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Mit dem 28. Oktober 1999 ist die XX. Gesetzgebungsperiode (GP) des Nationalrates nach einer Dauer von drei Jahren, 10 Monaten und 13 Tagen zu Ende gegangen. Hier eine abschließende Bilanz der
Tätigkeit des Nationalrates in diesem Zeitraum, wie sie sich in der Parlamentsstatistik widerspiegelt. Im vorliegenden I. Teil werden die Sitzungsaktivität und die Gesetzgebungstätigkeit des
Nationalrates behandelt; der II. Teil, der die Tätigkeit des Nationalrates in den Bereichen der Kontrolle und der Mitwirkung an der Vollziehung analysieren wird, wird in der nächsten Ausgabe
erscheinen.
Dauer der GP
War die vorangegangene XIX. GP durch ihre außergewöhnliche Kürze bemerkenswert, so ist die XX. GP in ihrer Dauer zur langjährig herausgebildeten parlamentarischen Normalität zurückgekehrt. Von den
16 Gesetzgebungsperioden seit 1945 haben nur zwei, nämlich die XII. und eben die XIX., kürzer als zwei Jahre gedauert; lediglich drei, die XI., XIII. und XVIII., haben die verfassungsrechtlich
normierte vierjährige Dauer voll ausgeschöpft.
11 der 16 Gesetzgebungsperioden seit 1945 haben jeweils länger als drei, aber kürzer als vier Jahre gedauert, weil sie durch einen Selbstauflösungsbeschluss des Nationalrates einige Monate vor ihrem
verfassungsgesetzlich vorgesehenen Auslaufen beendet worden sind. Die Gründe für diese jeweils geringfügig vorzeitige Beendigung der GP waren in der Regel politisch-taktischer Natur und im Wunsch der
jeweiligen Mehrheitsfraktion(en) nach Festlegung eines günstig oder zweckmäßig erscheinenden Wahltermins zu suchen.
Im übrigen sind alle 13 vorzeitig beendeten Gesetzgebungsperioden seit 1945 durch Selbstauflösungsbeschluss des Nationalrates gemäß Art. 29 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes zu Ende gegangen. Der
Bundespräsident hat von seinem Recht, gemäß Art. 29 Abs. 1 auf Vorschlag der Bundesregierung den Nationalrat aufzulösen, seit 1945 keinen Gebrauch gemacht, was zwei Gründe haben dürfte: Zum einen
besteht im Fall des Selbstauflösungsbeschlusses der Nationalrat bis zum Zusammentritt des neugewählten Nationalrates fort und kann daher weiter gesetzgeberisch tätig werden, während im Falle der
Auflösung durch den Bundespräsidenten die GP sofort zu Ende geht und eine "nationalratslose" Zeit beginnt. Zum anderen wäre die Anwendung des durch die Bundes-Verfassungs-Novelle 1929 geschaffenen
Instruments der Auflösung des Nationalrates durch den Bundespräsidenten geeignet, den Anschein einer Konfrontation zwischen Exekutive und Legislative zu erwecken, die im Kontext des politischen
Systems der parlamentarischen Demokratie jedoch grundsätzlich systemwidrig erschiene und ein Krisensymptom wäre.
Plenarsitzungen
Im Verlauf der XX. GP hat der Nationalrat insgesamt 182 Plenarsitzungen abgehalten. Dies ist die absolut höchste Zahl von im Laufe einer GP abgehaltenen Sitzungen, woraus sich notwendigerweise
auch der höchste Durchschnittswert von pro Monat abgehaltenen Plenarsitzungen ergibt.
Mit Beginn der XI. GP, also mit dem Beginn der Zeit der Alleinregierungen, die mit einer Intensivierung der parlamentarischen Konfrontation einherging und den Nationalrat erst zu einer wichtigen
Bühne der politischen Auseinandersetzung machte, stiegen sowohl durchschnittliche Sitzungsanzahl als auch durchschnittliche Sitzungsdauer signifikant an.
Was die durchschnittliche Sitzungsanzahl anbelangt, hat sich die langfristige Tendenz eines Anstiegs in der XX. GP fortgesetzt und mit durchschnittlich 4,3 Sitzungen pro Monat ihren bisherigen
Höchststand erreicht. Erst zum zweiten Mal bisher ist überhaupt der Wert von 4 Sitzungen im Monat überschritten worden, was um so bemerkenswerter erscheint, als der Wert von 4,1 für die kurze XIX. GP
eben auch auf ihr plötzliches Ende und den Umstand, dass eine lange sitzungslose Vorwahlphase dadurch wegfiel, zurückgeführt werden konnte.
Die Verteilung der Plenarsitzungen auf die einzelnen Tagungen der XX. GP erscheint recht gleichmäßig. Die Tagung 1997/98 zeigt das für die vorletzte Arbeitstagung gewohnte Maximum, aber auch die
abschließende Tagung 1998/99 weist mit 45 Sitzungen noch einen erstaunlich hohen Wert auf; erstaunlich hoch insbesondere deshalb, weil in diese Tagung keine Budgetberatungen gefallen sind, die sonst
allein etwa 5 Sitzungen beanspruchen. In der erst knapp vor der Nationalratswahl eröffneten Tagung 1999 hat der "alte" Nationalrat erwartungsgemäß keine Plenarsitzung mehr abgehalten.
Diese hohe Zahl an Sitzungen ist natürlich auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die oppositionellen Fraktionen vom Instrument der "Sondersitzung" intensiven Gebrauch gemacht haben.
Das Recht, ein solches Verlangen zu stellen, stand nach dem Geschäftsordnungsgesetz 1975 (GOG) einem Viertel der Abgeordneten, seit der GOG-Novelle 1988 einem Fünftel der Abgeordneten zu. Die bis
1986 oppositionelle ÖVP hatte von diesem Recht nur sehr selten Gebrauch gemacht: In der XIII. und XIV. GP sind je eine, in der XVI. GP zwei "Sondersitzungen" verzeichnet. In der XVIII. GP hatten die
drei oppositionellen Fraktionen gemeinsam die Möglichkeit zum Einsatz dieses Instruments, konnten sich darauf jedoch nur zweimal verständigen.
Als in der XIX. GP jedoch der FPÖ-Klub erstmals über mehr als ein Fünftel der Abgeordneten verfügte, kam es zu einem sprunghaften Anstieg der Zahl der "Sondersitzungen" auf sieben in dieser kurzen
GP; in der nur ein halbes Jahr währenden Tagung 1996 der XX. GP waren es allein fünf.
Die Folge dieser Entwicklung war jene Bestimmung der mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, LiF und Grünen angenommenen GOG-Novelle 1996, die den Einsatz des Instruments der "Sondersitzung" kontingentierte
und damit einerseits limitierte, andererseits aber auch kleinen Klubs die Möglichkeit eröffnete, jeweils eine "Sondersitzung" pro Jahr verlangen zu können. Diese GOG-Novelle hat dazu geführt, dass
sich die Zahl der "Sondersitzungen" auf einen Wert von durchschnittlich vier je Tagung eingependelt hat. Die zwölf seit September 1996 abgehaltenen "Sondersitzungen" verteilen sich auf die Klubs wie
folgt: 6 FPÖ, 3 Grüne, 2 LiF, 1 ÖVP.
Während sich also die Tendenz zur Vermehrung der Zahl der Plenarsitzungen in der XX. GP verstärkt hat, ist die ebenfalls seit 1966 beobachtbare Tendenz zur Verlängerung der durchschnittlichen
Sitzungsdauer erkennbar gestoppt worden.
War dieser Wert von der X. auf die XI. GP noch deutlicher als der vorerwähnte angestiegen · von 5,5 auf 8,5 Stunden nämlich · und hatte er nach seinem langsamen weiteren Anstieg in der XVIII. GP
erstmals den Wert von 10 Stunden überschritten, um in der XIX. GP wieder auf 9,9 Stunden zurückzufallen, so ist er in der XX. GP auf 8,8 Stunden zurückgegangen.
Auch dies ist auf die Auswirkungen der GOG-Novelle 1996 zurückzuführen, zu deren Zielen nicht nur die Eindämmung der Zahl der "Sondersitzungen", sondern auch eine Reduzierung und zeitliche Begrenzung
der in den Plenarsitzungen zum Einsatz kommenden Sonderinstrumente, die Schaffung erweiterter Möglichkeiten der Redezeitbegrenzung und dadurch insgesamt eine Straffung und planbarere Gestaltung des
jeweiligen Sitzungsverlaufs gezählt hatte. Dieses Ziel muss als erreicht angesehen werden. Dies belegt nicht nur der feststellbare Rückgang der durchschnittlichen Sitzungsdauer, sondern auch ein
Blick auf die Sitzungsstatistik im einzelnen:
Seit Inkrafttreten der GOG-Novelle 1996, also seit September 1996, ist es in keinem einzigen Fall mehr notwendig gewesen, eine Plenarsitzung wegen Unabsehbarkeit des Zeitpunktes der Erledigung der
Tagesordnung zu mitternächtlicher oder frühmorgendlicher Stunde zu unterbrechen und am folgenden Vormittag fortzusetzen. In der XVIII. und XIX. GP demgegenüber war dies regelmäßige Praxis gewesen.
Seit September 1996 ist es, insbesondere durch systematischen Einsatz des Instruments der Blockredezeitbegrenzung, möglich gewesen, die Tagesordnung jeder Plenarsitzung so zügig abzuwickeln, dass die
meisten Sitzungen sogar schon vor Mitternacht beendet werden konnten. Die durchschnittliche Dauer der (insgesamt 132) "Arbeitssitzungen", also jener Sitzungen, die nicht nur
geschäftsordnungstechnischen Notwendigkeiten, insbesondere der Zuweisung von Vorlagen an die Ausschüsse, gedient haben, hat in der XX. GP 12,1 Stunden betragen. Aus der Differenz zwischen 8,8 und
12,1 Stunden wird der statistische Verzerrungseffekt der (in der XX. GP insgesamt 50) "Zuweisungssitzungen" deutlich, der allerdings nur die absoluten Zahlen, nicht die Tendenzen betrifft.
Das Prinzip, dass die Verhandlungsgegenstände vor ihrer abschließenden Beratung im Plenum in einem Ausschuss vorberaten werden, hat nämlich schon seit jeher gegolten und daher aufgrund der für die
Ausschusszuweisungen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen solche "Zuweisungssitzungen" des Plenums notwendig gemacht, die jeweils nur wenige Minuten dauern.
Ausschusssitzungen
Die Behandlung der Vorlagen auf Ausschuss- bzw. Unterauschussebene ist es erst, die eine eingehende inhaltliche Auseinandersetzung insbesondere mit den Gesetzgebungsmaterien ermöglicht. In die
Ausschüsse, die in ihrer fraktionellen Zusammensetzung jene des Plenums verkleinert widerspiegeln, entsenden die Klubs ihre jeweiligen Spezialisten für die verschiedenen Materien. Außerdem können die
Ausschüsse und die von ihnen eingesetzten Unterausschüsse, noch kleinere und daher flexiblere Gremien, Sachverständige und Auskunftspersonen hören und sich so Expertise von außen beschaffen. Diese
Anhörungen können seit der GOG-Novelle 1996 öffentlich durchgeführt werden.
Dennoch vollzieht sich die Tätigkeit der Ausschüsse im großen und ganzen weiterhin verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit, was ein Hauptgrund für jene verbreiteten Missverständnisse über das
Wesen der parlamentarischen Arbeit ist, die in der Empörung über leere Plenarsäle gipfelt. Wer weiß, dass die inhaltlichen Entscheidungen über die Verhandlungsgegenstände bereits auf Ausschussebene
gefallen sind und, vermittelt durch die klubinterne Arbeitsteilung, im Plenum im wesentlichen nur nachvollzogen und abschließend demokratisch legitimiert werden, dass die spezifische Funktion des
Plenums demgegenüber die Darstellung dieser Entscheidungen und möglicher Alternativen für die Öffentlichkeit ist, der wird verstehen, dass den Abgeordneten ein Ausharren im Plenum während der
gesamten Dauer der Plenarsitzungen nicht sinnvoll erscheinen kann. Wer die Zahl der Ausschuss- zu jener der Plenarsitzungen in Relation setzt, der stellt fest, wie viel Arbeit auf Ausschussebene dem
Plenarverfahren vorangeht: Im Verlauf der XX. GP sind insgesamt 527 Ausschusssitzungen abgehalten worden; in Beziehung zu den 132 "Arbeitssitzungen" des Nationalrates gebracht, bedeutet dies, dass
jede solche "Arbeitssitzung" des Plenums im Durchschnitt in vier Ausschusssitzungen vorbereitet worden ist. Statistisch nicht fassbar sind natürlich die informellen fraktionsinternen, vor allem aber
interfraktionellen Beratungen und Verhandlungen.
Dass diese informelle Beratungs- und Verhandlungsebene, die sich insbesondere in Verhandlungen zwischen den Fraktionsführern im jeweiligen Ausschuss und den für den Ausschuss zuständigen
Klubsekretären manifestiert, in den letzten Jahren an Umfang und Gewicht zugenommen haben muss, lässt sich indirekt aus dem seit Beginn der XIX. GP signifikanten Rückgang der Zahl der
Unterausschusssitzungen erschliessen. Diese Zahl hat in der XX. GP 202 betragen.
Die "große Zeit" der Unterausschüsse war die Zeit der SPÖ-Alleinregierung: so fanden in der XIII. GP nicht weniger als 427, in der XV. GP sogar 461 Unterausschusssitzungen statt. In der damaligen
politischen Situation, die von der absoluten Mehrheit der SPÖ, zugleich jedoch auch von der nicht zuletzt aus dem für viele Materien gegebenen Zweidrittelkonsensquorum erwachsenden starken
"bargaining position" der oppositionellen ÖVP gekennzeichnet war, waren die Unterausschüsse sehr oft jenes Forum, auf welchem die sehr ins Detail gehenden inhaltlichen Verhandlungen zwischen
Regierungsmehrheit und Opposition über Gesetzgebungsvorhaben geführt wurden. Da die Regierungsmehrheit zumeist auch dort, wo kein Zweidrittelerfordernis bestand, eine einstimmige Beschlussfassung
anstrebte · und in sehr vielen Fällen auch erreichte ·, kam es tatsächlich oft zu materiellen Kompromissen.
Im Fünf-Fraktionen-Parlament der XX. GP war das Erzielen eines einstimmigen Beschlusses oft so weit jenseits der politischen Vorstellbarkeit, dass die Regierungsfraktionen vielfach gar nicht erst
versuchten, in zeitraubenden Unterausschussverhandlungen einen Kompromiss mit den Oppositionsfraktionen zu finden, zumal ja bereits die Kompromissfindung zwischen den Regierungsfraktionen das
Ergebnis eines nicht ganz einfachen Aushandlungsprozesses darstellte. Für diesen Prozess allerdings hatte sich, wenn er nicht überhaupt schon auf der vorparlamentarischen Ebene · dort aber durchaus
vielfach unter Einbeziehung von Parlamentariern · im grundsätzlichen abgeschlossen worden war, die erwähnte informelle Ebene als die zweckmäßigere herausgebildet. Die Ausschussverhandlungen haben in
der Folge das Unterausschussverfahren nur zum Teil zu substituieren vermocht: Mit 527 Ausschusssitzungen liegt der in der XX. GP erreichte Zahlenwert zwar deutlich über den zwischen XIII. und XVI. GP
erreichten Zahlen, aber unter jenen der XVII. und XVIII. GP, als 591 bzw. 575 Ausschusssitzungen abgehalten worden sind. Überdies wird erfahrungsgemäß im Ausschuss auch nicht die gleiche Dichte und
Tiefe der inhaltlichen Auseinandersetzung erreicht wie im Unterausschuss.
Die veränderten Mandatsverhältnisse nach der NR-Wahl vom 3. Oktober 1999 lassen die Bildung einer Regierungskoalition, die über eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat verfügt, unwahrscheinlich
erscheinen. Dies könnte zu der Prognose Anlass geben, dass zumindest in jenen Materien, für die ein Zweidrittelkonsensquorum besteht, die Bedeutung der eingehenden Vorbehandlung auf
Unterausschussebene künftig wieder steigen dürfte.
Legislativfunktion
Andererseits dürfte auch die Prognose nicht verfehlt sein, dass zumindest die Effektivität, wohl aber auch die Effizienz der Gesetzgebungsarbeit des Nationalrates · als seiner nach der Systematik
unserer Verfassungsordnung wesentlichsten Funktion · davon abhängen wird, ob sich in den nächsten Wochen oder Monaten eine stabile Parteienkoalition als parlamentarische Basis einer
Koalitionsregierung herausbilden wird. Mögen Parlamentsromantik und altliberales Parlamentarismusverständnis auch freie parlamentarische Mehrheitsbildung für eine gangbare, ja wünschenswerte
Alternative halten und mag sogar tatsächlich in Einzelfällen diese Form der Willensbildung zu sachorientierteren Ergebnissen führen, so muss jedenfalls nach den in der Geschichte des österreichischen
Parlamentarismus gewonnenen Erfahrungen der Suche nach einer stabileren Konstellation der Vorzug gegeben werden.
Die Organe der Bundesgesetzgebung sehen sich heute mehr denn je mit schwierig, wenn überhaupt miteinander zu vereinbarenden Forderungen konfrontiert: einerseits mit einer großen Zahl von Forderungen
nach Erlassung bestimmter Bundesgesetze, die von sehr verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen artikuliert werden, andererseits mit der in der veröffentlichten Meinung breit transportierten
pauschalen Forderung nach Eindämmung der "Gesetzesflut" und qualitativer Verbesserung der Gesetzesproduktion. Dies alles in einem Kontext sich beschleunigender technologischer und gesellschaftlicher
Veränderungen, welche den auf der Legislative lastenden Zeitdruck erhöhen und damit die eingehende und langwierige parlamentarische Beratung von Gesetzgebungsvorhaben erschweren. Und schließlich in
einem Kontext der Integration in eine supranationale Gemeinschaft, welche die nationalstaatliche Gesetzgebungsarbeit zumindest relativiert. In einer solchen Situation erscheint eine stabile
parlamentarische Grundkonstellation als Orientierungspunkt der staatlichen Willensbildung, die sich durchaus mit kreativen Formen der Flexibilität im einzelnen Gesetzgebungsverfahren verbinden ließe,
als notwendige Voraussetzung für legislative Effektivität.
Die Ergebnisse der Gesetzgebungsarbeit der XX. GP stellen, zumindest quantitativ, jener parlamentarischen Konstellation, die während dieser GP bestanden hat, kein schlechtes Zeugnis aus. Der
Nationalrat hat 596 Bundesgesetze beschlossen, woraus sich ein Jahresschnitt von 149 ergibt (November und Dezember 1999 bleiben dabei noch außer Betracht). Dieser Wert liegt deutlich über dem
langjährigen Durchschnitt, der für den Zeitraum von 1966 bis 1998 mit 124 Gesetzesbeschlüssen pro Jahr errechnet werden kann. Auf die GP als Einheit bezogen, sind bisher nur in der XVIII. GP mehr
Gesetzesbeschlüsse, nämlich 632, gefasst worden, was im wesentlichen auf den Beitritt zum EWR bzw. den damals bevorstehenden Beitritt zur EU und die dadurch notwendig gewordene Anpassung des
österreichischen Bundesrechts an den gemeinschaftlichen Rechtsbestand zurückzuführen war.
Auch die hohe Zahl der in der XX. GP gefassten Gesetzesbeschlüsse geht nicht zuletzt auf den weiterhin laufend bestehenden Druck zur Anpassung der österreichischen Rechtsordnung an gemeinschaftliche
Rechtsakte zurück.
Ob dieses statistisch nachweisbare Ausmaß einer Zunahme der Zahl der Gesetzesbeschlüsse ausreicht, um von einer anschwellenden "Gesetzesflut" sprechen zu können, muss der individuellen Interpretation
überlassen bleiben. Korrekter wäre in jedem Fall die Bezeichnung "Normenflut", da, wie ein Blick in das Bundesgesetzblatt zeigt, die Bundesgesetze, gemessen am Seitenumfang, in der Regel nur zwischen
20 und 30 Prozent (1998 z.B. 28,7 Prozent) der insgesamt kundgemachten Rechtsvorschriften ausmachen. Grundsätzlich wird in einer differenzierten Gesellschaft wie der unseren ein gewisses Mindestmaß
an Regelungsdichte und -tiefe, schon im Interesse der sozial Schwächeren, wohl nicht unterschritten werden können; wichtiger als der Kampf gegen die Quantität erscheint der Kampf um höhere Qualität.
Gesetzgebungsarbeit
Im Prozess der Bundesgesetzgebung haben sich bestimmte Rhythmen herausgebildet, die mit erstaunlicher Regelmäßigkeit wiederkehren. Der zeitliche Rhythmus, nach welchem sich die Gesetzgebungsarbeit
über das Jahr verteilt: Deutlich heben sich die beiden Maxima, das primäre vor der Sommerpause und das sekundäre vor der durch die Weihnachtsfeiertage bedingten Unterbrechung der parlamentarischen
Arbeit, heraus. Während das sekundäre Maximum zweimal auf den November vorgezogen ist · was häufig auftritt ·, erscheint das primäre Maximum nur im abschließenden Jahr der GP auf den Juni verlagert,
was mit dem im Juli bereits spürbareren Herannahen des Neuwahltermins erklärbar sein dürfte. Mit 51 beschlossenen Bundesgesetzen ist dafür im Juni 1999 die insgesamt deutlich höchste
"Monatsproduktion" im Verlauf der GP erzielt worden.
Unterbrechungen der parlamentarischen Arbeit üben also einen erkennbaren "Einigungsdruck" auf die Akteure des parlamentarischen Geschehens aus; hinzu kommt zumindest im Fall des "Weihnachtsmaximums"
der Umstand, dass bestimmte gesetzliche Regelungen mit Beginn des neuen Kalenderjahrs in Kraft treten sollen. Vor allem aber scheint der jeweils mehrmonatige, vor der Sommer- wie auch vor der
Weihnachtspause für Verhandlungen zur Verfügung stehende Zeitraum einfach notwendig, um komplexere Materien auszuverhandeln; die bevorstehende Arbeitsunterbrechung gibt dann den letzten,
psychologisch wirksamen Anstoß, weit gediehene Materien tatsächlich zum Abschluss zu bringen, wofür die angelsächsische Parlamentssprache den bildhaften Ausdruck "to empty the pigeonholes" geprägt
hat, der das Leeren der Ablagefächer der Abgeordneten von den darin angehäuften Vorlagen bezeichnet.
Ein Blick auf die Inhalte der Gesetzgebungsarbeit zeigt, dass es sich bei den beiden Maxima vor der Sommer- und der Weihnachtspause nicht bloß um ein quantitatives, sondern auch um ein qualitatives
Phänomen handelt.
An dieser Stelle können aus Platzgründen nur einige Blitzlichter auf ganz wenige, besonders wichtig erscheinende Gesetzesbeschlüsse, die der Nationalrat im Verlauf der XX. GP gefasst hat, geworfen
werden: Von weitestreichender Bedeutung war bereits das im April 1996 als unmittelbare Folge der Koalitionsverhandlungen, die zur Bildung der Regierung Vranitzky V geführt hatten, gemeinsam mit den
Budgets 1996 und 1997 beschlossene Strukturanpassungsgesetz 1996, ein "Mantelgesetz", das elf neue Bundesgesetze und Änderungen von 87 existierenden Bundesgesetzen · darunter die in der Folge so viel
diskutierte und mehrfach geänderte Regelung der Sozialversicherungspflicht für Werkverträge · enthielt.
Mehrfach hat den Nationalrat auch das Thema "Politikerbezüge" beschäftigt:
War schon im Juli 1996 ein erstes Bezügereformgesetz beschlossen worden, so wurde mit dem im Mai 1997 verabschiedeten Bezügebegrenzungsgesetz das System dieser Bezüge grundsätzlich neu geordnet.
Die Einigung darüber war eine der Früchte einer nach der Ernennung von Viktor Klima zum Bundeskanzler am 28. Jänner 1997 erneuerten und, wie es schien, verbesserten Zusammenarbeit innerhalb der
Regierungskoalition, die durch die Vorgänge um den Verkauf der CA-Bundesanteile an die Bank Austria an den Rand des Scheiterns geraten war. Zu den weiteren Früchten zählten etwa das im März 1997
verabschiedete neue Universitäts-Studiengesetz, das im Juni 1997 geschnürte "Fremdenpaket" oder die im Juli 1997 nach zähen Verhandlungen beschlossene gesetzliche Regelung jener neuen
Fahndungsmethoden, die als "Rasterfahndung" und "Lauschangriff" bekannt geworden sind.
Lange hingezogen hatten sich auch die Verhandlungen über einen freiwilligen Dienst von Frauen im Bundesheer, die mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Ausbildung von Frauen im Bundesheer im
Dezember 1997 abgeschlossen werden konnten. Tags darauf folgte endlich die Beschlussfassung über jene Novelle zur Straßenverkehrsordnung, welche die Senkung des Blutalkoholgrenzwerts auf 0,5 Promille
normierte, nachdem sie ein halbes Jahr zuvor noch in einer aufsehenerregenden Abstimmung gescheitert war.
Im Juli 1998 hat der Nationalrat u.a. die Organisation der österreichischen Elektrizitätswirtschaft gesetzlich neu geregelt, das Organisations- und Studienrecht der Kunsthochschulen neu gefasst und
die Neuorganisation der Bundesmuseen und Bundestheater beschlossen. Im Dezember 1998 konnten das neue Mineralrohstoffgesetz, das durch das tragische Grubenunglück in Lassing besonders ins Blickfeld
der Öffentlichkeit getreten war, und das Vertragsbedienstetenreformgesetz verabschiedet werden.
Aus der großen Zahl noch knapp vor Ende der GP beschlossener Bundesgesetze können z.B. das Steuerreformgesetz 2000 und das Eherechts-Änderungsgesetz 1999, beide im Juni 1999 verabschiedet, sowie das
neue Datenschutzgesetz 2000 und die 56. Novelle zum ASVG, die sogenannte "Chip-Karten-Novelle", beide im Juli 1999 vom Nationalrat angenommen, hervorgehoben werden.
Insgesamt also eine durchaus beeindruckende Bilanz, zumal im Blick auf die schwierigen Aushandlungsprozesse, die zu diesen Ergebnissen geführt haben. Doch natürlich lassen sich auch Materien nennen,
in denen keine innerkoalitionäre Einigung zustandegekommen ist: die im "Tierschutz-Volksbegehren" aufgeworfene Frage der Schaffung einer Bundeskompetenz für den Tierschutz und einer darauf
basierenden bundeseinheitlichen Tierschutzgesetzgebung etwa, die jahrelang erfolglos in einem Unterausschuss des Verfassungsausschusses beraten worden ist, oder z.B. die beabsichtigte Neugestaltung
des Führerscheingesetzes.
Gesetzesinitiative
Sind die Foren, auf denen innerkoalitionäre Einigungen zustande kommen können, auch verschiedene, so hat sich doch auch im Lauf der XX. GP bestätigt, dass in den meisten wichtigen Materien der
parlamentarischen Beratung eine zumindest grundsätzliche Einigung auf Regierungsebene vorangegangen ist; davon völlig ausgenommen sind lediglich bestimmte, nach Usance oder kraft gesetzlicher
Bestimmung aufgrund parlamentarischer Initiative zu behandelnde Materien wie das Bezüge- oder das Geschäftsordnungsrecht.
Auch in der XX. GP ist der Schwerpunkt der Gesetzesinitiative bei der Regierung gelegen. Der Anteil jener Beschlüsse, die auf Regierungsvorlagen zurückgegangen sind, liegt bei 71 Prozent und damit
wieder knapp über den zwischen der XVI. und der XVIII. GP, jedoch merklich unter den bis zur XV. GP beobachteten Werten. Der mit 62 Prozent außerordentlich niedrige Wert in der XIX. GP dürfte auf die
Besonderheiten dieser kurzen GP zurückzuführen gewesen sein.
Welche Besonderheiten die parlamentarische Willensbildungskonstellation in der XXI. GP aufweisen wird, ist kaum prognostizierbar. Der vorerwähnte zunehmende Anteil an Bundesgesetzen, die der
Umsetzung von EU-Richtlinien dienen, könnte aber grundsätzlich als Indiz dafür herangezogen werden, dass mittelfristig die Bedeutung der Regierungsinitiative im Gesetzgebungsprozess zumindest nicht
abnehmen dürfte, weil die Initiative zu solchen Umsetzungsmaßnahmen regelmäßig von Regierungsseite ausgeht, was wiederum mit der unmittelbareren Verflechtung des Regierungsapparates in den
europäischen Rechtsetzungsprozess und der daraus erwachsenden Sachkompetenz zusammenhängt.
Aus der Tatsache, dass ein Gesetzesbeschluss formal auf eine Regierungsvorlage oder auf einen Selbständigen Antrag von Abgeordneten · in der XX. GP waren dies 19 Prozent aller Gesetzesbeschlüsse ·
zurückgeht, kann freilich keineswegs zwingend darauf geschlossen werden, dass auch die politische Initiative im jeweiligen Fall bei der Regierung bzw. beim Parlament gelegen wäre, da sowohl
Selbständige Anträge der beschleunigten parlamentarischen Behandlung von politisch aus der Regierung kommenden Gesetzesinitiativen als auch Regierungsvorlagen der legistischen Umsetzung von politisch
dem Parlament entstammenden Initiativen dienen können und auch immer wieder dienen.
Die Beobachtung, dass Regierungsvorlagen eine weitaus höhere Chance haben als Selbständige Anträge, nicht nur positiv, sondern überhaupt erledigt zu werden, hat weiterhin ihre Gültigkeit. Während von
447 eingebrachten Regierungsvorlagen, die Gesetzesvorschläge beinhaltet haben, in der XX. GP 426 positiv erledigt worden sind und nur eine einzige (jene Novelle zur Straßenverkehrsordnung, in die im
Juli 1997 in zweiter Lesung die Senkung des Blutalkoholgrenzwertes aufgenommen worden war, worauf sie in dritter Lesung in ihrer Gesamtheit abgelehnt wurde) negativ erledigt worden ist, wohingegen
nur 18 solcher Vorlagen unerledigt geblieben sind, sind am Ende der XX. GP 288 parlamentarisch erledigten (davon 149 positiv und 139 negativ) Selbständigen Gesetzesanträgen von Abgeordneten 194
unerledigte Anträge dieser Art gegenübergestanden.
Die verhältnismäßig größte Chance auf (positive) Erledigung haben die von Abgeordneten beider Regierungsfraktionen gemeinsam eingebrachten Anträge, während bereits die von den Abgeordneten nur einer
Regierungsfraktion eingebrachten Anträge vielfach unerledigt bleiben; sie dienen ja auch nicht zuletzt dem Zweck, eine nicht mit dem Koalitionspartner akkordierte oder akkordierbare politische
Position für die Öffentlichkeit darzustellen. Diesem Zweck der Demonstration eines politischen Standpunktes ist auch die große Zahl der von Abgeordneten der Oppositionsfraktionen eingebrachten
Selbständigen Anträge gewidmet.
Die weitaus höchste Erfolgschance weisen Selbständige Anträge von Ausschüssen auf; 9 Prozent der in der XX. GP gefassten Gesetzesbeschlüsse sind auf solche Vorlagen zurückgegangen. Kein einziger
Gesetzesbeschluss ist demgegenüber unmittelbar auf ein Volksbegehren oder einen Gesetzesantrag des Bundesrates zurückzuführen gewesen. Dennoch sollte die mittelbare politisch-psychologische Wirkung
jedenfalls von Volksbegehren nicht unterschätzt werden.
Dass die Chancen einer Regierungsvorlage, zu einem Gesetzesbeschluss des Nationalrates zu führen, höher liegen als jene eines Selbständigen Antrages von Abgeordneten, bedeutet nicht, dass ihre
unveränderte Annahme die Regel wäre. In der XX. GP ist nur in 36 Prozent der Fälle, in denen ein Gesetzesbeschluss aufgrund einer Regierungsvorlage gefasst worden ist, der in der Regierungsvorlage
enthaltene Gesetzesvorschlag unverändert angenommen, in 64 Prozent der Fälle hingegen dieser Gesetzesvorschlag im Ausschuss bzw. sowohl im Ausschuss als auch im Plenum geändert worden.
Abstimmungsergebnisse
Obwohl also durch die Abänderung von Gesetzesvorschlägen insbesondere auf Ausschussebene ein gewisser Spielraum für parlamentarische Kompromissfindung gegeben bleibt, ist der Gesetzgebungsprozess
von fraktionsübergreifender Einmütigkeit weiter entfernt denn je. Nur 26 Prozent aller Gesetzesbeschlüsse sind in der XX. GP einstimmig gefasst worden. Dies ist der bei weitem niedrigste je
registrierte Wert: Bis Mitte der 80er Jahre ist der Anteil der einstimmig gefassten an der Gesamtzahl der Gesetzesbeschlüsse im Durchschnitt über 75 Prozent gelegen, seither ist er auf zuletzt 34
Prozent in der XIX. GP zurückgegangen.
Dass in einem Fünf-Fraktionen-Parlament die Kompromissfindung schwieriger ist als in einem Parlament, in dem nur drei Fraktionen vertreten sind, liegt auf der Hand. Verstärkt wird dieser Effekt durch
einen grundsätzlich veränderten Stil der politischen Interaktion, der die Konflikt- der früher postulierten Konsensbereitschaft immer mehr überordnet. Die Verteilung der Abstimmungsergebnisse zeigt
freilich auch, dass die Konsensfindung zwischen den Regierungs- und den beiden kleineren Oppositionsfraktionen offenkundig leichter möglich gewesen ist als jene mit der größeren Oppositionsfraktion,
was wohl auch auf unterschiedliche Stile oppositionellen Agierens zurückzuführen ist.
Welche Interaktionsmuster sich im Vier-Fraktionen-Parlament der XXI. GP herausbilden werden, ist naturgemäß noch offen. Rein arithmetisch betrachtet, müsste die Verminderung der Zahl der Fraktionen
die Konsensfindung wieder erleichtern; ob dieser Umstand die eher konsensfeindlichen Veränderungen im politischen Stil aufzuwiegen vermag, muss freilich dahingestellt bleiben.Õ
Günther Schefbeck ist Leiter des Parlamentsarchivs