In Städten wie der Millionenmetropole Chongqing zeigt sich, mit welcher Kraft China seinen Aufschwung weiter vorantreibt.
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Chongqing. Das lächelnde Schwein zeigt hier überall Präsenz. Als großes Stofftier in der Eingangshalle, als kleine Figur auf den Tischen von Angestellten. Willkommen in der Welt von zhubajie.com, einer chinesischen Internet-Firma. Hier hängen in der Vorhalle große Fotos von Mitarbeitern, die in die Kamera lächeln oder sich zuprosten. Dazwischen stehen Schlagworte des Konzerns: Traum, Leidenschaft, Ehrlichkeit. Hier reden sich die Mitarbeiter mit Spitznamen an, und jeder wählt dabei einen Charakter aus dem in China äußerst bekannten, jahrhundertealten Roman "Die Reise nach Westen". Eine der Hauptfiguren ist Zhu Bajie, eine Mischung aus Mensch und Schwein (das in China eine viel positivere Symbolik als im Westen hat), und so will hier der Chef genannt werden.
Der CEO gehört mit seinen 40 Jahren zu den Senioren in der Firma, das Durchschnittsalter der Mitarbeiter beträgt 24 Jahre. Eng aneinander gereiht sitzen sie vor ihren Computern. Ihre Aufgabe: Sie vermitteln Ideen. Wenn jemand eine App entwickelt hat, kann er sie über die Online-Plattform zhubajie.com verkaufen. "Seit unserer Gründung 2006 haben wir bereits 13 Millionen Nutzer registriert", berichtet eine Mitarbeiterin Medienvertretern bei einem Rundgang durch die Firma. Umgerechnet 500 Millionen Euro habe der Umsatz im vergangenen Jahr betragen.
Die KP und das junge China
Doch die Vermittlung von Ideen ist gratis, ist nur ein Lockangebot. Geld verdient der Konzern damit, dass er gegen Bezahlung Beratung anbietet, wenn jemand eine eigene Firma gründen will. Was aber noch viel entscheidender ist: zhubajie.com autorisiert die Produkte, schützt das geistige Eigentum und steht Kunden bei Rechtsstreitigkeiten zur Seite. Die Firma ist ein Lizenzierungsbüro, und das geht nur, weil das Unternehmen nicht nur in privaten Händen liegt, sondern auch der Staat daran beteiligt ist.
Die Kommunistische Partei (KP) und das junge, hippe China geben sich hier die Hand. Und auch sonst zeigt sich in Städten wie Chongqing, wo zhubajie.com seinen Firmensitz hat, wie Fortschritt und Staat, Modernisierung und Dirigismus in China eine Liaison eingegangen sind. Vom historischen Stadtkern mit seinen hölzernen Balkonen sind nur noch ein paar Gassen übrig. Der Rest musste Platz machen für die Dutzenden Hochhäuser, die sich mit ihren Glasfassaden gegenseitig überragen.
Das neue Leben
Geplant wurde und wird dieser Sprung ins 21. Jahrhundert von der lokalen Regierungsbehörde, die wiederum Peking unterstellt ist. Das Verwaltungsgebiet von Chongqing umfasst etwa die Fläche Österreichs, es leben dort 29 Millionen Bürger, teils in dicht besiedelten urbanen Regionen, teils in ländlichen Gebieten. Die Planer haben die Stadt schon längst wie einen Kuchen angeschnitten und aufgeteilt.
Das ist im Stadtmuseum zu sehen, das sich mehr mit der Zukunft als mit der Vergangenheit beschäftigt. Die Museumsführerin zeigt auf einen Modellbau, der die am Yangtse-Fluss gelegene Stadt im Kleinformat nachbildet. Hier auf der dicht besiedelten Insel mit den Hochhäusern: das Finanzzenturm. Dort auf der Nachbarinsel: Einkaufszentren, Büros und Hotels. Dazwischen Grünflächen. Hinzu kommen das Bildungsviertel mit seinen 15 Universitäten, Industrieparks, fünf große Häfen, ein riesiger Bahnhof, eine Ausweitung des Flugverkehrs von derzeit jährlich 30 auf 45 Millionen Passagiere.
Manches ist schon fertig, manches wird erst gebaut. Der Leiter der Industriezone Yufu führt eine Gruppe österreichischer Journalisten, denen auf Initiative des Instituts des Chinesischen Volkes für Auswärtige Angelegenheiten die Stadt präsentiert wird, herum. Er zeigt nach links, wo man nichts als Bäume und Sträucher sieht. "Hier werden Computerchips produziert werden", sagt er. Rechts befindet sich schon eine Baugrube. "Hier werden bald Elektroautos hergestellt werden."
Einzelne Produktionshallen stehen schon, ebenso wie Wohnblocks. Gleichgesichtig mit ihren braunen Außenwänden, 30-stöckig ragen sie in den Himmel. Hier gibt es günstige geförderte Wohnungen für die Arbeiter und diejenigen, die wegen der neuen Werkshallen ihre alten Häuser verlassen mussten, gibt es Schulen, Kindergärten und Parks. 80.000 Arbeiter sind derzeit in Yufu beschäftigt - 330.000 sollen es werden. Am Reißbrett wurde für zehntausende Menschen ein neues Leben geplant - und sie werden kommen. "China hat 1,3 Milliarden Einwohner", sagt ein Regierungsbeamter. "Wenn einmal die Infrastruktur vorhanden ist, siedeln sich auch Leute an."
Ein Nebel aus Smog
Auch wenn Chinas Wirtschaftswachstum nicht mehr so hoch ist wie zu den allerstärksten Boomzeiten - in Chongqing, das bei weitem nicht zu den wohlhabendsten Städten des Landes zählt, zeigt sich, mit welcher Wucht die Volksrepublik ihren Aufschwung weiter vorantreibt. Yufu ist nur einer von 36 Industrieparks in der Großregion. Mehr als 2,5 Millionen Autos und 60 Millionen Laptops werden in Chongqing jährlich produziert. Ford, Hyundai, Acer oder Toshiba sind schon da, wollen teilweise ausbauen, andere kommen hinzu wie der österreichische Leiterplattenhersteller AT&S.
Die Industrialisierung und das damit einhergehende Wachstum sind auch ein Programm zur Reduzierung der Armut. Und das dient der KP, die politisch weiterhin niemanden neben sich dulden will, sich zu legitimieren. Hunderte Millionen Menschen wurden bereits in die Mittelschicht gespült - und die Partei will weiter monatlich eine Million Menschen aus der Armut heben, erklärt ein Funktionär.
Doch der Umbau zu einer Industriegesellschaft läuft nicht ohne Konflikte ab. Ausgebeutete Wanderarbeiter revoltieren, die Umweltprobleme sorgen bei vielen Bürgern für Zorn: Flüsse sind vergiftet, und steht man in Chnogqing am Yangtse, sieht man die Häuser auf der anderen Seite des Flusses oft nur verschwommen, weil sie ein Nebel aus Smog einhüllt. Die Partei weiß um den Unmut und duldet deshalb auch so manchen Protest, sagt eine langjährige Kennerin des Landes. Nur dürften diese ja nicht zu stark werden, unbedingt soll verhindert werden, dass aus punktuellen Demonstrationen eine landesweite Protestbewegung entsteht.
Schwierige Phase
Zudem versucht die KP gegenzusteuern. Wanderarbeiter sollen nun besser versorgt werden, eine grünere Politik wurde im letzten Fünf-Jahres-Plan zur Priorität erklärt. Elektroautos werden gefördert, neue Fabriken sollen mit Filteranlagen ausgestattet sein. "Unser Ziel ist es, den CO2-Ausstoß jährlich um fünf Prozent zu verringern", sagt Tang Wen, der Vizedirektor des Auslandsbüros der Regionalregierung von Chongqing.
Vor noch einer weiteren Herausforderung steht das Riesenreich. Die Gehälter in bestimmten Branchen, etwa in der Kleidungs- und Schuhindustrie, sind vielen Konzernen zu teuer geworden. Sie ziehen nun dorthin weiter, wo das Lohnniveau niedriger ist, etwa nach Vietnam. Deshalb hat der Staat nun Interesse an den Entwicklern von Apps, deshalb soll die Universitätsstadt in Chongqing die Konzerne mit Forschern versorgen, entstehen nun Industrieparks für hochtechnologische Produkte. China will nun mehr spezialisierte Industrie anziehen, sein Modell adaptieren.
Ob das gelingt, es dafür schon genügend und richtig ausgebildete Leute gibt, wird sich erst weisen. Selbst hohe Parteifunktionäre räumen ein, dass sich das Land gerade in einer sehr schwierigen Phase befindet. Doch in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten - seit die Reform- und Öffnungspolitik gestartet wurde - hat sich gezeigt, dass sich der Fortschritt planen lässt. Und einher mit dem Dirigismus der KP ging auch eine Anpassungsfähigkeit, wenn sich die Rahmenbedingung für China veränderten.