In einem Monat soll im Libanon gewählt werden. Doch ein Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel steht bevor.
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Beirut. Ahmad Mansours Lebenstraum wäre es gewesen, nach Europa auszuwandern. "Schottland", sagt er, "hätte mir am besten gefallen." Doch mit 48 Jahren, nach einer Karriere als Verkäufer in einer Filiale eines italienischen Modelabels in den Emiraten, sei es an der Zeit, wie er meint, sich langsam mit dem anzufreunden, was das Leben von den Träumen übrig ließ. Einen Job als Kriegs-Erklärer der Hisbollah.
Über tausend Meter hoch liegt sein Einsatzort in Mleeta: Im von der Hisbollah errichteten "Kriegsmuseum" in den Bergen des Südlibanons wird der Konflikt mit Israel zum Kult hochstilisiert. Das Areal strotzt vor brachialer Ästhetik. Erbeutetes und zerstörtes Kriegsgut aus israelischen Beständen und eigenes Waffenmaterial werden vorgeführt. Dazu kommt ein Waldstück, wo Bunkersysteme und Kommandozentralen nachgebaut wurden, ein Audio-System spielt Maschinengewehrsalven ab. Stolz führt Mansour durch das zehn Jahre alte Museum, das seit seinem Bestehen tausende Schulklassen und hunderttausende Tagestouristen besucht haben. "Hier hat der Widerstand gegen Israel begonnen", erklärt er die Wahl des Ortes. Er schildert die erste Phase "des Guerilla-Kampfes in den frühen 1980er Jahren, als eine kleine Gruppe von opferbereiten Männern Widerstand gegen die israelische Besatzung leistete". Der Kreis könnte sich nun schließen, deutete er an. Der nächste Krieg sei nur noch eine Frage von Tagen, vielleicht Wochen. Doch über die aktuelle Lage zu sprechen, dazu "bin ich nicht befugt".
Aufmunitioniert wie nie zuvor
In Libanons Süden steht alles unter der Kontrolle der schiitischen Miliz. Die Straßenränder sind hier gesäumt mit großen Fotos von "Märtyrern": Jungen, libanesischen Männer, die im Krieg in Syrien auf der Seite des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gefallen sind. Aufmunitioniert vom Iran wie nie zuvor, verfügt die Gruppe derzeit über 150.000 Raketen, gerichtet auf Israel. 50.000 Mann hat der militärische Flügel der Gruppe derzeit unter Waffen, darunter Einheiten, die im Krieg in Syrien von Irans Revolutionsgarden und der russischen Armee trainiert wurden. "Wir haben zentrale taktische Fähigkeiten erworben, die es möglich machen, eine echte Bodenoffensive zu führen. Nicht nur in Städten wie Aleppo, sondern auch bei uns an der Front", prahlt einer der Kämpfer, der an einem Checkpoint stationiert ist und seine Langeweile für ein Gespräch nutzt.
Es ist ein Interview, das nie hätte stattfinden dürfen. Message Control, erklärt Hisbollah-Sprecherin Aya Saheli mit einem schmalen Lächeln, warum sie keine Interviews gestatten möchte: Nicht mit Kämpfern, nicht in Schulen oder Supermärkten, die von der Hisbollah betrieben werden. Der Hybrid aus Miliz, Wohlfahrtsorganisation und politischer Partei lässt sich derzeit weniger denn je in die Karten blicken. Zu viel steht auf dem Spiel: Ein weiterer militärischer Konflikt mit Israel braut sich zusammen, eine historische Parlamentswahl steht Anfang Mai auf dem Programm.
In ihrem Büro im Süden Beiruts erzählt Hisbollah-Sprecherin Saheli lieber davon, dass ihre Gruppe den Libanon nicht verändern wolle. Und vor allem, dass man nun zur eigentlichen Identität zurückfinden müsse: "Wir sind eine Widerstandsgruppe. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Israel die Stirn zu bieten."
Geeint gegen Israel
Mara Karlin, ehemals hochrangige Mitarbeiterin des US-Verteidigungsministeriums, stellt das bedrohliche Szenario eines sich anbahnenden neuen Krieges bereits im Februar in der Fachzeitschrift "Foreign Affairs" als tragische, aber logische Konsequenz der jüngsten Entwicklungen dar. Ein wesentlicher Kriegsgrund sei dabei aber nicht die Stärke, sondern die derzeitige Schwäche der Hisbollah: "Die Popularität der Gruppe in der arabischen Welt ist abgestürzt. Deshalb ist es notwendig, ihre Glaubwürdigkeit als anti-israelische Speerspitze wieder aufzumöbeln."
Karlin ist bei weitem nicht die Einzige, die derzeit davon ausgeht, dass es bald zu diesem Krieg kommt. Die aktuelle Krise rund um die Proteste im Gaza-Streifen, die anstehende Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, ein libanesisch-israelischer Streit um ein Gasfeld im Grenzgebiet und wachsende direkte Auseinandersetzungen auf syrischem Territorium stellen derzeit die Weichen in blitzartigem Tempo auf Sturm.
Als Beginndatum dieses möglichen Krieges, der eine nie dagewesene Eskalationsstufe zu erreichen droht, wird in den Geschichtsbüchern vielleicht einmal der 10. Februar 2018 vermerkt werden. Damals war eine iranische Drohne in den nordisraelischen Luftraum eingedrungen. Israelische F-16-Jets stiegen daraufhin auf, um einmal mehr Bastionen von Iran-treuen Milizen in Syrien anzugreifen. Einer der Jets wurde von der syrischen Luftabwehr getroffen und stürzte später auf israelischen Boden ab. "Von jetzt an wird nicht mehr die Rede von der syrischen Armee, der irakischen oder iranischen die Rede sein", tönte es anschließend aus den Studios des Hisbollah-nahen TV-Senders Al Manar. "Stattdessen wird es eine einzige gemeinsame Widerstandsarmee geben."
"Der Westen muss helfen"
Die Zeichen dafür, dass der Syrienkonflikt nahtlos in einen regionalen Krieg überzugehen droht, sind längst sichtbar. Bereits 2012 kam der Kommandant der iranischen al-Quds-Einheiten Qassim Soleimani mit einer Herrschar schiitischer Milizen Assad zu Hilfe, und schon damals übernahmen Kämpfer aus dem Irak und der Hisbollah eine tragende Rolle. Heute sind die Verbindungen noch viel tiefer: Von Beirut bis Bagdad verwenden schiitische Milizen bereits das selbe Branding, das von gezeichneten Maschinengewehren auf gelbem Hintergrund bestimmt wird.
Die 3,6 Millionen Einwohner des Libanon versuchen indes, erstmals seit 2009 ein Parlament zu wählen. Seit dem Ende des Bürgerkriegs soll ein Proporzsystem die Stabilität im Land gewähren. Ausgegangen wird dabei davon, dass die zentralen Gruppen des in viele Konfessionen zersplitterten Landes, Maroniten (Christen), Sunnis und Schiiten, jeweils rund ein Viertel der Bevölkerung stellen und sich die übrigen Gruppen auf das restliche Viertel verteilen. Doch zuletzt zeigte sich der Trend, dass die Schiiten zur größten Gruppe im Land geworden sind, obwohl das Proporzsystem den Christen deutlich mehr Sitze im Parlament gewährt.
Ein neues Wahlgesetz soll das starre Proporzsystem daher auflockern und es wird sich zeigen, wie stark der politische Flügel der schiitischen Gruppe ihre Anhänger mobilisieren kann. "Der Krieg von 2006 hat viele gegen die Hisbollah aufgebracht", sagt Bassem Shaab, ein christlicher Abgeordneter, der auch im Verteidigungsausschuss sitzt. "Niemand im Libanon will ein weiteres Mal einen Konflikt riskieren und dann vor den Trümmern des Landes stehen." Nach Shaabs Ansicht ist die Hisbollah zudem durch den Verlust von 2000 Kämpfern in Syrien geschwächt. Wichtig sei nun aber, dass "Europa und die USA die moderaten Kräfte im Libanon stärken", sagte Shaab. Man müsse den Einfluss des Irans über die Hisbollah ausbalancieren: Sonst drohe der Libanon, die wichtigste Insel der Stabilität, die eine Million syrische Flüchtlinge beherbergt, verloren zu gehen.