Man könnte glauben, in Österreich wären endlich alle Bildungsprobleme gelöst worden. Ist diese Kampagnisierung ein Ablenkungsmanöver?
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Lässt man die Medienberichterstattung der vergangenen Monate über die nun gestartete Zentralmatura Revue passieren und wüsste nicht, dass es sich dabei nur um die Umstellung auf ein international übliches Format einer Abschlussprüfung handelt, könnte man glauben, hier sei endlich ein wichtiger, wegweisender und richtiger Schritt, ein Meilenstein in die Modernisierung des österreichischen Bildungssystems passiert.
Was die Zentralmatura wirklich schafft, ist es, für alle Prüflinge österreichweit gleiche Prüfmaterialien und Inhalte zu schaffen anstelle der früher häufig üblichen augenzwinkernden Insider-Schwindelei, bei der die Lehrer ihren Prüflingen zum Beispiel 20 Fragen zum Auswendiglernen vorgaben, aus denen dann drei Fragen tatsächlich kamen. Damit wurde der Prüfcharakter - und damit die Zugangsprüfung für weitere Universitätsausbildung - vollkommen ad absurdum geführt, es wurde nicht Problemlösungsfähigkeit getestet, sondern nicht alters- und ausbildungsadäquates Auswendiglernen. Natürlich waren das nur Ausnahmen, aber nicht unüblich, wie viele Absolventen und deren Eltern bezeugen können. Vielfach war das Ziel dieser Augenauswischerei nicht die Überprüfung der Leistung der Prüflinge, sondern dass die Lehrer - und damit die Schulen - vor ihren Obrigkeiten gut dastehen wollten (dazu mussten möglichst viele Prüflinge bestehen).
Jetzt wird einmal wirklich geprüft (natürlich nach einschlägiger Vorbereitung) - und Österreich schreit auf und agiert, als ob man endlich die leidigen Fragen des viel zu weit verbreiteten funktionellen Analphabetentums, des ungleichen Zugangs zu Bildungschancen, der miesen Pisa-Werte, der mangelnden Kindererziehung und -betreuung, der gemeinsamen Schule, der Ganztagsbetreuung, des schlechten Rankings österreichischer Hochschulen etc. gelöst hätte. Also all jener zentralen Bereiche im Bildungssystem inklusive Übergangsbrüche zwischen den einzelnen Erziehungs- und Ausbildungsstufen. Dabei gibt es auch beim jetzt praktizierten System der Zentralmatura noch immer starke Insider-Interpretationsmöglichkeiten, da die Schülerarbeiten nicht zentral beziehungsweise von außen, sondern von den eigenen Lehrern benotet werden, deren Spielräume in der Bewertung groß sind. Da sie ihre Schüler kennen, fließen wohl auch Vor- und Nichtlieben in die Bewertung ein.
Ist also diese ganze Kampagnisierung der Zentralmatura ein Ablenkungsmanöver? Wäre ein solches noch nötig? Wem nützte das? Geht es darum, einen unsäglichen Sager des Wiener Bürgermeisters zu überdecken? Eine (schon wieder!) von den Medien ungeliebte Bildungsministerin anzuschwärzen? Wenn nur die tatsächlichen ungelösten österreichischen Bildungsprobleme, die unselige Verfassungsmehrheit bei Bildungsfragen, die dominante Rolle der Lehrergewerkschaften, die Probleme der ungenügenden Deutschkenntnisse solche Quantität an Aufregung und Medienöffentlichkeit hervorrufen würden!
Fakt ist, dass dies ein vollkommen unnötiger Sturm im Wasserglas ist. Dem beklagenswerten Zustand der österreichischen Bildungspolitik hilft er jedenfalls nicht. Auch für den täglich atemlos berichtenden Österreichischen Rundfunk ist er kein Ruhmesblatt.