Die geplante Vergrößerung von Rayons lässt Post-Gewerkschaft rotieren.
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Wien. Das Jahr 2012 war ein gutes für die Post. Trotz einer Stagnation beim Umsatz wurde das Betriebsergebnis um 14,7 Prozent auf 125,6 Millionen Euro angehoben. Und es war auch ein ruhiges Jahr für die Post und damit in gewisser Weise ein Ausreißer. Denn seit dem Börsengang im Sommer 2006 ist kaum ein Halbjahr ohne Streikdrohung vergangen. Bis eben zum Vorjahr. Doch die Ruhe war einmal, nun tobt wieder der alte Kampf zwischen Vorstand und Belegschaft.
Diesmal geht es um eine Neustrukturierung von Rayons für die Briefzusteller, die von der Gewerkschaft bekämpft wird. Notfalls eben auch mit dem letzten aller Mittel, einem Streik, wie Helmut Köstinger von der Post-Gewerkschaft (GPF) unmissverständlich klarmacht. Die Freigabe für einen Streik hat der ÖGB bereits gegeben.
Bei der Post AG ist man ob der Aufregung der Belegschaft überrascht. Rayons würden ständig verändert werden, außerdem habe sich die Zeit für Sortierarbeiten in der Dienststelle deutlich reduziert, daher bleibe mehr Zeit für die Zustellung selbst, sagt Post-Sprecher Michael Homola. "Wir sind natürlich zu Gesprächen bereit, aber uns sind die Proteste unverständlich." Am Donnerstag hat die Gewerkschaft bei Post-Chef Georg Pölzl ihre Forderungen deponiert, bis Dienstag will sie eine Antwort - eine positive, versteht sich.
Hintergrund der jüngsten Zwistigkeit ist die Einführung einer automatischen Arbeitszeiterfassung bei den Zustellern mittels Handgerät zu Beginn des Jahres. Die Mitarbeiter erhofften sich, dem Vorstand belegen zu können, dass sie 40 Stunden und länger arbeiten, sie erhofften sich Beweise für Überstunden und Überbelastung. Die ersten Ergebnisse der Zeiterfassung hätten das auch belegt, sagt Gewerkschafter Köstinger: "Es gab Dienste bis zu zwölf Stunden." Die Post streitet die teils überlangen Dienste auch nicht ab: "Aber die Leute arbeiten mehr, weil der Jänner eben zu den stärksten Monaten gehört, im Juli und August wird es wieder weniger sein", sagt Homola. Dass es dennoch Veränderungen - die Gewerkschaft spricht von Vergrößerungen - von Rayons kommen soll, empfindet die Belegschaft als Provokation.
Produktivität gesteigert
Die Änderungen der Zustellbezirke waren wieder einmal der berühmt-berüchtigte Tropfen zu viel: "Man hat viel von uns verlangt, die Luft ist draußen, die Zitrone ist ausgepresst, es geht nicht mehr." Das sei eben die andere Seite der guten Zahlen des Konzerns, der sich in den vergangenen 15 Jahren erfolgreich restrukturiert hat. "Es war uns ja klar, dass alles neu aufgesetzt werden muss, und jeder von uns hat die Ärmel aufgekrempelt", sagt Köstinger. Seither habe sich die Produktivität um 50 Prozent gesteigert, "aber irgendwann geht es dann nicht mehr". Er sei fast täglich in den Dienststellen, und dort höre vor allem einen Satz: "Wir halten das nicht mehr aus."
Und das betreffe auch nicht nur die Zusteller, sondern auch Schalterbeamte. "Wir schreiben Rekordgewinne, daher muss das Unternehmen auch Geld in die Hand nehmen, um Leute einzustellen. In den Postämtern stehen die Leute bis zur Eingangstür Schlange, den Druck bekommen dann die Bediensteten ab", sagt der Gewerkschafter.
Diesmal gibt es kein Zurück
In dem jüngsten Konflikt wird wieder einmal offenkundig, dass sich Belegschaft und Konzernspitze weit voneinander entfernt haben. Die vielen Streikdrohungen sind laut Köstinger Ausdruck, dass seit dem Börsengang "alles mit der Brechstange durchgeboxt" wurde. "Wenn ich es als Management nicht schaffe, den Mitarbeitern zu vermitteln, dass geänderte Strukturen notwendig sind, wird man scheitern."
Dass die Handgeräte zur Zeiterfassung GPS-tauglich sind, das Unternehmen daher überprüfen könne, wer sich wann wo aufhält, ist auch nicht gerade vertrauensbildend. Generell dürfte die Kommunikation alles andere als ideal laufen, wenn man den Erzählungen der Gewerkschaft Glauben schenkt. Auch hätte sich der Vorstand, etwa bei Postamtsschließungen, in der Vergangenheit nicht an Vereinbarungen gehalten. Deshalb gebe es auch diesmal kein Zurück, sagt Helmut Köstinger: "Wir waren immer gutgläubig, haben uns hinhalten lassen, aber das wird es diesmal nicht mehr geben."
Streikrecht in Österreich
In Österreich fehlen - im Gegensatz etwa zu Deutschland - gesetzliche Regelungen bei Streiks. Aufgrund der geringen Häufigkeit von Streiks in Österreich sind auch Urteile selten und betreffen eher Detailfragen.
Nach geltendem Recht dürfen Beamte in Deutschland nicht streiken, in Österreich gibt es keine Ausnahmeregelung. Da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) türkischen Beamten 2008 ein Streikrecht zuerkannt hat, könnte sich die Rechtslage in Deutschland ändern. "Derartige Stimmen haben sich in Deutschland seither mehr als gemehrt", sagt der Arbeitsrechtler Martin Risak von der Universität Wien.
In Österreich waren Streiks im 19. Jahrhundert strafrechtlich verboten, 1914 wurde eine Verordnung geschaffen, die Beamten Streiks verbot. Umstritten war, ob dieses Gesetz nach 1945 noch gültig war, durch ein Rechtsbereinigungsgesetz im Jahr 2000 wurde es aber ohnehin aufgehoben.
Nicht geklärt ist, ob Streikende gekündigt werden dürfen. Einige Arbeitsrechtler verstehen eine Entlassung als zulässige Sanktion, die Gewerkschaften ist anderer Meinung, zumal auch der EGMR erkannt hat, dass schon eine Verwarnung eines Streikenden die Vereinigungsfreiheit unverhältnismäßig einschränkt.