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Die Zaubermeister der Materie

Von Stefan Müller und Eva Stanzl

Wissen
"Beam mich hoch, Scotty": Obwohl sie weit davon entfernt ist, Menschen zu beamen, hat die Physik seit der ersten Staffel von "Raumschiff Enterprise" Quantensprünge gemacht. Foto: corbis

Experte Rainer Blatt: "Die Quantentechnologie wird das 21. Jahrhundert bestimmen." | Regeln der bekannten Welt werden dabei auf den Kopf gestellt. | Wien. Erst vor kurzem haben die Überflieger wieder für Schlagzeilen gesorgt. Nein, die Rede ist nicht von den Skispringern, vielmehr geht es um echte Quantensprünge. Trotz Platzmangels und Budgetnöten an den heimischen Unis haben es Quantenphysiker in Innsbruck und Wien geschafft, eine beachtliche Exzellenz aufzubauen.


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In dem erst Ende 2010 gegründeten Vienna Center of Quantum Science and Technology (VCQ) bündeln nun rund 100 Wissenschafter der Technischen Universität (TU) Wien, der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ihre Kräfte.

Dabei wurde Pionier Helmut Rauch in den 1970er Jahren, als er seine grundlegenden Arbeiten zur Quantenmechanik am Atominstitut der TU begann, zunächst nur belächelt. Ihm gelang 1974 der Beweis, dass ein und dasselbe Teilchen sowohl Materie als auch Welle sein kann. Sein Schüler, der heute weltbekannte Quantenphysiker Anton Zeilinger, legte danach den Grundstein für die Quantenphysik an der Universität Innsbruck. Mitte der 90er Jahre gelang es, Peter Zoller an den Inn zu locken. Später folgten mit Rainer Blatt und Rudolf Grimm weitere Koryphäen. 1999 ging Zeilinger als Professor nach Wien. Ab 2003 wuchsen schließlich die Forschungszentren beider Städte im Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Akademie der Wissenschaften zusammen. 2006 kam Jörg Schmiedmayer, mit Zeilinger einer der Gründer des VCQ, nach Wien zurück.

Erinnerungen an"Raumschiff Enterprise"

Dafür, dass dort täglich die Regeln der bekannten Welt auf den Kopf gestellt werden, sieht das Institut recht unspektakulär aus. Auf Versuchstischen tummeln sich Kabel, Optiken, Leitungen und Linsen. Einzig die Laser und Kühlzylinder, in denen die Atome frieren, erinnern ein wenig an die Fernsehserie "Raumschiff Enterprise". Dennoch erreicht Neues aus der Quantenwelt die Nachrichtenagenturen im Wochentakt. Schlagzeilen wie "Schwingungsdämpfung: Quantenphysiker lösten Rätsel klassischer Physik" oder "Quantencomputer gibts noch nicht - Simulationsmethoden dafür schon" scheinen für Laien unverständlich. Und selbst die Experten fragen sich, wohin ihr Fachgebiet sie führen wird.

Was ein Quantencomputer ist? "Wir wissen es nicht", sagt Jörg Schmiedmayer: "Das Missverständnis liegt darin, dass ein wissenschaftliches Konzept mit einer Anwendung verwechselt wird. Das Konzept könnte aber derart schwierig zu implementieren sein, dass man es erst in 1000 Jahren schafft. Aber beschäftigen muss man sich damit."

Quanten sind unberechenbar und halten niemals still

Das Konzept ist, gelinde gesagt, unglaublich. Quanten - die kleinsten Teilchen der Materie - lassen sich durch ihren Impuls und ihre Ladung charakterisieren. Doch sie sind - wie verzogene Kinder, die nie erwachsen werden - unberechenbar, weil sie niemals stillhalten. Ihr Aufenthaltsort lässt sich nicht vorhersagen; ihr Zustand entsteht überhaupt erst durch dessen Messung; gleichzeitig werden die fragilen Quanteneffekte durch die Messung sofort wieder zerstört.

In herkömmlichen Computern werden die Informationen elektromagnetisch in zwei Zuständen gespeichert - Bits, die dem Wert 1 oder 0 entsprechen. Ein System von bloß zwei Quantenbits kann hingegen die Zustände 00, 01, 10 und 11 gleichzeitig annehmen und ein Rechenvorgang in allen Varianten ablaufen. Eine Ansammlung von 300 Atomen, die je ein Quantenbit speichern, könnte mehr Werte enthalten, als es Teilchen im Universum gibt. Die Leistung eines Quantencomputers wäre also unvorstellbar.

Doch noch gibt es diese universelle Rechenmaschine nicht. Denn die Quantenwelt lässt sich mit ihren seltsam anmutenden Gesetzen kaum vollständig auf herkömmlichen Computern simulieren, weil die Rechenleistung dafür nicht ausreicht. Daher existieren erst Teilerfolge. Durch Tiefkühlen im Vakuum lassen sich Teilchen in denselben Grundzustand bringen und mit Magnetfeldern festhalten. Werden sie angeregt, etwa durch Laserlicht, nehmen sie gemeinsam einen neuen Zustand ein: Sie verschränken (quasi verbinden) sich. Mit verschränkten Ionen haben Forscher um Rainer Blatt in Innsbruck bereits Systeme mit bis zu 14 Quantenbits geschaffen und simple Quanten-Algorithmen ausgeführt. Und sie haben gezeigt, dass Quantenbits per Funk kommunizieren.

"Die Quantenmechanik ist eine Wellenmechanik", erklärt Blatt. Wellen haben Berge und Täler. Wenn ein Wellenberg und ein Wellental aufeinander treffen, gibt es eine Überlagerungserscheinung beim Zusammentreffen - also eine Interferenz. Bei der Messung der Quanten-Zustände werden unter anderem die Interferenzmuster beobachtet, die Informationen von allen Wellen gleichzeitig enthalten. Wenn man jedoch ein Parameter im Muster ändert, ändert sich alles. Blatt vergleicht es so: "Wenn ich den Finger in Wasser stecke, ändert sich das gesamte Muster auf der Wasseroberfläche. Die gesamte Information steckt im Interferenzmuster", erklärt Blatt.

Quantencomputer sollen der besseren Daten-Verschlüsselung dienen, da sie Zahlen schneller in ihre Faktoren zerlegen können. Weil sie Information in Form von Interferenzen überlagern, sind alle Informationen gleichzeitig da.

Antworten auf Fragen, die noch nie gestellt wurden

Allerdings führte bisher jede Störung durch die Umwelt, etwa die Messung in einem Quantensystem, zum Zusammenbruch der fragilen Effekte. Daher mussten die Wissenschafter bisher ihre Systeme abschirmen. Blatt und sein Team haben die Grundbausteine eines Quantensimulators geschaffen, bei dem Umgebungseinflüsse nicht mehr stören, sondern nutzbringend eingesetzt werden. Das Simulieren von Quantenzuständen soll auch helfen, die Quanten selbst besser zu verstehen. Routinemäßig könnten Quantensimulator jedoch frühestens in zehn Jahren anwendbar sein. Dennoch ist Blatt überzeugt: "Die Quantentechnologie wird das 21. Jahrhundert bestimmen. Sie wird Antworten geben auf Fragen, die bisher noch nie gestellt wurden." So wie der Computer selbst.

Spukhafte Fernwirkungüber Satelliten

Pionier Anton Zeilinger wurde durch das "Beamen" berühmt: Wenn man zwei verschränkte Photonen voneinander entfernt und an einem eine Messung vornimmt, wird der Zustand beim zweiten Teilchen exakt derselbe sein - wie bei zwei Würfeln, die die gleiche Zahl anzeigen. Über Satelliten könnten mithilfe dieser spukhaften Fernwirkung weltweit Quanteninformationen und abhörsichere Codes getauscht werden. Derzeit entwickeln die Wiener mit einigen ihrer zwölf Industriepartner neue Photonenquellen und passende Hardware.

Die Menschen interessiert meist nur, was bei dem Zauber am Ende herauskommt. Das größte Potenzial räumt Schmiedmayer der Nanountersuchung ein. Dabei soll ein Phänomen genutzt werden, das Diamanten mit Fehlerstrukturen aufweisen, wenn man sie mit Laserlicht anstrahlt: Dann geben sie Licht in bestimmten Quantenzuständen ab, mit dessen Hilfe es möglich sein könnte, in menschlichen Zellen magnetische Ströme bis zu zehn Nanometer Auflösung zu detektieren. Damit würde in der Medizin die Struktur einzelner Moleküle messbar. "Das könnte unser Verständnis davon, wie biologisch aktive Moleküle funktionieren, revolutionieren", sagt Schmiedmayer. Budget hat das VCQ noch keines. Die 100.000 Euro, die das Ministerium spendet, reichen zur Finanzierung von einer der drei Postdoc-Stellen, die jährlich ausgeschrieben werden. Geldbeschaffung ist das täglich Brot des Wissenschafters.