Die Karten am Glücksspielmarkt werden neu gemischt - von der Politik, die ihre Verantwortung weit wegschiebt.
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Wien. Rund ums Glücksspiel ist das Hinterzimmer eine oft bemühte Metapher. In diesem Raum zwischen Erdgeschoß und Unterwelt verflüchtigt sich das Glücksspiel angeblich dann, wenn es legal zu wenig verfügbar ist. Die Sucht sucht sich ihren Weg, der Spieler findet sein Vergnügen. Die Prohibition lässt grüßen.
So ähnlich argumentieren die großen Automatenbetreiber, die möglichst viele Automaten in den Vorderzimmern platzieren möchten. Verständlich, denn im Vorderzimmer gewinnen sie. Im Hinterzimmer, ob es existiert oder nicht, gehen sie leer aus. Auch die Politik gewinnt ihr Spielgeld aus den Glücksspielsteuern nur im Vorderzimmer. Deswegen nimmt sie die Warnungen der Lobbyisten-Legionen vor dem Hinterzimmer gerne in ihren Sprachgebrauch auf. Wo sich diese rechtsfreien Räume genau befinden und warum sie sich trotz blinkender und musizierender Automaten den Argusaugen der staatlichen Kontrolleure so hartnäckig entziehen, bleibt eine offene Frage.
Das Gegenteil des Hinterzimmers sind gülden schillernde Casinos mit ihren Automaten, Black- Jack-Runden und Roulettetischen. Sie sorgen dafür, dass die Rede von der Prohibition ins Leere geht, egal wie viele Automaten auf der Straße stehen oder nicht. Vor allem, wenn das Angebot steigt: In diesen Stunden und Tagen werden drei neue Casinos mit hunderten Automaten vergeben. Die Angebote dafür sind bereits abgegeben (siehe oben). Rien ne va plus. Wer den Jackpot knackt, das entscheidet aber nicht Fortuna, sondern die Politik.
Guter Beirat ist teuer - aber nicht entscheidend
Der Ort der Entscheidung? Das Hinterzimmer. Dieses ist im Unterschied zu nebulösen Metaphern klar zu verorten: im Finanzministerium der Republik Österreich. Das Vorderzimmer wäre politisch gesehen der Raum der Transparenz und klaren, politischen Verantwortung. Doch wenn es ums Glücksspiel geht, schweigt die Politik lieber und schiebt die Verantwortung ganz weit von sich weg - ins Hinterzimmer eben. Dort sitzen Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP), die für Glücksspiel zuständige Finanzstaatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ) und ein Glückspielbeirat unter dem langjährigen Steuersektionschef Wolfgang Nolz. Fragt man beim Chef des Ministeriums nach der Verantwortung, heißt es: "Im Finanzministerium ist Staatssekretärin Sonja Steßl für das Thema Glücksspiel verantwortlich."
Fragt man im Büro von Sonja Steßl nach, heißt es: "Ein hoher, dem Bundesminister weisungsgebundener Beamter, nämlich der Generalsekretär, unterschreibt den Bescheid über die Erteilung der Konzessionen." Voraussetzung dafür sei es natürlich, dass der Bundesminister den Bescheid freigebe. Zusatz: Der Minister könne bei seiner Entscheidung natürlich den Empfehlungen des Glücksspielbeirates folgen. Bei früheren Anfragen hieß es aus dem Büro Steßl sogar, die Entscheidung falle "nicht auf politischer Ebene", sondern laufe streng nach dem Glücksspielgesetz, "das überhaupt keinen Ermessensspielraum" zulasse.
Also entscheidet am Ende der Glücksspielbeirat anstatt der Politik? Wenn das stimmt, müssten die staatsnahen Casinos Austria theoretisch alle drei Lizenzen bekommen. Denn darauf soll sich der Beirat laut "Presse" längst geeinigt haben - was eine sehr große Überraschung wäre. Denn der Automatenriese Novomatic betreibt bereits zwei Automatencasinos in Wien, die er ohne offizielle Bundeslizenz zusperren müsste. Außerdem beharrt der niederösterreichische Landeshauptmann, seines Zeichens mächtigster ÖVP-Politiker und Spindelegger-Macher, Erwin Pröll, auf einem Novomatic-Casino in Bruck/Leitha. Das soll ihm lieber sein als ein Casino-Casino in Krems. Novomatic ist immerhin Leitbetrieb in Prölls Landen und zahlungskräftiger Sponsor von Kunst und Kultur.
Nach der Story über den angeblichen Lizenz-Jackpot der Casinos Austria beeilte sich Spindeleggers Ministerium zu betonen: "Der beratende Beirat erarbeitet einen Vorschlag. Die Entscheidung obliegt der Ressortleitung." Die Empfehlung des Glücksspielbeirates sei ergo nicht bindend. Also doch wieder Spindelegger? Weit gefehlt. Auf Nachfrage, ob nun er für eine Abweichung vom Glücksspielbeirat verantwortlich wäre, heißt es wiederum: "Die Staatssekretärin bereitet die Entscheidung auf und sie ist es auch, die sich mit der Empfehlung des Glücksspielbeirats auseinandersetzt." Alles klar?
Niemand will am Ende das Bummerl
Natürlich hat auch der mächtige SPÖ-Bürgermeister in Wien, Michael Häupl, seine Meinung. Aber im Unterschied zu Pröll hält er sein politisches Hinterzimmer blickdicht.
Was bleibt: Für das Glücksspiel gibt es eine eigene Staatssekretärin, die einem Minister untersteht, der einer Regierung untersteht; mächtige Landeshauptleute mit Vorlieben, aber niemand will am Schluss verantwortlich sein, niemand will das Bummerl.
Warum? Weil Glücksspiel kein Markt wie jeder andere ist? Bester Beweis dafür sind die Ausmaße der Sponsoring- und Imagekampagnen der Glücksspielkonzerne, die das vergessen machen sollen. Am Glücksspielmarkt kauft der Kunde keine Konsumgüter wie Semmeln, tätigt keine langfristigen Anschaffungen wie Autos. Er kauft Ablenkung und Vergnügen.
Und er kann einen hohen Preis dafür zahlen, weil Glücksspiel süchtig oder pleite machen kann. Auch Alkohol und Zigaretten machen süchtig oder pleite. Doch im Unterschied zum Glücksspiel dauert es doch länger, sein Monatsgehalt am Boden einer Vodkaflasche zu versenken als im Bauch eines Automaten. Am Alko-Markt bringen die Massen die Umsätze, die dem flüssigen Volkssport huldigen. Beim Glücksspiel stellen die Süchtigen einen höheren prozentuellen Anteil am Umsatz (Gewinn). Die Liste ließe sich fortsetzen. Deswegen ist der Glücksspielmarkt stärker reguliert als andere Märkte und deswegen hat die Politik dort noch immer so viel zu regeln und mitzureden.
Aber sie sagt nichts dazu. Warum? Weil sie Angst vor der eigenen Entscheidungsmacht hat? Weil sie Steuern will, aber nicht für soziale Probleme verantwortlich sein? Weil sie sich schämt, auf so direkte Weise Steuern zu lukrieren? Weil sie einen Konzern, der bei Lizenzen leer ausgeht, nicht verärgern möchte?
Wir werden es nie erfahren, denn übers Glücksspiel spricht man nicht offen - höchstens über jenes im "Hinterzimmer".