Beim "kleinen Mann" herrschen Verdrossenheit und Frust - über die Politik, über Medien und über die da oben.
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Wien. Kurz vor der Wiederholung der verschobenen Bundespräsidenten-Stichwahl am 4. Dezember geht in Österreich der Frust um. Es ist nicht nur das andauernde Hin und Her rund um die Wahl, das viele Wähler frustriert. Es ist vielmehr die Wut des kleinen Mannes auf die Politik, auf etablierte Medien und auf "die da oben", die gerade um sich geht.
"Das Problem ist, dass die Politiker nicht mehr das Ohr bei den Leuten hat. Die Regierung hat doch keine Ahnung, wie es uns geht. Wie wollen sie uns da vertreten? Und die Medien? Naja, Sie berichten ja auch nicht immer alles. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich den ganzen Tag junge, dunkelhäutige Männer auf und ab gehen. Ab und zu stecken sie sich irgendwas zu und wenn die Polizei kommt, sind sie ganz schnell weg. Das finde ich nicht gut. Trotzdem ist der Hofer für mich nicht wählbar. Ein Burschenschafter hat in der Hofburg nichts verloren. Da werden wir zum Gespött! Aber glauben Sie mir, mit der Meinung stehe ich hier mittlerweile alleine da."
Otto Huemann, 65, Pensionist
Herr Huemann trinkt seinen dritten Kaffee in einer kleinen Bäckerei nahe dem Meidlinger Markt in Wien. "Es wird immer schlimmer", pflichtet ihm eine ältere Dame bei, die aber nicht mit Medien spricht, weil man ihnen "nicht trauen kann".
Daten des Forschungsinstituts Sora zufolge denken 52 Prozent der befragten Österreicher, dass es in den vergangenen Jahren mit Österreich bergab gegangen ist. Nun hat sich die Meinungsforschung im vergangenen Jahr nicht immer mit punktgenauen Prognosen und Einschätzungen hervorgetan.
Was das Befinden der Bevölkerung angeht, herrscht - unabhängig von den Daten der Meinungsforscher - Katerstimmung. Steigende Arbeitslosenzahlen, ein maues Wirtschaftswachstum und eine Flüchtlingskrise, die die gesellschaftliche Solidarität auf die Probe stellt, schüren Abstiegsängste. Und diese Ängste beflügeln politische Kräfte, die zwar kein Rezept für diese Probleme haben, aber simple Antworten anbieten.
"Natürlich mache ich mir Sorgen um meine Zukunft. Ich will auch etwas Eigenes haben, eine eigene Wohnung, Arbeit. Aber das ist wirklich schwer. Ich bin seit fünf Monaten arbeitslos. Ich fühle mich schon ein bisschen allein gelassen, irgendwie. Ich interessiere mich nicht wirklich für Politik. Ich kann ja eh nichts machen. Ich will zum Bundesheer, hoffentlich schaffe ich die Aufnahmeprüfung."
Abdel Hamza, 19, jobsuchend
Abdel raucht seine Zigarette zu Ende und geht wieder durch die Eingangstür des Jugend-AMS am Wiener Margaretengürtel. Der Warteraum hier ist fast immer voll. Laut der Statistik Austria haben 31 Prozent der jungen Männer in Wien zwischen 20 und 25 Jahren keine reguläre Arbeit. Sie bewegen sich zwischen Jobsuche, seltenen, schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs und AMS-Schulungen.
"Eine letzte Chance gebe ich der Politik noch bei der kommenden Wahl. Wen ich wähle, das sage ich nicht. Aber in Wahrheit sind beide Kandidaten nicht wählbar. Wenn Politiker wie die Ursula Stenzl sagen, bei überhöhten Managergehältern geht es um Peanuts, dann fühlt man sich doch verarscht. Die Peanuts würde ich auch gern verdienen. Das Problem mit den Medien ist, dass sie wenig neutral sind. Sie sind entweder links oder rechts."
Michael Kiessl, 38, Sanitäter
Seit der Finanzkrise 2008 ist das Vertrauen in die Politik und in öffentliche Institutionen EU-weit massiv gesunken. Auch in Österreich wird der Regierung die Glaubwürdigkeit immer mehr abgesprochen. Nur noch ein Drittel der Befragten halten laut Sora die aktuelle Bundesregierung für sehr oder ziemlich glaubwürdig.
Mit dem Vertrauensverlust in die regierenden Parteien geht, nicht nur in Österreich, eine steigende Sehnsucht nach einem "starken Führer" einher. Das zeigt sich auch am steigenden Zuspruch für rechte Parteien und Populisten wie Donald Trump, Frankreichs Marine Le Pen und der FPÖ in Österreich. Kürzlich machte eine andere Studie Schlagzeilen: 2015 stimmten 39 Prozent der Österreicher der Aussage zu: "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss". 2007 lag die Zustimmung noch bei lediglich zehn Prozent.
Dieser Ruf nach einem "starken Mann" korreliert sehr stark mit dem Bildungsstand und der eigenen Situation. Je weniger gut qualifiziert und je bedrohlicher die eigene Situation wahrgenommen wird, desto eher sehnt man sich nach starker Führung.
"Ich fühle mich von niemandem repräsentiert. Es läuft mittlerweile sehr viel schief in Österreich. Ich suche schon sehr lange ein Zimmermädchen, aber sie kommen alle nur, um sich einen Stempel fürs AMS abzuholen. Sie wollen nicht einmal einen Probetag machen."
Gabriele Riedl, Unternehmerin
Auch die bevorstehende Wahl könnte, nach den Worten des Beinahe-Präsidenten Alexander Van der Bellen, "arschknapp" werden, wie jüngste Sora-Daten zeigen. Eine Umfrage sieht den Freiheitlichen Norbert Hofer mit 51 Prozent vorne. Das ist aber so knapp, dass es wieder andersrum ausgehen könnte. "Die wollen uns doch alle sowieso nur pflanzen, die Politiker", empört sich eine junge Passantin am Margaretengürtel. Und auch sie will weder über Politik noch mit Medien sprechen.