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Die Würde des Parlaments

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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In der Regel ist es ein sinnloser Abwehrkampf: Was technisch möglich ist, will der Mensch auch anwenden - sofern er sich davon persönliche Vorteile verspricht. Das ist bei der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID genannt, der Fall. Dabei werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Gendefekte untersucht, um gegebenenfalls aussortiert zu werden.

Das ist in einer Gesellschaft, die den Schutz des menschlichen Lebens hochhält, vor allem für religiöse Menschen starker Tobak. Entsprechend heftig prallen hier die Standpunkte von Befürwortern und Gegnern aufeinander. Ein Kompromiss ist dabei unmöglich, bei einer Freigabe können lediglich die Rahmenbedingungen für die PID weiter oder enger gezogen werden.

Der deutsche Bundestag hat nun entschieden, dass PID künftig erlaubt sein soll. Allerdings nur, wenn schwerwiegende Erbkrankheiten oder ein hohes Risiko von Fehl- und Totgeburten vorliegen.

Unabhängig davon, wie die Entscheidung selbst zu beurteilen ist: Was ohne jede Einschränkung Bewunderung abverlangt, ist die Art und Weise, wie das deutsche Parlament sich seiner Verantwortung als Gesetzgeber stellte.

Drei fraktionsübergreifende Anträge, die in monatelangen Vorarbeiten gereift waren, gelangten zur Abstimmung. Das Votum selbst wurde von den Parteien freigegeben, der ansonsten übliche Fraktionszwang aufgehoben. Damit war jeder Abgeordnete in dieser ethisch zentralen Frage einzig und allein seinem persönlichen Gewissen verpflichtet. (Dass die Verfassung dies - in Deutschland wie in Österreich - eigentlich bei jeder Abstimmung als gegeben annimmt, wurde leider längst aus dem öffentlichen Bewusstsein erfolgreich verdrängt.)

In offener parlamentarischer Debatte wurde sodann mit Argumenten und - dem Thema angemessen -viel Emotion für die jeweilige Sache geworben. Wohlgemerkt, ohne dass schon längst vorher festgestanden wäre, wie die Abstimmung ausgeht.

In Österreich ist die PID nach wie vor verboten. Wahrscheinlich ist, dass nun auch hierzulande über eine begrenzte Freigabe diskutiert werden wird. Fragt sich nur wie. Zu befürchten ist: hinter verschlossenen Türen. Und wenn die Sache ins Parlament kommt, wird schon vorher klar sein, wie die Abstimmung ausgeht. Der hiesige Parlamentarismus ist zumeist ein einziges Missverständnis.