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"Die Wüste Gobi fehlt mir noch"

Von Christina und Martin Höfferer

Wissen

Der Naturfilmer über Steuern auf saubere Luft und fliegende Frösche.


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Er ist wahrscheinlich der bekannteste Naturfilmer der Fernsehgeschichte. Sir David Attenborough hat die Zuschauer in den entlegensten Ecken der Welt mit Flora und Fauna bekannt gemacht. Schließlich wurden sogar einige entdeckte Arten nach ihm benannt, wie die fleischfressende Pflanze Nepenthes attenboroughii und der Attenborough-Langschnabeligel (Zaglossus attenboroughi). Noch nicht genug der Ehre erhielt er am Wochenende den Qualitäts-TV-Preis Prix Europa für sein Lebenswerk. Am Rande der Veranstaltung hatte der 87-Jährige Zeit für ein Gespräch.

"Wiener Zeitung": Seit sechzig Jahren arbeiten Sie schon für die BBC. Wie hat sich die Fernsehwelt für Sie verändert?

David Attenborough: Ich kam im Jahr 1952 zum Fernsehen. Damals gab es in ganz Europa nur die BBC mit zwei Studios in London, aus denen alles live gesendet wurde. Ich war einer von sehr wenigen Produzenten. Wir machten alles, Politik, Diskussionssendungen, Quiz und Strick-Programme, Gartensendungen und Fernsehspiele.

Wie kamen Sie dazu, Naturfilme zu drehen?

Meine erste Naturgeschichte-Sendung machte ich 1954, als ich die BBC überredete, mich an einer Expedition des Londoner Zoos von London nach Westafrika teilnehmen zu lassen. Ich habe Biologie studiert, hätte mir jedoch nie gedacht, dass Biologie so wichtig werden würde, wie es heute ist. Niemand hätte gedacht, dass der Homo Sapiens die ganze Welt beeinflussen könnte, und dass er alle Meere vergiften würde.

Wird die BBC heute nicht stark von Marketing-Überlegungen motiviert?

Ja. Leider ist das so, aber es muss auch so sein. Die Gebühren, von denen die BBC finanziert wird, decken nur einen Teil der Kosten ab. Wir leben in einer kommerziellen Welt und wir müssen Menschen beschäftigen, die entweder für uns arbeiten, oder für eine andere Organisation für dasselbe Geld.

Wie kann die BBC aus der Situation der finanziellen Bedrängnis herausfinden?

Ich kenne die BBC seit sechzig Jahren und habe es bis zum Programmdirektor gebracht. Jedes Jahr hieß es: "Meine Vorgänger hatten es viel leichter, sie verstanden gar nicht, welchen Katastrophen ich begegnen muss!" - Die BBC hat eine schwierige Zeit, aber das Pendel wird zurückschwingen. Die BBC wird von den Briten respektiert und gemocht.

Mögen Sie Tiere lieber als Menschen?

Die Menschen sind abhängig von der Natur. Ohne die Natur könnten wir nicht essen, unsere Atemluft hängt von den Pflanzen ab. Wenn wir die Natur beschädigen, dann schaden wir uns selbst. Früher wussten die Menschen das, sie lebten von der Landwirtschaft. Aber heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Sie sind nicht mehr in Kontakt mit der Natur.

Manche dieser Hälfte der Weltbevölkerung sehen den ganzen Tag lang kein Tier, außer vielleicht eine Taube.

Das ist schrecklich! Wie können wir erwarten, dass Geld in die natürliche Entwicklung investiert wird, wenn der Nutzen sehr komplex ist. Der Nutzen ist die Gesundheit der Natur, der Atmosphäre und der Meere. Die Regierungen sollten Steuern für sauberere Luft verlangen. Wie aber werden sie die Menschen dazu bringen, das zu akzeptieren?

Wie beeinflusst die Entwicklung der Digitalisierung Ihre Arbeit?

Die offensichtlichste Auswirkung der Digitalisierung ist die Vielfalt an Sendestationen. Als ich zur BBC kam, hatten wir ein Monopol. Du bekamst sofort eine ganze Nation als Publikum. Heute gibt es 150 Sendestationen. Die Möglichkeit, alle Menschen durch ein Thema zu vereinen, besteht nicht mehr. Wir müssen also immer besser werden, damit eine Mehrheit des Publikums es als wesentlich empfindet, unsere Programme auch zu hören und zu sehen. Dabei hat uns die Digitalisierung nicht geholfen.

Wie bleiben Sie selbst in Kontakt mit der Natur?

Ich habe großes Glück. Im Jänner werde ich im Regenwald in Borneo sein. Ich gehe nicht mehr so gut wie früher und verbringe nicht mehr so viel Zeit am Land wie früher. Aber ich habe das Glück, dass ich immer an die Natur denke, weil das ja mein Job ist.

Wie haben Sie ihr Leben zwischen London und Reisen ausbalanciert?

Ich war immer drei Monate im Jahr unterwegs, den Rest verbrachte ich im Studio. Das war ideal für mich. Ich habe nichts gegen Städte. Ich mag Menschen. Ich mag Museen, ich mag Universitäten und Bibliotheken. Ich bin nicht der Typ, der an einem See sitzt und über die Ewigkeit nachdenkt. Ich glaube auch nicht, dass ich meine Zeit damit verbringen sollte, Schlangen zu fangen. Ich glaube, dass die Einheit mit der Natur etwas Intellektuelles ist.

Was denken Sie über den Prix Europa?

Ich denke, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine enorme Bedeutung hat und dass wir als öffentliche Sender zusammenhalten müssen. Wir müssen ähnliche Ideale haben und einander helfen. Eine Union, wo du nicht über Kommerz und Stars redest, sondern über Prinzipien sprichst, ist sehr, sehr wichtig. Das ist der Grund, warum die meisten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten - weil sie an die Unabhängigkeit ihrer Stimme glauben. Wir sind ständig unter Beschuss. Es gibt keinen Politiker, der nicht entzückt wäre, wenn er dem Rundfunk diktieren könnte, was er sagt. Egal, welche Regierung an der Macht ist, sei sie nun rechts oder links, jedenfalls will sie dir vorgeben, was du sagen sollst und dich davon abhalten, gewisse Dinge zu sagen. Derzeit arbeite ich gerade an einer Serie, die nächstes Jahr umgesetzt werden wird, die in 3D herauskommt. Ich schlug vor, dass wir eine Serie über die Entwicklung des Fliegens machen. Dann schrieb ich ein etwa 30 Seiten langes Drehbuch für jede Folge. Das sind sehr logische, wissenschaftliche Erklärungen, also kann ich sehr präzise sein, welche Tiere ich brauche und wie es aufgebaut ist.

Ist es für Sie als sehr prominente Person in dieser Branche leichter als für einen eher unbekannten Filmemacher, das Budget für einen Film zu bekommen?

Einen guten naturhistorischen Film zu machen ist heute sehr schwierig. Er soll ja besser sein als der vom letzten Jahr, das ist harte Arbeit, denn dafür braucht man sehr viele ungewöhnliche Sequenzen. Das kostet sehr viel Geld. Mein Glück ist, dass die Art von Programmen, die ich mache, für die Menschen in allen Sprachen leicht zugänglich sind. Auf diese Weise bekommst du Geld aus ganz Europa und aus Amerika. Das ist leichter als im Spielfilm.

Sie sind angeblich der Mensch, der am meisten gereist ist. Gibt es ein Land oder eine Landschaft, die Sie noch nicht gesehen haben?

Viele! Ich würde gerne in die Wüste Gobi reisen. Das schwierige an der Wüste Gobi ist, dass du tagelang durch sie reisen kannst, ohne einem Lebewesen zu begegnen. Das ist nichts für einen Natur-Geschichte-Filmemacher.

Ihre nächste große Reise führt Sie also nach Borneo?

Ja, für die 3D Serie reise ich nach Borneo, weil es dort Eidechsen, Säugetiere und sogar Schlangen gibt, die durch die Luft gleiten. Ich übernehme den einfachen Part, ich komme mitten im tropischen Regenwald in das Bild und sage: "Das ist die Heimat des ungewöhnlichsten Frosches, den Sie je gesehen haben. Er hat Fallschirme an den Füßen." Dann gehe ich und lasse den Kameramann zurück, der vielleicht noch ein Monat dort sitzen bleibt, bis er den Frosch vor die Linse bekommt.