Spindelegger: "Alles ist offen." | Gordon Brown gibt Rätsel auf. | Brüssel. Die Zeit läuft langsam ab: Beim Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag sollen der neue Präsident des Europäischen Rats und der Hohe Vertreter der EU, also der Außenbeauftragte, bestimmt werden. Von einem Konsens scheint die Union noch weit entfernt; die derzeit der EU vorsitzenden Schweden hüllen sich in Schweigen. Bloß eine Handvoll Menschen in Europa wisse, wer wirklich ganz vorne gereiht ist, meinte ein Diplomat. Alles andere sei Kaffeesudleserei.
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Geschaffen wurden die beiden neuen Jobs durch den Lissabonner Vertrag, der nach zahlreichen Verzögerungen am 1. Dezember in Kraft tritt. Pro forma werden die zwei neuen EU-Spitzen auch ab diesem Datum ihren Dienst antreten, ihre vollen Kompetenzen aber erst nach Übergangsfristen erlangen. Auch räumen Diplomaten mit der Vorstellung auf, der Ratspräsident müsse auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten Barack Obama und dessen russischem Kollegen Dmitri Medwedew agieren können: Das entspreche weder dem politischen Willen der Mitgliedsländer noch dem neuen EU-Grundrecht, hieß es. Diese Herangehensweise dürfte es auch sein, die Favoriten wie den belgischen Premier Herman van Rompuy produziert hatte.
Hände schütteln
Aus einem kleinen Land solle der Ratspräsident kommen, meinte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel immerhin. Lediglich den Treffen der Staats- und Regierungschefs vorsitzen und politische Leitlinien überlegen soll er laut dem Lissabonner Vertrag. Er sei derjenige, der Obama, Medwedew oder anderen Spitzenpolitikern die Hand schüttelt, wenn sie nach Brüssel zu Besuch kommen, sagte ein langjähriger EU-Kenner. Der Außenbeauftragte dagegen vertrete die EU nach außen und reise dorthin, wo es brennt oder vitale Interessen der Union durchzusetzen sind. Er wäre neben Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso der zweite starke EU-Mann in Brüssel, der zwar nur Vizepräsident des Portugiesen ist aber gleichzeitig den "Europäischen Auswärtigen Dienst" mit tausenden Diplomaten und Rückenwind durch die Mitgliedsstaaten hat.
Wie sehr das etwa den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy von Alleingängen wie nach Moskau während der Georgien-Krise abhalten kann, bleibt abzuwarten. Auffällig ist, dass sich scheinbar weder Berlin noch Paris - aus unterschiedlichen Gründen - um einen der neuen Spitzenjobs bewerben. Deutschland fehlt offenbar schlicht ein geeigneter Kandidat aus den Reihen der Regierungsparteien CDU und FDP. Sarkozy wird dagegen nachgesagt, dass er überhaupt kein Interesse an einer zweiten Hauptrolle für einen Franzosen neben ihm auf der EU-Bühne habe.
Beide möchten eher schwergewichtige Portfolios wie Wirtschaft- und Währung, Binnenmarkt, Wettbewerb, Energie oder Handel in der zukünftigen Kommission, außenpolitisches Gewicht schreiben sie sich offensichtlich ohnehin zu.
Rätselhaft bleibt die Rolle der britischen Labour-Regierung unter Premier Gordon Brown. Der dürfte entsprechend der ursprünglichen Abmachung "schwarzer Ratspräsident, roter Außenminister" ein gewichtiges Amt zugestanden sein. Da sich Brown dennoch auf einen Ratspräsidenten Tony Blair versteift hatte, könnten die Karten ganz neu gemischt werden.
Verschiebung möglich
Dass es Blair wird, gilt aber als ausgeschlossen; die Sozialdemokraten vom Festland mögen ihn nicht. Zuletzt wurde sogar über einen EU-Außenminister Brown spekuliert. Für den könnte ein Absprung aus der britischen Innenpolitik attraktiver sein als für den aufstrebenden David Miliband, Browns potenziellen Kronprinzen in der Labour-Partei.
"Es ist alles offen", sagte der österreichische Außenminister Michael Spindelegger. Sogar ein Scheitern des Gipfels am Donnerstag und eine erneute Verschiebung der Entscheidung hielt er für möglich. Klar ist, dass Barroso erst nach der Einigung auf Ratspräsident und Außenminister die Ressorts zuteilen kann. Das EU-Parlament muss dann noch alle Kandidaten bestätigen. Dass sich das bis Jahresende ausgeht, glaubt kaum mehr jemand.
Wer wird was
(wot) Gut drei Viertel der 27 EU-Länder haben ihren künftigen Kommissar nominiert. Ganz fix ist Portugal mit Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Von Deutschland vorgeschlagen ist der bisherige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Günther Oettinger, für den sich Berlin ein zentrales Wirtschaftsressort oder den Energiekommissar wünscht. Paris dürfte Ex-Landwirtschafts- und Außenminister Michel Barnier schicken, der bereits einmal Regionalkommissar war. Spanien wird wohl an Joaquin Almunia, dem bisherigen Wirtschafts- und Währungskommissar festhalten. Italien belässt Antonio Tajani, den amtierenden Verkehrskommisar, in Brüssel, wenn Massimo D'Alema nicht EU-Außenminister wird. Polen hat den Wirtschaftsexperten Janusz Lewandowski nominiert, derzeit EU-Abgeordneter. Ganz offen ist als einziges der Großen noch Großbritannien.
Auf ihre bisherigen Vertreter in der EU-Kommission setzen auch Finnland mit Erweiterungskommissar Olli Rehn, Belgien mit Entwicklungshilfekommissar Karel de Gucht, Slowenien mit Forschungskommissar Janez Potocnik, Lettland mit Energiekommissar Andris Piebalgs, Estland mit Verwaltungskommissar Siim Kallas, Litauen mit Budgetkommissar Algirdas Semeta, Luxemburg mit Telekomkommissarin Viviane Reding und Zypern mit Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou. Bei den meisten ist völlig offen, ob sie ihre Ressorts behalten oder neue Aufgaben bekommen.
Österreich möchte Wissenschaftsminister Johannes Hahn entsenden, Tschechien Europaminister Stefan Füle und Bulgarien Außenministerin Rumyana Zheleva. Für die Slowakei sitzt bereits der bisherige EU-Botschafter Maros Sefkovic im Sessel des glücklosen Bildungskommissars Jan Figel. Ungarn will aller Voraussicht nach Laszlo Andor schicken, bisher Direktor in der EU-Osteuropabank EBRD. Fix nominiert, aber wahrscheinlich am Ende nicht der rumänische Kandidat ist Ex-Landwirtschaftsminister Dacian Ciolos, der der Regierungskrise in Bukarest zum Opfer fallen dürfte und in Brüssel angeblich nicht das beste Renomée hat. Möglicherweise soll eine Irin oder eine Dänin das Agrarressort bekommen. Doch Dublin und Kopenhagen haben wie Stockholm, Den Haag und die maltesische Regierung in Valetta noch keine Kandidaten genannt.
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