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Mehmet Ali Talat im "WZ"-Interview: "EU hat ihre Versprechen nicht gehalten." | Richtungsweisende Präsidentenwahl auf Nordzypern. | Nikosia. Wenn am Sonntag in der Türkischen Republik Nordzypern Präsidentenwahlen stattfinden, werden sie nur von der Türkei anerkannt. Seit mehr als 35 Jahren, seit dem Einmarsch türkischer Truppen, ist die Mittelmeerinsel in zwei Teile zerrissen. Als geteiltes Land trat sie der Europäischen Union bei. Der Volksgruppenführer der türkischen Zyprioten, Mehmet Ali Talat, bewirbt sich nun um seine Wiederwahl.
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"Wiener Zeitung": Sie sind seit fünf Jahren Präsident, und eine Wiedervereinigung Zyperns ist noch immer nicht in Sicht. Warum sollten die Wähler abermals für Sie stimmen? MehmetAli Talat: Für eine Lösung muss es zunächst eine Einigung mit der Gegenseite geben. Die ersten Jahre meiner Präsidentschaft habe ich mit Tassos Papadopoulos, "Mr. No", gesprochen. Mit Präsident Demetris Christofias verhandeln wir seit eineinhalb Jahren, und wir haben gute Fortschritte erreicht - etwa in den Kapiteln Wirtschaft und EU-Angelegenheiten. Aber wegen interner Probleme auf der griechisch-zypriotischen Seite geht es langsam voran. Damit bin ich nicht zufrieden. Doch ohne die Politik, die ich betreibe, könnten die Verhandlungen gar nicht weitergehen. Für diese Fortsetzung sollten die türkischen Zyprioten stimmen. Ohne dies ist eine Lösung nicht möglich.
Die EU meint, jetzt wäre die richtige Zeit für eine Lösung. Doch das hat sie immer wieder gesagt. Was ist heute anders?
Das Bedürfnis nach einer Lösung war immer da. Doch nun rennt uns die Zeit davon. Denn die Zeit steht nicht auf der Seite einer Wiedervereinigung. Sie bringt die Menschen dazu, sich mit dem Status quo abzufinden. Eine Umgewöhnung fällt immer schwerer. Je länger Menschen etwa in einem Haus leben, umso schwieriger wird es für sie, dieses Haus zu verlassen.
Genau das ist eines der größten Probleme: die Rückgabe von Grundstücken jener Menschen, die 1974 vertrieben wurden.
Bei den Verhandlungen dazu haben wir noch keine Fortschritte erzielt, weil die griechischen Zyprioten stur sind. Wir haben eine Kommission zur Klärung der Eigentumsfragen eingerichtet, aber die griechischen Zyprioten haben sich geweigert, sie zu akzeptieren. Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Legitimität der Kommission anerkannt.
Haben die Menschen nicht schon genug vom Zypern-Problem, von all den Verhandlungen?
Dieses Gefühl ist weit verbreitet, auf beiden Seiten.
Wäre dann eine ständige Abspaltung, etwa wie beim Kosovo, nicht denkbar?
Mit dieser Möglichkeit spielen meine Gegenkandidaten. Doch die türkischen Zyprioten brauchen internationale Anerkennung.
Unterstützt die Türkei eine Wiedervereinigung?
Auf jeden Fall. Und ich bin der beste Zeuge dafür. Die Türkei unterstützt mich, meine Ideen und meine Politik. Wenn sie dies nicht tun würde, dürfte ich mich nur im Zeitlupen-Tempo bewegen.
Zypern wird auch als Argument gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei verwendet. Fühlen Sie sich als Geißel?
Ja, und das ist extrem unfair.
Sind Sie von der Europäischen Union enttäuscht?
Sehr. Die EU ist mit dafür verantwortlich, dass die Gleichgültigkeit gegenüber einer Wiedervereinigung steigt und ebenso die Sympathie für meine Gegenkandidaten, die für eine andere Lösung plädieren. Die EU hat ihre Versprechen nicht gehalten, etwa dass sie die Isolation der türkischen Zyprioten aufhebt. Es gibt noch immer keine Direktflüge oder direkten Handel.
Die Türkei wiederum lässt noch immer keine griechisch-zypriotischen Flugzeuge landen. Und sie hat noch nicht vor, ihre Truppen aus Nordzypern abzuziehen.
Sie ist eine der Garantiemächte Zyperns. Und wir haben bei den Verhandlungen noch immer keine Einigung zum Kapitel Sicherheit erzielt.
Brauchen Sie überhaupt noch eine Garantiemacht, als Mitglied der EU?
Wir brauchen Garantien für unsere Sicherheit. Die Europäische Union kann diese bei internen Problemen nicht geben. Was konnte sie denn für Spanien im Baskenkonflikt tun? Oder in Nordirland, im Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten?
Fände jetzt ein Referendum zur Wiedervereinigung statt - was wäre das Ergebnis?
Wenn wir zu einer Einigung gelangen, werden wir die Bevölkerung genau über das Abkommen informieren. Wir werden sie überzeugen.
Der 57-jährige Sozialdemokrat Mehmet Ali Talat ist seit 2005 Volksgruppenführer der türkischen Zyprioten.