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Die Zeit arbeitet gegen Irans Regime

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Plädoyer für eine Iran-Politik des "kreativen Opportunismus": Die USA sollten sich den politischen Unfall ihres größten Gegners im Nahen Osten zunutze machen.


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Schaut man sich dieser Tage die Politik gegenüber dem Iran an, kann man richtig benommen werden. Vielleicht hilft eine ganz einfache Analogie: Der Unruhestifter aus der Nachbarschaft ist von der Straße abgekommen und im Straßengraben gelandet. Er hört nicht auf, Gas zu geben, bekommt den Karren aber nicht mehr vom Fleck. Wie soll man darauf reagieren?

Ich würde in Ruhe warten, bis sich der Staub legt. Bevor ich ihm Hilfe anbiete, würde ich den überheblichen Lenker erst einmal um Hilfe bitten lassen. Wenn er ein Abschleppseil braucht, soll er einen Deal vorschlagen, der das Versprechen beinhaltet, dass er die Nachbarschaft künftig nicht mehr terrorisieren wird.

Aus dem feststeckenden Wagen sind Geräusche zu hören, die nach Streit klingen. Es hört sich so an, als wolle ein anderer, ein vielleicht nicht so rücksichtsloser Lenker, das Steuer übernehmen. Vielleicht möchten auch manche Freunde des großspurigen Lenkers nun nicht mehr mitmachen. Man weiß nicht, was als Nächstes passieren wird, daher sollte die Polizei verständigt werden. Nur für den Fall.

Wofür ich mich einsetze, ist eine Iran-Politik des "kreativen Opportunismus". Die USA sollten sich den politischen Unfall ihres größten Gegners im Nahen Osten zunutze machen. Der Wahlschwindel von Präsident Mahmoud Ahmadinejad ist nach hinten losgegangen. Und der Versuch von Religionsführer Ali Khamenei, die Demonstranten zum Schweigen zu bringen, hat nur seine Schwäche ans Licht gebracht.

Sollte diese Legitimitätskrise die iranische Führung zu ernsthaften Verhandlungen über ihr Atomprogramm bewegen - sehr gut. "Ahlan wa sahlan", wie die Araber sagen: Herzlich willkommen, und macht uns doch ein Angebot, bitte. Aber falls die Iraner, was wahrscheinlicher ist, für seriöse Verhandlungen im Moment zu sehr in Anspruch genommen sind, dann sollten die USA abwarten und Tee trinken.

Wie könnte das aussehen? Fangen wir mit Syrien und der Hamas an, die beide keine wirkliche, keine beständige Affinität zu Teheran haben. Aber beide haben bisher von den großzügigen Geschenken profitiert, die der Iran gern verteilt. Die Verlässlichkeit Irans als Schirmherr steht jetzt aber auf dem Spiel, und seine Freunde könnten nun lieber ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollen.

Das ist ein idealer Zeitpunkt für die USA, Alternativen auszuloten: Diplomatische Gespräche mit Syrien auf breiter Basis zum Beispiel, und geheime Kontakte mit der Hamas. Sogar die Hisbollah könnte nun reif für geheime Kontakte sein. Wir befinden uns an einem der Angelpunkte der Geschichte, ähnlich wie nach dem arabisch-israelischen Krieg 1973, wenn sich beherzte Diplomatie wirklich bezahlt machen kann.

Welche Möglichkeiten bieten sich noch aus westlicher Sicht? Am meisten schwächen könnte man die Hardliner in Teheran mit einem Durchbruch in Sachen palästinensischer Staat. Umgekehrt wäre allerdings ein Angriff Israels die größte Unterstützung für Ahmadinejad & Co, weil er alle im Iran wieder zusammenschweißen würde.

Und dann wäre da noch die Öl-Karte: Würden die Saudis zustimmen, die Produktion zu erhöhen und die Preise zu senken, könnte der wirtschaftliche Engpass im Iran politische Veränderungen bewirken. Die Verbündeten der USA sollten sich ebenfalls in kreativem Opportunismus üben.

Wenn die Iraner Gespräche mit dem Westen wollen, sollen sie sich zur Abwechslung einmal darum bemühen. Tun sie das nicht, sollte sich US-Präsident Obama für härtere Sanktionen einsetzen. Das Blatt hat sich gewendet: Die Zeit arbeitet nun gegen das iranische Regime.

Übersetzung: Redaktion