Chinas relative Macht ist am Höhepunkt, doch künftig wird das Land massiv schrumpfen.
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Die vergangenen Jahrzehnte, eigentlich Jahrhunderte hatte China den Faktor Zeit auf seiner Seite. Mochte die Gegenwart noch so trist sein, die Führung konnte sicher sein, dass das Reich der Mitte früher oder später wieder seinen Platz unter den mächtigsten Staaten einnehmen würde. Die schiere Masse an Menschen und das Ausmaß seiner harten wie weichen Ressourcen waren die Garanten dafür.
Dieses Grundvertrauen in die eigene Stärke war mitausschlaggebend dafür, dass sich China in den vergangenen Jahrzehnten den Verzicht auf eine aggressive Außenpolitik leisten konnte und wollte.
Nunmehr nähert sich Chinas Macht ihrem Scheitelpunkt, am Horizont wartet eine demografische Krise, deren Wucht und Folgen noch gar nicht absehbar sind. Um die Dimensionen deutlich zu machen: Von 1950 bis 2020 wuchs Chinas Bevölkerung von 544 Millionen auf 1,4 Milliarden an. Bis zum Jahr 2100 wird die Bevölkerung dagegen auf 766 Millionen, zum Großteil ältere Menschen, absacken. Das bedeutet einen Verlust von 660 Millionen potenziellen Arbeitskräften, Eltern, Konsumenten, Wissenschaftern und Soldaten. Der ungeliebte Nachbar Indien wird dann bevölkerungstechnisch gut doppelt so groß sein - und jünger noch dazu. Auch der Erzrivale USA wird um 60 Millionen Menschen wachsen.
China hat den Faktor Zeit nicht mehr auf seiner Seite, obwohl das Reich der Mitte, absolut betrachtet und wenn es sich nicht selbst ins Chaos stürzt, eine dominante Kraft bleiben wird.
Was bedeutet eine solche Perspektive für Chinas Verhalten in Gegenwart und absehbarer Zukunft? Und vor allem: Welche Schlüsse wird Xi Jinping, der auf dem am Sonntag beginnenden 20. Parteitag der KP für weitere fünf Jahre als mächtigster Mann Chinas bestätigt wird, daraus ziehen? Schon bisher hatte Xi mit der international traditionell zurückhaltenden Rolle der Vorgänger gebrochen und nationale Interessen nach innen wie außen druckvoll verfolgt. Wirksamstes Mittel war dabei verlässlich die enorme wirtschaftliche Macht des Riesenreiches als Produzent und Absatzmarkt.
Wird Xi nun noch offensiver die nationalen Ziele verfolgen, weil sich das "Window of Opportunity" zu schließen beginnt? Das Gefühl "jetzt oder nie mehr" birgt insbesondere mit Blick auf Taiwan, das Peking als abtrünnige Provinz betrachtet, Explosionsgefahr. Ähnliches gilt für die diversen territorialen Dispute, die China mit seinen Nachbarn im Südchinesischen Meer austrägt.
Xi Jinpings dritte Amtsperiode an der Spitze Chinas wird zeigen, wie das Land mit der ungewohnten Perspektive sinkender relativer Macht umgehen wird.