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"Die wollen das Land nur spalten"

Von Sarah Dyduch

Politik

Türkische Gemeinschaft in Wien ist angesichts der Proteste gegen die Regierung gespalten.


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Wien. Der Wind pfeift durch die engen Gassen des Viktor-Adler-Markts in Wien Favoriten. Ahmet steht in seinem Obst- und Gemüsestand, sodass der Regen ihm nichts anhaben kann. "Das ist halt so in der Politik", sagt der in der Türkei geborene Händler. Mehr will er zu den Protesten in seinem Heimatland nicht sagen. "Es wird schon wieder vorübergehen". So wie Ahmet sehen das viele der türkischstämmigen Händler am Markt. Sie wollen nichts sagen.

Anders Kemal Özer, ein Schneider, der seinen Laden in der Nähe von Ahmets Stand hat. Ihn beunruhigen die Demonstrationen: "Das sind kleine Leute, die da in der Türkei auf die Straße gehen, mit kleinem Denken", sagt er wütend. Ministerpräsident Erdogan wisse schon, was für das Land am besten sei. Die Protestierenden würden seine Pläne nur einfach nicht verstehen.

Nur wegen ein paar Bäumen

Ähnlich sieht das auch ein junger Kebab-Verkäufer, der seinen Namen nicht nennen möchte. "Ich finde es falsch, was gerade in der Türkei passiert", erklärt er und schneidet Fleisch vom Spieß. "Die machen Autos kaputt und zerstören Geschäfte, das ist nicht gut". Solidarität empfinde er mit den Demonstranten nicht. "Sie wissen ja gar nicht, was sie wollen. Erst geht es um die Bäume im Gezi- Park, okay. Aber nun ist nicht klar, wofür die Protestierenden überhaupt kämpfen". Gegner der AKP-Regierung würden nun die Gunst der Stunde nutzen. "Die wollen das Land nur spalten". Kopfschüttelnd räumt er die Tische im Lokal ab.

Ganz anders sieht das Bahar Tugrul. Die Studentin steht hinter den Demonstranten, organisiert seit Tagen gemeinsam mit Freunden auch in Wien Proteste gegen die türkische Regierung. "Manche Bekannten haben am Anfang gelacht und gesagt: Ihr macht einen Aufstand nur wegen ein paar Bäumen", erzählt sie im Telefonat mit der "Wiener Zeitung". Es gehe aber eben schon lange nicht mehr um den Bau eines Einkaufszentrums in dem Park unweit des Istanbuler Taksim-Platzes.

"Es geht um die Zukunft der Türkei, um Menschenrechte, um die Medien, die kaum über die Demonstrationen berichten", sagt Nesrin Eyüpoglu. Nach zehn Jahren der Unterdrückung habe es ja so kommen müssen, erklärt die Wienerin. Viele ihrer Freunde in der Türkei würden jetzt gegen die AKP demonstrieren, sagt sie und hofft, dass die Proteste weiter gehen, denn: "Die Regierung soll gestürzt werden".

Worte, die bei Rusen Timur Aksak, Obmann des Türkischen Studentenvereins, wohl wenig Anklang finden würden. "Wir schließen uns den solidarischen Protesten hier in Wien nicht an", erklärt er. Bei den Ereignissen in der Türkei komme es zu einer Intensivierung der ideologischen Gegensätze: "Die unterschiedlichen Lager greifen sich an, es kommt zu einer Fragmentierung der Gesellschaft", erklärt Aksak. Einen friedlichen Kampf für mehr Demokratie unterstütze man aber.

So sieht das auch Teoman Tiftik. Der Wiener mit türkischen Wurzeln ist Online-Redaktions-Chef von "das biber". Für ihn hat die AKP-Regierung "jede Berechtigung verloren, sich als Repräsentant einer demokratischen Mehrheit zu betrachten". Er fügt hinzu: "Die laizistische Türkei wird Erdogan hoffentlich überleben".