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Die Wut und ihre Bürger

Von Franz Schandl

Gastkommentare

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Das darf doch nicht wahr sein", ist des Wutbürgers Schrei und dokumentiert doch nichts anderes als sein breites Unverständnis. Ansonsten könnte er nicht dauernd erschüttert und überrascht sein. Permanente Aufregung ist Kennzeichen der Ignoranz. Wut ist dumpf, aber entschieden. Sie weiß alles, wovon sie nichts versteht. Ihre Empörung ist ihr heilig. Unter ihr macht sie es nicht. Und über sie kann sie sich nicht erheben. Wut ist nur möglich, wo der Gedanke verbannt ist, der Reflex über die Reflexion obsiegt.

Der eigene Affekt erscheint nicht verdächtig, er ist vielmehr dieses Bürgers feste Burg. Jener setzt sich in Gang, ohne von sich wissen, geschweige denn sich erforschen zu wollen. Er tritt auf als Lösung, nicht als Problem. Dass gerade das Sich das eigene Rätsel ist wie auch dessen Schlüssel wäre, will seinem Träger nicht kommen. "Ich bin, wie ich bin", sagt der Wutbürger, "und ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist." Leider.

Man beweist mit solcher Ansage, dass man ständig bereit ist, nicht nur auf die herrschenden Werte hereinzufallen, sondern geradezu fanatisch auf sie zu setzen. Wutbürger kündigen der Politik ihre Gefolgschaft, umso frenetischer verherrlichen sie deren Ideologie.

"Demokratie jetzt!" liegt genau auf dieser Linie. Der ledige Schein hat endlich bare Münze zu werden. An der Demokratie kann man sich nicht satt genug fressen. Niemand darf dagegen sein können. Der langlebige Mythos, dass die bisherige Demokratie akkurat keine echte gewesen ist und die echte erst kommen wird, ist so alt wie die Demokratie selbst. Kaum eine Bewegung, die jene Erzählung nicht artig apportierte.

Diskrepanz zwischen

Idealität und Realität

Das Sein wird ausschließlich an seinem von ihm selbst gesetzten Sollen bemessen. Man will die Widersprüche nicht als immanente erkennen, sondern sitzt ihnen förmlich auf. Die Diskrepanz zwischen Idealität und Realität wird nicht als der kapitalistischen Gesellschaft konstitutiv angenommen, sondern als auf ihrem Boden behebbare Störung. Die Diskrepanz erscheint nicht als notwendige Täuschung, sondern als vorsätzlicher Betrug. Stets werden untragbare Zustände als abstellbare Missstände aufgefasst, unentwegt reproduziert und mobilisiert der gesunde Menschenverstand bürgerliche Tugenden und marktkonforme Muster gegen die Wirklichkeit. Seine Replik ist ein Duplikat der Konvention.

Theodor W. Adorno schreibt: "Man muss nur einmal Regungen beobachten, in denen das Individuum energisch gegen die Umwelt sich geltend macht, wie etwa die Wut. Der Wütende erscheint stets als der Bandenführer seiner selbst, der seinem Unbewussten den Befehl erteilt, dreinzuschlagen, und aus dessen Augen die Genugtuung leuchtet, für die vielen zu sprechen, die er selber ist. Je mehr einer die Sache seiner Aggression auf sich selbst gestellt hat, um so vollkommener repräsentiert er das unterdrückende Prinzip der Gesellschaft. In diesem Sinn mehr vielleicht als in jedem anderen gilt der Satz, das Individuellste sei das Allgemeinste." (Minima Moralia)

Wutbürger sind an ihrer Terminologie leicht erkennbar

Die Begrifflichkeit der Wutbürgerei drückt die ganze Befangenheit dieser Empörung aus. An ihrer Terminologie sind sie leicht zu erkennen. Was sich heute als Widerstand formiert, ist in den meisten Fällen schwer kontaminiert. Das ist jetzt gar nicht als Vorwurf gemeint, sondern lediglich als Feststellung, der nicht wenig Traurigkeit anhaftet. Das soll man nicht leugnen und schon gar nicht einem Bewegungsfetischismus huldigen, der puren Aktivismus zum positiven Kriterium erhebt.

Wut ist letztlich ein Affekt, bei dem das gesellschaftliche Objekt durch das gesellschaftliche Subjekt bestätigt wird. In der Wut kommt der Bürger nackt zu sich. "Wir sind wütend", schreit der Mob. Da erwacht die Herde und wird zur Horde. Koma versetzt sich in Amok. Die Beschränktheit der Beschränkten macht sich in der Wut Luft, sie ist der adäquate Ausdruck konformierten Widerstands. Verfestigung der Wut wäre demnach der Hass, eine blindwütige Feindschaft, die nach Opfern schreit. Ist Wut noch eine korrigierbare Verunglückung, so Hass bereits ein schwer behebbares Unglück.

Von seinem Erfinder, dem "Spiegel"-Autor Dirk Kurbjuweit, noch ein in verächtlicher Weise sowohl gegen Anhänger Thilo Sarrazins als auch gegen Stuttgarter Bahnhofsdemonstranten gebrauchtes Wortgebilde, hat sich der Wutbürger inzwischen verselbständigt, ja ist gar vor einiger Zeit zum Wort (nicht Unwort!) des Jahres aufgestiegen, positiver Bezugspunkt geworden, wobei gelegentlich das "W" durch ein "M" ersetzt worden ist.

Es ist lediglich ein Aufmucken. Wut und Empörung, Ungehorsam und Aufbegehren stellen nichts anderes dar als das renitente Vokabular von Untertanen, die genau das bleiben möchten. Nichts wird in diesen Bittgesuchen in Frage gestellt, vielmehr gipfelt alles in der altbekannten Forderung, die Politik soll es doch bitteschön richten. Guter Bürger will man sein in einer ordentlichen Ordnung.

Der Bürger als Leitbild einer Opposition, die keine ist

Findet zum Begriff Wut eine – wenn auch seltsame – Debatte statt, so bleibt die Kategorie Bürger völlig unproblematisiert. Dass gerade die Spezies des Bürgers die anzurufende Instanz ist, wird vorausgesetzt. Wer sonst? Menschen? Aber geh! Alles, was sich regt und aufregt, muss als Bürger verkleidet daherkommen und in die Zivilgesellschaft und ihre Werte verliebt sein.

Der Bürger, der hier Besitz- und Staatsbürger vereinigt, ist Leitbild einer Opposition, die keine ist. Der Bürger soll nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr verwirklicht werden. Er ist Referenz-, nicht Abstoßungspunkt. Sein Universum ist nicht überschreitbar. Indes stünde gerade dieses zur Disposition.

Franz Schandl ist Historiker und Publizist in Wien sowie Redakteur der Streifzüge.