber bei Nachfragen über die dahinter steckenden Motive der Regierung vorsichtig.

Masse statt Klasse: Publikation oder Schmarotzer

"Alle meine 30 Kollegen im Institut sind verunsichert, keiner weiß, was nach der Gesetzesänderung mit ihnen passieren wird", sagte der Jung-Politologe Bene der "Wiener Zeitung". Bene selbst kämpft seit einem Jahr vor Gericht gegen die regierungsnahe Zeitschrift "Figyelö" um seinen guten Ruf. Diese hatte ihn im vergangenen Frühjahr auf eine Liste mit Wissenschaftern gesetzt, die ihrer Meinung nach zu wenig publizieren und damit - so wird suggeriert - als Schmarotzer auf Kosten des Steuerzahlers leben. Dass Bene in seiner noch kurzen Laufbahn immerhin auch international publiziert hat und - was in dieser Szene wichtig ist - schon 85 Mal von Kollegen in deren Arbeiten zitiert wurde, interessierte "Figyelö" nicht. Freilich sind auch Benes Themen genau das, was Orbán und seine Kulturfunktionäre in Ungarn nicht gerne sehen: Er forscht und publiziert hauptsächlich zum Einfluss der Medien und sozialen Netzwerke auf das Wahlverhalten. Falls die Zustände an der Akademie unhaltbar werden, sieht Bene keine Chancen mehr für ihn in der Politologie-Forschung in Ungarn. Er würde dann wohl einen Job im Ausland suchen und, wie er meint, wahrscheinlich als kommerzieller Berater bei einem Konzern landen. Weit weg von der Wissenschaft.

Ungarns Regierung hatte die Akademie vor genau einem Jahr mit den Reformplänen überrumpelt, berichtete Präsident Lovász. Eine E-Mail kam von der Regierung, der Akademie wurden genau 45 Minuten Zeit zur Reaktion gegeben.

Seither gab es viele Proteste, Demonstrationen und auch Diskussionen zwischen dem Innovationsminister László Palkovics und den Betroffenen. Doch geändert hat sich an dem Plan im Wesentlichen nichts. Zwei Drittel des Budgets soll nicht mehr direkt der Akademie zur Verfügung stehen, sondern über das neu Eötvös-Lóránd-Netzwerk verteilt werden. Dieses wird von einem zwölfköpfigen Kuratorium geführt, das je zur Hälfte aus Entsandten der Regierung und aus Akademie-Mitgliedern besteht. Alle Mitglieder des Kuratoriums werden aber letztlich vom Regierungschef ernannt. Der Minister Palkovics hatte die geplanten Veränderungen damit begründet, dass "die Ressourcen leistungsbasiert verteilt" und die technologische Wettbewerbsfähigkeit des Landes gesteigert würden. Zwar findet auch der Akademiechef Lovász, dass die Innovationskapazität der Wissenschaft in Ungarn verbesserungswürdig ist -allerdings sieht er für dieses Ziel keinerlei Konzept in der jetzt geplanten Reform. Vielmehr sieht er die Grundfinanzierung gefährdet - und damit die Zahlung laufender Gehälter für das Basispersonal, laufende Verträge für die Nutzung von Ausrüstungseinrichtungen und laufende internationale Kooperationen.

Vor allem aber, fürchtet Lovász, würde die Fähigkeit der 15 Forschungszentren und 150 Forschungsgruppen bei Synergien verloren gehen, wenn sie sich nicht mehr selbst verwalten dürfen. Etwa bei laufenden Forschungen zu Umweltprojekten und zum Klimawandel ist interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt, ohne dass man diese jedes Mal erst einem Politiker erklären muss. Unabdingbar sei auch die Grundlagenforschung - eben jenes freie Stöbern in den Eingeweiden der Natur, ohne dass bereits ein praktischer Nutzen sichtbar ist, auf dessen Basis man projektbezogene Fördergelder beantragen kann. Dies könne nur eine kontinuierliche, gesicherte Finanzierung ermöglichen.

Angst, dass das Gängeln der Wissenschaft Schule macht

Sollte Ungarn diese Reform durchziehen, sieht Lovász zudem die Gefahr, dass andere EU-Regierungen diesem Beispiel folgen, denn die Versuchung, die Wissenschaft zu kontrollieren sei immer groß.

Viel Unterstützung - außer moralischem Beistand - erhofft sich Lovász aus Brüssel nicht. Vermutlich deswegen maß er am Mittwoch auch einem brieflichen Hilferuf des ungarischen Physikers János Kertész an den deutschen Unions-Spitzenpolitiker Manfred Weber keine große Bedeutung bei. "Dieser Brief wurde nicht im Namen der Akademie geschrieben", sagte Lovász. Von einer Antwort sei bisher nichts bekannt. Lovasz erklärte sich aber für entschlossen, in seinem Land weiter für die Freiheit der Wissenschaft zu kämpfen. Denn anders als die CEU "können wir nicht nach Wien auswandern".