Zum Hauptinhalt springen

"Die Zahl rassistischer Straftaten in Europa ist konstant"

Von Stefan Beig

Politik

90.000 rassistische Straftaten pro Jahr in der Europäischen Union. | Am meisten betroffen sind die Roma. | Wien. "Rassismus ist ein universelles Phänomen", meint Alexander Pollak von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Rassismus sei freilich nicht angeboren, sondern "eine Ideologie, die weite Verbreitung gefunden hat. Rassismus ist nicht ein natürliches Phänomen, sondern etwas, was sich Menschen ausgedacht haben." Pollak ist einer der Vortragenden bei der Tagung "Rassismus - eine soziale und politische Konstruktion", die am Montag und Dienstag am Sir Peter Ustinov Institut stattfindet.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Entscheidend ist nicht nur die Sichtbarkeit, etwa die Hautfarbe, um rassistisch diskriminiert zu werden", erläutert der Politikwissenschafter gegenüber der "Wiener Zeitung". "Auch ein afrikanisch oder türkisch klingender Name oder ein nicht akzentfreies Sprechen der Sprache gehören zu den Kernelementen, an denen sich Rassismus aufhängt." Von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte wurden im vergangenen Jahr mehr als 90.000 rassistische Straftaten EU-weit registriert. "Insgesamt ist die Zahl in den letzten Jahren weitgehend konstant geblieben, es gibt jedenfalls keine Verringerung", berichtet Pollak. "In Österreich wurde jahrelang eine steigende Anzahl von rassistischen Akten gemeldet, was aber auch auf eine wachsende Bereitschaft zurückzuführen ist, solche Akte auch tatsächlich zu melden."

Freilich sei das nur die Spitze des Eisbergs: "Wir halten uns an die offiziellen Daten, aber viele Mitgliedsstaaten haben nur begrenzte Erhebungen, etliche Vorfälle werden auch nicht gemeldet." Die Datenerhebungsmechanismen seien sehr unterschiedlich. "In Großbritannien, Schweden und Finnland sind sie zum Beispiel sehr gut. In anderen EU-Ländern wie Italien, Malta, Portugal, Rumänien oder Spanien waren in den vergangenen Jahren keine offiziellen Daten verfügbar." Die gemeldeten Handlungen reichen von Schmierereien, Beschimpfung, Beleidigung und Diskriminierung bis zu Gewalt.

Rassismus passiert alltäglich

"Wir setzen uns mit Rassismus nicht nur theoretisch auseinander, sondern zeigen, dass viele Menschen alltäglich davon betroffen sind", so Pollak. Beim Arbeitsplatz beginne Diskriminierung bereits mit der Bewerbung. "In einigen Ländern haben Leute mit afrikanischen Namen schlechtere Chancen. Auch aus Deutschland gibt es Studien, wonach Türken gegenüber Nicht-Türken bei gleicher Qualifikation benachteiligt werden." Belästigungen oder Schlechterstellung zählten zu den Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz selbst.

"Aber auch bei der Wohnungssuche werden Personen mit türkisch klingenden Namen benachteiligt", betont Alexander Pollak. "Im Gesundheitsbereich haben wir Informationen, dass Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, dazu gehören auch Kinder, nur schwer Zugang zu Gesundheitseinrichtungen erhalten und dabei riskieren, den Behörden gemeldet und inhaftiert zu werden." Rassismus gibt es auch im Bildungsbereich: "So haben etwa in vielen Ländern Roma größere Probleme, Zugang zu qualitative hochwertiger Bildung zu erhalten. Wir erhalten auch immer wieder Informationen, dass in Schulen Materialien verwendet werden, die Minderheiten entweder verschweigen oder in einer klischeehaften Weise darstellen."

2008 wurden von der EU-Agentur in der bisher umfassendsten Rassismus-Studie 23.000 Minderheitenangehörige in Europa befragt, ob sie in den letzten zwölf Monaten schon von rassistischer Diskriminierung betroffen waren. "Dabei stellte sich heraus, dass die Roma am meisten betroffen sind: Rund 50 Prozent von ihnen erlebten im vorangegangenen Jahr Rassismus. An zweiter Stelle folgten die Afrikaner mit mehr als einem Drittel und die Türken, von denen etwa ein Viertel in den vergangenen zwölf Monaten diskriminiert wurden."

Vorbeugung gegen Rassismus geschehe unter anderem durch Antidiskriminierungsgesetzgebung: "Wenn ein Arbeitgeber weiß, dass Diskriminierung strafbar ist, dann hat das einen Effekt auf seine Handlungen, und das schärft das Bewusstsein in der Gesellschaft." Auch die Wirtschaft spiele eine Rolle. "Wenn sozioökonomische Differenzen in einer Gesellschaft zunehmen, zum Beispiel durch eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich, dann verschärft das ebenfalls die Spannungen." Kein klarer Zusammenhang sei hingegen zwischen der Zahl an Migranten in einer Gesellschaft und der Häufigkeit von Rassismus erkennbar.