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Der zweite EU-Botschafter und Österreichs Delegierter in den Brexit-Verhandlungen, Gregor Schusterschitz, im Gespräch.
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"Wiener Zeitung":Das Brexit-Abkommen, das vor dem EU-Gipfel fixiert wurde, unterscheidet sich nur auf wenigen Seiten von dem, das seit einem knappen Jahr auf dem Tisch liegt. Wie wurde es für Premier Boris Johnson akzeptabel? Was hat sich verändert?Gregor Schusterschitz: Die Gefahr eines No-Deal ist wohl realistischer geworden. Um das zu vermeiden, gab es Bemühungen, eine Einigung zu finden. Es hat auch eine gewisse Haltungsänderung auf Seiten Irlands gegeben. Für uns war das immer einer der wichtigsten Aspekte: Mit einer Nordirland-Lösung muss zunächst einmal Irland leben können. Und wenn Dublin bereit ist, gewisse Dinge zu akzeptieren, werden wir nicht dagegen sein - solange die Integrität des Binnenmarktes gewährleistet ist. Das war wiederum für uns ausschlaggebend.
Keine Kraft mehr für weitere Verhandlungen?
Generell hat sich die Stimmungslage geändert. Es gab keine Lust mehr, alles aufzuschieben, hinauszuzögern und das Thema Brexit über allem anderen kreisen zu lassen. Das nimmt viel Kraft, Energie und geistige Kreativität. Dabei muss sich die EU auch mit anderen Themen befassen. Es ist das Gefühl, dass die Zeit der Herumspielerei vorbei ist.
Wird der Brexit also bald Realität und nicht doch wieder verschoben?
Die Bereitschaft, es wieder zu verschieben, hat abgenommen. Das hat schon im April, vor der ersten Verzögerung, begonnen. Einige EU-Staaten wollten das schon damals mit Mai begrenzen. Wir müssen das Perpetuum mobile der Verschiebung durchbrechen, hieß es. Das war damals noch eine Minderheitenmeinung, mittlerweile ist sie es wahrscheinlich nicht mehr.
Und wenn der Deal nicht hält?
Das ist eine offene Diskussion. Diese Frage wurde nicht abschließend debattiert. Das könnte bei einem Sondergipfel geschehen. Es gibt keinen Vorratsbeschluss.
Wie im April, als festgeschrieben wurde, dass die Briten an der EU-Wahl teilnehmen müssen?
Ja, da wurden zuvor schon verschiedene Szenarien durchgespielt.
Wer hat sich vor der aktuellen Einigung mehr bewegt, die EU oder Großbritannien?
Es haben sich beide Seiten bewegt. Boris Johnson etwa in der Nordirland-Frage, indem er akzeptiert hat, dass teilweise unsere Binnenmarkt-Regeln aufrecht bleiben und dass es keine Zollgrenze (auf der irischen Insel) gibt. Wir wiederum haben uns bewegt, indem wir zugestimmt haben, dass Zollkontrollen nicht an der EU-Außengrenze stattfinden, und akzeptiert haben, dass es eine Beendigungsmöglichkeit gibt.
Wie sieht das dann aus, wenn Großbritannien mit den USA beispielsweise ein Handelsabkommen abgeschlossen hat?
Die Briten importieren zum Beispiel Reifen aus den USA, zu dem Zollsatz, der im bilateralen Vertrag festgeschrieben ist. Der Container wird in Liverpool angeliefert und ausgeladen, doch ein Teil geht nach Belfast. Dabei werden die Reifen mit EU-Sätzen verzollt. Wenn sie aber alle in Nordirland verkauft werden und nicht in die EU gelangen, kann der Importeur Rückerstattung des EU-Zolls verlangen. Die Höhe der Rückerstattung bemisst sich dann am ursprünglichen britischen Zoll.