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Die zivilisatorische Schicht

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Novemberpogrom 1938 und der spektakuläre Münchner Kunstfund, der ebenfalls in die Nazizeit zurückreicht, haben eine unheimliche Parallele: Nach dem menschlichen Leid handelt es sich bei beiden um staatlich sanktionierten Raub und Diebstahl. Nicht ein einziger Täter jenes Mobs, der im November 1938 jüdische Einrichtungen und Geschäfte zerstörte, Wohnungen plünderte und Menschen verletzte und tötete, kam jemals vor Gericht. Und auch keiner der vier Kunsthändler, die im Auftrag der Nazi-Behörden Kunstwerke stahlen oder sie zu lächerlichen Preisen von jüdischen Mitbürgern erpressten, kam nach 1945 vor Gericht. Die Erben der Opfer hatten in der Zweiten Republik lange Zeit vergleichsweise größere Probleme, ihr Eigentum zurückzuerhalten.

Aber stellen wir uns vor, eine selbst ernannte Bürgerwehr würde 2013 irgendeine Wohnungstür auftreten, die Bewohner rausschmeißen und die Bilder von der Wand mitnehmen. Und die Polizei schaute dabei tatenlos zu.

Unvorstellbar? Nun, die Augsburger Justizbehörden weigern sich bis heute, die 1406 beschlagnahmten Bilder herzuzeigen, eine rechtsstaatlich merkwürdige Vorgangsweise.

Es wird viel über die Untaten des Hitler-Regimes geforscht und publiziert. Vielen hängt das Thema beim Hals heraus. Das aktuelle Gerichtsverfahren gegen die Neonazi-Truppe "Objekt 21", die in einem Bauernhaus nahe Vöcklabruck ihren Traum vom "Führer, der immer recht hat" lebte, beweist das Gegenteil. Immer wieder waren "ganz normale Bürger" zu Besuch bei Veranstaltungen im "Objekt 21", tranken ein Bier (oder mehrere) - alles unter aufgehängten Plakaten mit einschlägigen Parolen. Jahrelang ging das so, bis es nun Haftstrafen wegen Wiederbetätigung setzte.

Das wirft die Frage auf, wie stabil die zivilisatorische Schicht ist, auf der wir stehen. Die Entscheidung des Gerichts war eindeutig, doch was ist mit den Leuten, die dort "nur ein Bier getrunken haben"? Da geht es nicht mehr ums Erinnern an früheres Unrecht, sondern um die gesellschaftspolitische Frage, wie es um Toleranz, Menschenwürde und europäische Werthaltungen im 21. Jahrhundert bestellt ist. Die Straffreiheit vieler der damaligen Täter ist schlimm genug. Ebenso schlimm wäre es, wenn die heutige Regierung bei Vorgängen wie im "Objekt 21" so stumm bleiben würde, wie sie bisher geblieben ist.