Wegen der Aufnahme Palästinas strichen die USA ihre Mittel - das Geld fehlt überall.
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Paris. "Es geht nicht nur ums Geld", sagt Irina Bokova. Als Generaldirektorin der Unesco sitzt die Bulgarin einer Sonder-Organisation der Vereinten Nationen vor, die zuständig ist für Wissenschaft, Kultur, Bildung - die schönen und geistvollen Dinge. Und doch bestimmt vor allem das (fehlende) Geld ihr Handeln: Ohne Finanzierung keine Förderprogramme für pakistanische Mädchen; keine Medien-Aufbauhilfe im Irak oder den arabischen Ländern; auch ein Tsunami-Warnsystem für die karibischen Inseln war gefährdet.
Der Protest der USA gegen die im Dezember gefallene Entscheidung der Unesco-Generalversammlung, das Beitrittsgesuch der Palästinenser anzunehmen, ist folgenreich. Die US-Regierung argumentiert, die amerikanischen Gesetze verbieten die Beitragszahlungen an eine Organisation, die Palästina als Vollmitglied akzeptiert. Anders als im UN-Sicherheitsrat konnte sie die Aufnahme zwar nicht per Veto verhindern, stoppte aber nicht nur die Mitgliedsbeiträge für 2012, sondern auch die noch ausstehenden für 2011. Plötzlich fehlten der Unesco 65 Millionen US-Dollar - 22 Prozent des gesamten Budgets. Bisher waren die USA der größte Geldgeber vor Japan und Deutschland. Auch Israel setzte 2012 die Zahlungen aus. Die Unesco, eine Organisation für grenzüberschreitende kulturelle Zusammenarbeit, war zwischen die Fronten eines politischen Dauer-Konfliktes geraten. Und bezahlte teuer.
"Von einer Krise würde ich aber nicht sprechen", sagt die ruhige, aber resolute Bokova. Die erste Frau an der Spitze der 195 Mitgliedstaaten zählenden Organisation will die augenblickliche Situation vor allem auch als Chance für Veränderung sehen: Nun lassen sich Prioritäten setzen und die Bürokratie abbauen, auch der Sparkurs, den sie seit ihrer Wahl im Herbst 2009 eingeschlagen hat, kann beschleunigt werden. "Wir setzen nicht auf eine einzige Maßnahme, sondern eine Kombination", erklärt Bokova. Drei Viertel der frei werdenden Posten wurden nicht neu besetzt, Konferenzen, Reisen und Veröffentlichungen gestrichen - und eben auch manche Projekte, um 35 Millionen Dollar einzusparen. Mit 30 Millionen aus dem Fonds für Notfälle konnten ebenfalls Löcher gestopft werden.
Ein schwieriges Verhältnis
Andere Länder zogen ihre Beiträge vor oder erhöhten, wie China, Gabun oder Katar, ihr Budget. Wer mehr zahlt, gewinnt auch an Einfluss - die Gewichte verschieben sich. Doch das Engagement der USA bleibt unersetzbar, sagt Bokova; auch weil es eben nicht nur um Geld geht. "Wir brauchen sie, damit sie auch weiter ihre Positionen vertreten." Nach zwei Jahren verliert ein Mitglied, das seine Beiträge nicht bezahlt, seine Stimmrechte. 2013 wird ein neues Generalsekretariat gewählt.
Bereits 1984 hatten die USA unter Ronald Reagan ihre Finanzmittel und ihr Engagement gestoppt; erst 2003 kamen sie unter Ex-Präsident George W. Bush zurück, seine Frau Laura ist Unesco-Sonderbotschafterin. "Die Situation ist nicht vergleichbar, weil der Rückzug damals eine gezielte Entscheidung war", sagt Bokova. Heute verursacht die Situation vielen US-Politikern Bauchschmerzen, und nicht nur ihnen. Privatleute schicken Schecks über 50 oder 100 Dollar. US-Organisationen finanzieren weiterhin Programme. Einer der prominentesten Kritiker der Entscheidung ist ein Mann, dessen Stimme auch dann gehört wird, wenn sie nichts mit Musik zu tun hat: Herbie Hancock, Jazz-Pianist und Unesco-Sonderbotschafter. "Unser Land ist dabei, seinen Einfluss auf die Arbeit der Unesco zu verlieren, zu der gehört, Toleranz zu verbreiten, Medienfreiheit zu schützen und Kreativität zu fördern", schrieb er in der "Washington Post". Auch deshalb wird er am 30. April ein Signal setzen - mit einem Konzert am neu geschaffenen Welt-Jazz-Tag. Aus den USA stammender Jazz im Unesco-Hauptquartier in Paris, das ist eine musikalische Antwort auf eine diplomatische Krise.
Die Unesco ist die Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur mit Sitz in Paris und weltweit rund 200.300 Mitarbeitern. Sie gibt jährlich einen Weltbildungsbericht heraus, betreibt Programme zur Weiterbildung, Alphabetisierung, aber auch zum Schutz von Biosphären. Besonders bekannt ist ihre Auszeichnung von herausragenden Stätten zum Weltkulturerbe. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Irina Bokova sieht auch deshalb ihre Wahl im Herbst 2009 als erste Frau an die Spitze der Unesco als starkes Signal. "Die Erwartungen an eine Frau waren größer", sagt die Bulgarin.