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EU setzte wegen Morden und Plünderungen die Millionenhilfen aus.
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Bangui. Oberst Abdul Sanat gibt ein Kommando. Die 38 Männer, die vor ihm in Reih und Glied stehen, schlagen die nackten Hacken zusammen und salutieren. Sie sehen verwahrlost aus: zerschlissene T-Shirts, Camouflage-Hosen, barfuß. Einige können kaum durch ihre geschwollenen und blau geprügelten Augen blinzeln, andere tragen Mullbinden um ihre Wunden. "Wir haben noch kein Militärjustizsystem, doch wir bestrafen sie und sperren sie ein, um sie zu disziplinieren", sagt der Oberst, der für die Züchtigung zuständig ist. Über hundert habe er in wenigen Tagen festgenommen.
Was die Rebellenführung der Seleka (übersetzt: Allianz) im Innenhof eines heruntergekommenen Militärlagers in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, präsentiert, ist der verzweifelte Versuch, Ordnung im Chaoshaufen der Rebellenkoalition zu schaffen. Die Allianz dreier Rebellengruppen hatte am 24. März die Regierung von Diktator François Bozize gestürzt und die Macht an sich gerissen. Seitdem zogen Heerscharen bewaffneter Männer durch das Land, plündernd und mordend. In Bangui ist kaum ein Ministerium vom Raubzug verschont geblieben. In den Vierteln zogen sie von Haus zu Haus, klauten alles, was nicht niet- und nagelfest war.
Das hat dem Image der neuen Herrscher schwer geschadet. Dabei wissen auch die Rebellenführer, allen voran der neue Präsident Michel Njotodia und dessen Minister, die viele Jahre im Exil verbracht hatten, dass sie mit solchen Methoden nicht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gewinnen können. Doch diese brauchen sie jetzt dringend: 90 Prozent des Budgets stammten in dem bitterarmen Land bislang aus Entwicklungsgeldern. Die EU hat jedoch Hilfe im Wert von 200 Millionen Euro vorerst ausgesetzt und weigert sich, die Rebellenregierung anzuerkennen - vor allem wegen der Plünderungen, denn auch UN-Organisationen wie das Flüchtlingshilfswerk und Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen sind nicht verschont geblieben.
Falsche und Echte
Doch jetzt werde jetzt hart durchgegriffen, verspricht General Karim Abdel. Der Rebellenoffizier sitzt in einem langen grünen Gewand auf einer Couch in der Militärkaserne. Neben ihm liegen vier Smartphones, die schrille arabische Musik von sich geben, wenn sie klingeln. Die Seleka entstammt den muslimischen Stämmen aus dem Norden des Landes. Er überreicht eine frisch gedruckte Visitenkarte. Diese weist ihn als stellvertretenden Stabschef der Armee im neu gegründeten Ministerium für die "Restrukturierung der Armee, der Kriegsopfer sowie der Entwaffnung ehemaliger Kämpfer" aus.
Dass er und seine Offizierskollegen die Kommandogewalt über ihre Kämpfer verloren hatten, als sie im März die Hauptstadt stürmten und sich ihre Truppen auf einen gewaltigen Raubzug begaben, um ihren Sold einzustreichen, will er lieber nicht zugeben. Er redet sich heraus, indem er mit Zahlen jongliert: "In der Seleka hatten wir ursprünglich 3350 Mann, doch als wir Bangui einnahmen, waren es plötzlich über 7000. Die Hälfte davon gehört aber nicht zu uns", sagt er und lächelt freundlich. Es hätten sich auf dem 1000 Kilometer langen Marsch vom Nordosten des Landes, wo die Rebellion begann, in Richtung Hauptstadt alle möglichen Leute der Seleka angeschlossen. "Das sind aber falsche Seleka, und die versuchen wir jetzt festzunehmen", sagt er. Denn sie seien es gewesen, die die Plünderungen begangen hätten.
Immerhin, es ist ein kleiner Anfang, Ordnung herzustellen in einer Anarchie, die seit Wochen der Bevölkerung des ohnehin gebeutelten Landes zu schaffen macht. Seit einer Woche patrouilliert eine Seleka-Militärpolizei mit sieben Fahrzeugen durch Bangui.
Die Armee der Zukunft
Alle Kämpfer seien vorerst in die Militärkasernen eingezogen worden, um sie in Listen zu erfassen, versichert General Abdel. Und tatsächlich: Fast alle, die seitdem auf den Straßen der Hauptstadt herumstolzieren, tragen frisch gedruckte ID-Karten an einem Band um den Hals: Unter dem Seleka-Abzeichen neben dem Passfoto stehen Name, Geburtsdatum, Identifikationsnummer sowie Einheit und Name des Kommandeurs - gestempelt und unterzeichnet vom neuen Minister für interne Sicherheit, Rebellengeneral Nouredhine Adam, einem der vier großen Seleka-Führer.
Bald sollen die Kämpfer, die in Zukunft mit Teilen der ehemaligen Regierungstruppen die neue Armee stellen sollen, zum ersten Mal ihren Sold erhalten - eine weitere Maßnahme, den Plünderungen Einhalt zu gebieten. Die Seleka-Führung hatte sich bereits vor der Einnahme der Stadt unter Druck der Nachbarländer auf eine Übergangsregierung eingelassen. Oppositionsführer Nicolas Tiangaye wurde zum Premierminister ernannt. Seleka-Führer Njotodia bekam den Präsidentenposten - und er sicherte Neuwahlen in 18 Monaten zu. Es scheint, als habe zumindest die oberste Führung mittlerweile kapiert, dass eine Bevölkerung, die man ausraubt, bei einigermaßen demokratischen Wahlen nicht unbedingt für die Seleka stimmen wird. Doch auf die Unterstützung ist man angewiesen, denn die Seleka entstammt einer winzig kleinen Minderheit aus dem Nordosten des Landes.