)
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im II. Teil des statistischen Überblicks über die mit 28. Oktober 1999 zu Ende gegangene XX. GP des Nationalrates werden abschließend die weiteren zentralen Tätigkeitsfelder des Nationalrates, die
Mitwirkung an der Vollziehung und die Kontrolle der Vollziehung, untersucht.
Mitwirkung an der Vollziehung
Im parlamentarischen Regierungssystem, das durch die Bestandsabhängigkeit der Regierung vom Parlament charakterisiert ist, ist die traditionelle, idealtypisch ohnedies niemals verwirklicht
gewesene Vorstellung einer Trennung der exekutiven von der legislativen Gewalt in vielfacher Weise überwunden, sodass aufgrund der organisatorischen Verschiedenheit der für Gesetzgebung bzw.
Vollziehung zuständigen Organe zwar von Gewaltenteilung, aber nicht von Gewaltentrennung gesprochen werden kann.
Ebenso wie die Regierung in vieler Hinsicht, insbesondere durch das ihr zustehende und von ihr intensiv genutzte Gesetzesinitiativrecht, den Gesetzgebungsprozess beeinflusst, ist umgekehrt das
Parlament in vielerlei Weise in die Vollziehung der von ihm beschlossenen Gesetze involviert. Dazu zählt grundsätzlich die Kontrolle der Vollziehung ebenso wie die Mitwirkung an der Vollziehung im
engeren Sinn, also die Möglichkeit, die Vollziehung der Gesetze direkt zu beeinflussen.
Dies kann einerseits in informeller Weise, über die vielfältigen Verflechtungen zwischen der Regierung und den sie unterstützenden Parlamentsfraktionen, geschehen, also beispielsweise über direkte
Kontakte zwischen den Regierungsmitgliedern und den Fraktionsführern im ressortzuständigen Fachausschuss oder über die Willensbildung in den Fraktionssitzungen, an denen auch die von der jeweiligen
Partei gestellten Regierungsmitglieder teilnehmen, das Verfassungsrecht kennt dafür aber auch formelle Instrumente wie beispielsweise die Bindung bestimmter allgemeiner Akte der Bundesregierung oder
eines ihrer Mitglieder · etwa der Erlassung bestimmter Verordnungen · an die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates oder das sogenannte Resolutionsrecht.
Entschließungen
Art. 52 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes spricht dem Nationalrat wie auch dem Bundesrat das Recht zu, in Entschließungen ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung Ausdruck zu geben
(Resolutionsrecht). Den Entschließungen kommt keine rechtliche Bindungswirkung zu. Angesichts der gemäß Art. 74 Abs. 1 des Bundes- Verfassungsgesetzes dem Nationalrat zustehenden Möglichkeit, der
Bundesregierung oder einem ihrer Mitglieder, etwa im Falle der Nichtbefolgung einer Entschließung, das Misstrauen auszusprechen, wird jedoch zumindest die politische Bedeutung der vom Nationalrat
gefassten Entschließungen hoch zu veranschlagen sein.
So sind wichtige politische Entscheidungen wie z.B. jene, den Antrag auf Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften zu stellen, in Form einer Entschließung des Nationalrates getroffen worden. Auch
der Ausübung des Gesetzesinitiativrechts der Bundesregierung geht häufig eine Entschließung voran, in der die Bundesregierung aufgefordert worden ist, einen Gesetzesvorschlag zur Regelung einer
bestimmten Materie vorzulegen, und oft auch der Regelungsinhalt bereits grob vorskizziert worden ist.
Das Instrument der Entschließung, mit dem die Bundesregierung oder eines ihrer Mitglieder zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert werden kann, stellt sich also in der Praxis häufig geradezu als
ein Surrogat der parlamentarischen Gesetzesinitiative dar, das nicht zuletzt auch von den oppositionellen Fraktionen gerne genutzt wird, um ihre alternativen Positionen im Gesetzgebungsprozess zu
demonstrieren und zu dokumentieren, ohne dafür den hohen legistischen Aufwand der Ausformulierung eines Gesetzesvorschlages auf sich nehmen zu müssen. Auch innerhalb einer Koalition nicht
konsensfähige Positionen werden häufig von einer Koalitionsfraktion zu Dokumentationszwecken in die Form eines Entschließungsantrages gegossen.
Unter diesen als Mittel politischer Demonstration verwendeten Entschließungsanträgen kommt jenen, die in der Form eines Selbständigen Antrages eingebracht werden, naturgemäß das größte Gewicht zu, da
sie in dieser Form einem eigenständigen parlamentarischen Verfahren unterzogen werden können. Der bereits anhand der Entwicklung der Zahl jener Selbständigen Anträge von Abgeordneten, die
Gesetzesvorschläge beinhalten, festgestellten signifikanten quantitativen Zunahme der parlamentarischen Initiative entspricht in der XX. GP des Nationalrates ein nicht minder deutlicher Anstieg der
Zahl eingebrachter Selbständiger Entschließungsanträge.
Figur 7 zeigt die Entwicklung der Zahl der von Abgeordneten zum Nationalrat eingebrachten Selbständigen Anträge seit 1945. Bereits die Entwicklung der absoluten Zahl der je GP eingebrachten
Selbständigen Anträge lässt erkennen, dass sich in dieser Zahl die seit Beginn der XVII. GP nachhaltig gesteigerte Intensität der parlamentarischen Aktivität widerspiegelt. Die kurze Dauer der XIX.
GP verdeckt aber, dass mit ihr nochmals ein Quantitätsschub zu verzeichnen gewesen ist, der die Entwicklung der Qualität der parlamentarischen Arbeit und des Selbstverständnisses der Parlamentarier
beleuchtet.
Erst der Blick auf den Durchschnittswert der in den einzelnen GP jeweils pro Jahr von Abgeordneten eingebrachten Selbständigen Anträge macht den in seinem quantitativen Ausmaß der Veränderung von der
XVI. zur XVII. GP vergleichbaren Sprung erkennbar, der zwischen XVIII. und XIX. GP zu verzeichnen ist. Für diesen Sprung sind im wesentlichen zwei Ursachen verantwortlich zu machen: zum einen das
Wirksamwerden der Tätigkeit des fünften Parlamentsklubs, zum anderen die besondere Konstellation der XIX. GP, als angesichts der nicht mit Zweidrittelmehrheit ausgestatteten Regierungskoalition und
insbesondere nach deren faktischer Aufkündigung durch die ÖVP am Ende der GP der parlamentarischen Initiative besondere Bedeutung zukam.
Dass der hohe Durchschnittswert der XIX. GP in der XX. GP nochmals übertroffen worden ist, kann als Beleg dafür dienen, dass das veränderte Selbstverständnis der Parlamentarier, das sich in
gesteigerter Eigeninitiative niederschlägt, zu einem irreversiblen Faktor der politischen Landschaft geworden ist. Zwar wird sich in der XXI. GP der Wegfall der fünften Fraktion dämpfend auf die
quantitative Entwicklung der parlamentarischen Initiative auswirken, die jedoch auf der anderen Seite durch die gegebene Sitzverteilung im Nationalrat und die in ihrem Rahmen nach gegenwärtigem Stand
denkmöglich erscheinenden Regierungskonstellationen in jedem Fall einen neuerlich verstärkenden Schub erfahren dürfte, sodass zumindest mit keinem Rückgang der Intensität der parlamentarischen
Initiative zu rechnen ist.
Hat die parlamentarische Initiative also für sich allein schon erhebliche politische Bedeutung, so wird dennoch insbesondere von den oppositionellen Fraktionen beklagt, dass in der parlamentarischen
Praxis die Chancen Selbständiger Anträge von Abgeordneten, tatsächlich einem parlamentarischen Verfahren unterzogen und einer Erledigung zugeführt zu werden, sehr viel schlechter stehen als jene von
Vorlagen der Bundesregierung.
Was bereits anhand der Gesetzesanträge von Abgeordneten gezeigt werden konnte, ist, wie aus Tabelle 4 ersichtlich wird, noch deutlicher für deren Selbständige Entschließungsanträge feststellbar: Von
den 674 im Verlauf der XX. GP eingebrachten Anträgen dieser Art sind 387 erledigt worden, denen 258 unerledigt gebliebene gegenüberstehen. Noch signifikanter: Nur 60 Anträge sind positiv erledigt
worden; in diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass nur die formelle Ablehnung durch einen sogenannten "negativen Ausschussbericht" als negative Erledigung, die sogenannte "Miterledigung"
eines Antrages mit einer anderen Vorlage hingegen als positive Erledigung gewertet wird, sodass diese 60 Entschließungsanträge nicht durchwegs unmittelbar zur Fassung einer Entschließung geführt
haben.
Um insbesondere den oppositionellen Fraktionen die Möglichkeit einzuräumen, ihnen besonders wichtige Selbständige Entschließungsanträge von Abgeordneten rasch im Plenum behandelt zu sehen, ist durch
die GOG-Novelle 1996 das prozedural der Dringlichen Anfrage nachgebildete Instrument des Dringlichen Antrages geschaffen worden, der aufgrund eines (wie bei der Dringlichen Anfrage kontingentierten)
Verlangens bereits in jener Sitzung, in der er eingebracht worden ist, in Verhandlung genommen wird. In der parlamentarischen Praxis ist dieses Instrument aber bei weitem weniger intensiv genutzt
worden als das vertrautere Instrument der Dringlichen Anfrage: Insgesamt sind seit September 1996 15 Dringliche Anträge eingebracht worden, 14 davon von oppositionellen Fraktionen; nur der einzige
von Abgeordneten der Regierungsfraktionen eingebrachte Dringliche Antrag ist vom Nationalrat angenommen worden.
Sehr viel höher sind, wie bei den Gesetzes- so auch bei den Entschließungsanträgen, die Erledigungs- wie auch Erfolgschancen der Selbständigen Anträge von Ausschüssen. Von den 106 Selbständigen
Entschließungsanträgen von Ausschüssen sind in der XX. GP 105 angenommen worden; nur einer ist unerledigt geblieben. Diese hohe Erfolgsquote steht natürlich damit im Zusammenhang, dass das
Zustandekommen eines solchen Entschließungsantrages ja bereits das Ergebnis einer Abstimmung im Ausschuss ist und angesichts der jene des Plenums verkleinert abbildenden Zusammensetzung der
Ausschüsse die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich diese Mehrheitsbildung wiederholen wird.
Im übrigen können Entschließungen auch aufgrund unselbständiger Entschließungsanträge von Abgeordneten gefasst werden, die im Zuge der Debatte über einen Verhandlungsgegenstand im Plenum gestellt
werden können, aber in inhaltlichem Zusammenhang mit diesem stehen müssen. Ein von den Regierungsfraktionen nicht selten genutztes Instrument, um z.B. zwischen Ausschuss-und Plenarberatungen noch
aufgetretenen Einwänden gegen einen Gesetzesvorschlag durch eine die Vollziehung des Gesetzes in eine bestimmte Richtung lenkende Entschließung zu begegnen.
Insgesamt hat der Nationalrat in der XX. GP 214 Entschließungen gefasst, die inhaltlich das gesamte Spektrum seiner Zuständigkeit überdecken, von der Formulierung der österreichischen Politik gegen
die Kernenergienutzung über Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch bis zur Kennzeichnung von Eiern aus verschiedenen Haltungsformen. Diese Zahl ist nicht nur die höchste jemals in einer GP gefasster
Entschließungen, auch die in Figur 8 wiedergegebene Entwicklung des Durchschnittswerts pro Jahr in den einzelnen GP lässt die steigende Tendenz deutlich erkennen.
Staatsverträge und Vereinbarungen
Kann, wie gezeigt, das Resolutionsrecht die Funktion eines Surrogats der Gesetzesinitiative im legislativen Prozess annehmen, so erfüllt ein anderes Instrument, das der Systematik der
Bundesverfassung nach zur Mitwirkung an der Vollziehung gezählt wird, regelmäßig die Funktion eines Surrogats der Gesetzgebung selbst: Nach Art. 50 des Bundes- Verfassungsgesetzes können politische,
gesetzändernde und gesetzesergänzende Staatsverträge nur mit Genehmigung des Nationalrates abgeschlossen werden; Analoges gilt für sogenannte Gliedstaatsverträge, also Vereinbarungen, die der Bund
mit allen oder einzelnen Bundesländern gemäß Art. 15a des Bundes-Verfassungsgesetzes abschließen kann.
Der Abschluss von Staatsverträgen wird traditionell, als ein Ausfluss der Vertretung des Staates nach außen, als Prärogative der exekutiven Gewalt angesehen. Da Staatsverträge jedoch die
innerstaatliche Rechtsordnung verändern und somit im materiellen Sinn Gesetzen entsprechen können, ist, damit dieser materielle Gesetzgebungsprozess nicht am Parlament vorbeigeführt werden kann, das
erwähnte Instrument der parlamentarischen Genehmigung geschaffen worden. Nichtsdestoweniger ist die Position des Nationalrates im Verfahren der Genehmigung von Staatverträgen schwächer als im
formellen Gesetzgebungsverfahren: zum einen liegt die Initiative grundsätzlich bei der Bundesregierung · es sei denn, der Nationalrat hätte die Bundesregierung durch eine Entschließung dazu
aufgefordert, einen Staatsvertrag bestimmten Inhalts auszuverhandeln bzw. ihm zur Genehmigung vorzulegen · , zum anderen und vor allem aber kann ein Staatsvertrag nur in seiner Gesamtheit genehmigt
oder eben seine Genehmigung verweigert werden, inhaltliche Änderungen durch den Nationalrat sind ausgeschlossen.
Umso beachtenswerter erscheint es, dass der Anteil jener Staatsverträge, deren Abschluss vom Nationalrat einstimmig genehmigt wird, an der Gesamtheit der genehmigten Staatsverträge deutlich höher
liegt als der Anteil der einstimmig gefassten Gesetzesbeschlüsse. Während dieser in der XX. GP, wie im I. Teil gezeigt, auf 26 Prozent gesunken ist, liegt jener weiterhin bei fast 70 Prozent. Nur 6
der in der XX. GP genehmigten 197 Staatsverträge sind allein mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen verabschiedet worden. Fast scheint es, als wirke die einstige Doktrin, die Außenpolitik sei
außerhalb des Parteienstreites zu stellen, die etwa in der Frage der grundsätzlichen Orientierung der Außen-und Sicherheitspolitik längst nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, im Bereich des
außenpolitischen "Alltagsgeschäfts", wie es der Abschluss von Staatsverträgen vielfach darstellt, noch nach.
Den 197 vom Nationalrat in der XX. GP genehmigten Staatsverträgen stehen nur 6 unerledigt gebliebene Regierungsvorlagen gegenüber, die Staatsverträge beinhalten; keine solche Regierungsvorlage ist
negativ erledigt, eine zurückgezogen worden. Insgesamt ist also die Erledigungs- und Annahmechance von Staatsverträge beinhaltenden Regierungsvorlagen als sehr hoch zu veranschlagen.
Insgesamt dürfte die Bedeutung der Rechtsetzung in Form bi- und multilateraler Staatsverträge in unserer interdependenten Welt · solange es überhaupt noch Nationalstaaten gibt · weiter zunehmen: Sind
in dem Vierteljahrhundert von 1971 bis 1996, also von der XIII. bis zur XIX. GP, im Durchschnitt knapp mehr als 40 Staatsverträge pro Jahr vom Nationalrat genehmigt worden, so waren es in der XX. GP
rund 50, ein Wert also, der um rund 25 Prozent über dem langjährigen Durchschnitt liegt.
Die Zahl der Vereinbarungen gemäß Art. 15a des Bundes-Verfassungsgesetzes, deren Abschluss der Nationalrat in der XX. GP genehmigt hat, ist mit 8 zu gering, um als statistische Ausgangsgröße für
weitreichende Schlussfolgerungen dienen zu können. Immerhin fällt aber auch hier ein bei immerhin 50 Prozent liegender Anteil von einstimmig gefassten Genehmigungsbeschlüssen ins Auge. Versagt
geblieben ist die Einstimmigkeit natürlich den beiden politisch höchst gewichtigen Vereinbarungen über den Konsultationsmechanismus und den Stabilitätspakt zwischen den Gebietskörperschaften, die das
System der staatlichen Willensbildung massiv berühren.
Inhaltlich noch größer ist die politische Bedeutung eines vom Nationalrat am 18. Juni 1998, symbolträchtig vor Beginn der österreichischen Ratspräsidentschaft, genehmigten Staatsvertrages, nämlich
des Vertrages von Amsterdam, der den neben dem Vertrag von Maastricht wohl wichtigsten Schritt in der Weiterentwicklung des Primärrechts der EU darstellt.
EU-Mitwirkungsrecht
Während für die Fortbildung des gemeinschaftlichen Primärrechts also weiterhin das traditionelle Verfahren des Abschlusses von Staatsverträgen zur Anwendung gelangt, wird das Sekundärrecht der EU
von den gemeinschaftlichen Rechtsetzungsorganen fortgebildet, in einem Verfahren, in welches maßgeblich zwar die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Rat, nicht jedoch die nationalen
Parlamente eingebunden sind. Diese haben daher nach Instrumenten suchen müssen, die es ihnen erlauben, bereits im Vorfeld der Erlassung europäischer Rechtsakte die Position ihrer jeweiligen Regierung
in der Sache zu beeinflussen oder zu bestimmen, um nicht ihren Einfluss auf die materielle Gesetzgebung in weiten Bereichen, nämlich in jenen, in denen gemeinschaftliche Rechtsetzungskompetenzen
bestehen und wahrgenommen werden, zu verlieren.
Während manche Parlamente sich zur Erreichung dieses Ziels der traditionellen Instrumente der Mitwirkung an der Vollziehung wie des Resolutionsrechts oder der parlamentarischen Kontrollrechte, die
jedoch an sich für nachgängige Kontrolle der Vollziehung konzipiert sind, bedienen, hat der österreichische Bundesverfassungsgesetzgeber bereits unmittelbar vor dem Beitritt zur EU ein spezifisches
Instrumentarium dafür geschaffen: Art. 23e und 23f des Bundes-Verfassungsgesetzes legen der Bundesregierung nicht nur eine umfassende Verpflichtung zur Information des Nationalrates und des
Bundesrates über Vorhaben im Rahmen der EU auf, sondern räumen den Organen der Bundesgesetzgebung auch ein Stellungnahmerecht ein.
Liegt dem zuständigen Mitglied der Bundesregierung nun eine Stellungnahme des Nationalrates zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union vor, das durch Bundesgesetz umzusetzen ist oder das auf
die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet ist, der Angelegenheiten betrifft, die bundesgesetzlich zu regeln wären, so ist es bei Verhandlungen und Abstimmungen in der
Europäischen Union an diese Stellungnahme gebunden. Es darf davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen und nach neuerlicher Befassung des Nationalrates abweichen. Soweit der
in Vorbereitung befindliche Rechtsakt der Europäischen Union eine Änderung des geltenden Bundesverfassungsrechts bedeuten würde, ist eine Abweichung jedenfalls nur zulässig, wenn ihr der Nationalrat
innerhalb angemessener Frist nicht widerspricht.
Von diesem weitgehenden Stellungnahmerecht, das eine neue Qualität der parlamentarischen Mitwirkung an der Vollziehung darstellt, hat der zur Wahrnehmung dieses Rechts berufene Hauptausschuss des
Nationalrates zunächst sehr intensiven Gebrauch gemacht. Wie Figur 9 zeigt, hat diese Intensität jedoch mittlerweile stark abgenommen, nachdem Mitglieder der Bundesregierung anfangs heftige Kritik an
der ihrer Ansicht nach ihren Verhandlungsspielraum im Rat zu stark einschränkenden Stellungnahmepraxis geübt hatten; an die Stelle der formell bindenden Stellungnahme sind informellere Formen
getreten, in denen der Hauptausschuss bzw. die in ihm vertretenen Fraktionen den Vertretern Österreichs im Rat ihre Haltung zu europäischen Rechtsetzungsvorhaben kommunizieren.
Die Intensität der inhaltlichen Auseinandersetzung mit solchen Vorhaben hat sich nach dem auch in dieser Hinsicht herausragenden ersten Jahr der EU-Mitgliedschaft auf mittlerem Niveau eingependelt.
Das in Figur 10 bis einschließlich November berücksichtigte Kalenderjahr 1999 zeigt zwar einen deutlichen Rückgang der Zahl der Hauptausschusssitzungen, die sich mit EU-Vorlagen befasst haben, dies
ist jedoch naturgemäß auf die Latenzperiode vor und nach den Nationalratswahlen und die durch sie ausgelöste Verunsicherung zurückzuführen.
Der neugewählte Hauptausschuss des Nationalrates der XXI. GP hat erstmals den schon seit der GOG-Novelle 1996 vorgesehenen Ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der EU eingesetzt, der sich,
weitestgehend mit den gleichen Kompetenzen ausgestattet wie der Hauptausschuss selbst, als kleineres Gremium nunmehr ausschließlich mit EU-Vorlagen befassen kann, während der Hauptausschuss ja eine
Vielzahl anderer Aufgaben insbesondere im Bereich der Mitwirkung an der Vollziehung wahrzunehmen hat. Mit Interesse darf abgewartet werden, ob die Einsetzung dieses Gremiums wieder zu einer
intensivierten Ausübung der Mitwirkungsrechte des Nationalrates an der österreichischen Willensbildung in EU-Angelegenheiten führt.
Kontrolle der Vollziehung
Wie im Bereich der Mitwirkung des Nationalrates an der Vollziehung ist auch in jenem der Kontrolle der Vollziehung in der XX. GP eine weitere quantitative Steigerung der parlamentarischen
Aktivität nachweisbar; deutlicher als bei den Mitwirkungsrechten wird aber, dass der signifikante Quantitätssprung bereits von der XVI. zur XVII. GP erfolgt ist. Dies zeigt für das älteste und
traditionell wichtigste Kontrollrecht, das sogenannte Interpellationsrecht, also das Recht der Abgeordneten, Anfragen an die mitglieder der Bundesregierung zu richten, Figur 11 anhand der Entwicklung
des Durchschnittswerts der in den einzelnen Gesetzgebungsperioden seit 1945 eingebrachten schriftlichen Anfragen.
Die aus Tabelle 5 für die XX. GP ersichtliche Verteilung der schriftlichen Anfragen nach der Fraktionszugehörigkeit der Anfragesteller zeigt, dass die Kontrolltätigkeit des Nationalrates
schwerpunktmäßig von den Abgeordneten der Opposition wahrgenommen wird. 5298 der insgesamt 6797 schriftlichen Anfragen, also rund 78 Prozent, sind von Mandataren der Oppositionsfraktionen eingebracht
worden, die mit zusammen 60 Abgeordneten 32,8 Prozent der Mitglieder des Nationalrates stellten.
Wenn Mandatare der Regierungsfraktionen das Interpellationsrecht nutzen, dann vor allem zur Kontrolle der Tätigkeit von Regierungsmitgliedern der jeweils anderen Regierungspartei, aber auch für
"Präsentationsfragen", die den eigenen Regierungsmitgliedern Gelegenheit zur Darstellung ihrer Leistungen geben sollen.
Die in Tabelle 6 wiedergegebene Statistik der in der Fragestunde aufgerufenen mündlichen Anfragen zeigt demgegenüber keine ähnlich stark ausgeprägte Gewichtsverteilung zugunsten der oppositionellen
Fraktionen, weil der Aufruf der Anfragen nach einem feststehenden Verteilungsschlüssel erfolgt. Da für den Aufruf mündlicher Anfragen stets nur eine begrenzte Zahl von Fragestunden zur Verfügung
steht, kann auch kein langfristiger Anstieg der Zahl aufgerufener mündlicher Anfragen festgestellt werden. Bedingt durch die mit der GOG-Novelle 1988 erfolgte Einführung der Aktuellen Stunde, ist die
Zahl der Plenarsitzungen, in denen Fragestunden abgehalten werden können, sogar zurückgegangen. In der XX. GP sind ebensoviele Aktuelle Stunden wie Fragestunden, nämlich jeweils 40, durchgeführt
worden.
69 schriftliche Anfragen sind im Verlauf der XX. GP dringlich behandelt worden, was bedeutet, dass, wenn man von der Gesamtzahl der 182 Plenarsitzungen des Nationalrates die 50 kurzen
"Zuweisungssitzungen" abzieht, in mehr als der Hälfte der Sitzungen Dringliche Anfragen eingebracht worden sind. Faktisch hinzuzuzählen wären im übrigen noch die 15 prozedural der Dringlichen Anfrage
gleichzuhaltenden Dringlichen Anträge. Der säkulare Anstieg der quantitativen Nutzung des Instruments der Dringlichen Anfrage hat sich somit, wie auch aus Figur 12 deutlich wird, weiter fortgesetzt,
die einstmals "schärfste Waffe der Opposition" ist zum "business as usual" geworden. Nichtsdestoweniger ist zu bedenken, dass dieser quantitative Anstieg ohne die in der GOG-Novelle 1996 verankerten
Kontingentierungsmaßnahmen wohl noch deutlicher ausgefallen wäre.
Zur Entlastung der Plenarsitzungen des Nationalrates von Kontrollaktivitäten hat noch eine weitere Maßnahme der GOG-Novelle 1996 beigetragen: nämlich die Ermöglichung der Enderledigung von Berichten
der Bundesregierung bzw. ihrer Mitglieder im zuständigen Ausschuss des Nationalrates. Den 91 im Plenum erledigten derartigen Berichten standen in der XX. GP immerhin bereits 58 gegenüber, die auf
Ausschussebene enderledigt worden sind. Die dabei rechtlich gewährleistete Ausschussöffentlichkeit ist allerdings faktisch in der Regel nicht gegeben, was primär auf eine unglückliche
Verfahrenskonstruktion und die dadurch verunmöglichte zeitgerechte Information der Öffentlichkeit zurückzuführen ist.
Die parlamentarische Transparenzfunktion, die alle klassischen Parlamentsfunktionen durchdringt und die zentrale Rolle des Parlaments im Prozess der staatlichen Willensbildung begründet, hat dadurch
eine schmerzliche Beeinträchtigung erfahren. Zu den sich dem Nationalrat der XXI. GP stellenden Aufgaben wird es gehören, solche Mängel zu beheben. Darüber hinaus sind bereits im Zuge der nach den
Wahlen geführten "Sondierungsgespräche" sehr interessant erscheinende Maßnahmen zur Fortbildung des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts insbesondere im Bereich der Kontrollrechte · wie etwa des
sogenannten Enqueterechts, des Rechts zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen · angekündigt worden. Der neuen GP und dem vollen Anlaufen der parlamentarischen Arbeit darf folglich mit Spannung
entgegengesehen werden.Õ
Günther Schefbeck ist Leiter des Parlamentsarchivs