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"Die Zivilisten werden zermalmt"

Von Michael Schmölzer

Politik

Nach dem Scheitern des Waffenstillstandes wird erbitterter denn je gekämpft.


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Wien. Von Waffenstillstand ist keine Rede mehr. Zwei Tage, nachdem die syrische Armee und die Rebellen die von den USA und Russland vereinbarte Feuerpause für beendet erklärt hatten, wurde wieder aus allen Rohren geschossen. An den Fronten bei Aleppo - hier wollen Armee und Rebellen den Krieg militärisch entscheiden - kam es am Mittwoch zu heftigen Kämpfen, der von Rebellen gehaltene Osten der Stadt ist von Regierungssoldaten umstellt. Die Armee wird von der Hisbollah, die dem Iran nahesteht, und russischen Kampfjets unterstützt. Laut einem Sprecher der Rebellen dauerten die Bombardements die ganze Nacht an, um den Bodentruppen den Vormarsch zu erleichtern.

Nach Ansicht des syrischen Anwaltes, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Mazen Darwish hat es die Armee vor Aleppo eilig. Sie versucht, in der verbleibenden Zeit bis zu den US-Wahlen möglichst viel Terrain zu erobern, um die Position des Regimes bei kommenden Verhandlungen zu stärken. Deshalb sei Damaskus an einer Eskalation der Gewalt interessiert.

Darwish, der auf Einladung des Internationalen Presse Instituts IPI in Wien war, kritisierte vor österreichischen Journalisten, dass die USA in Syrien "keine klare Strategie" hätten. Washington und Moskau hätten kein ernsthaftes Interesse, eine friedliche Lösung zu erreichen, so der Aktivist, der zuletzt als Mitglied der syrischen Zivilgesellschaft an den Friedensgesprächen in Genf beteiligt war. Der Krieg in Syrien finde kein Ende, weil zu viele Mächte Profit aus dessen Fortbestand zögen, vermutet Darwish.

Als Folge der neu aufgeflammten Kämpfe kommen verstärkt Vertreter internationaler Hilfsorganisationen unter die Räder. Nachdem am Montag bei einem Angriff auf einen Konvoi in der Nähe von Aleppo 20 Menschen getötet worden waren, traf es einen Tag später Mitglieder der in Frankreich tätigen Hilfsorganisation UOSSM. Zwei Sanitäter und zwei Ambulanzfahrer sind tot, ein Krankenpfleger ist schwer verletzt. Der Angriff erfolgte angeblich aus der Luft, zunächst hatte es geheißen, dass das Krankenhaus in Khan Touman südwestlich von Aleppo in Schutt und Asche gelegt worden wäre. Diese Meldung wurde später als falsch zurückgezogen.

Meldungen aus Syrien werden oft als Propagandawaffe genutzt und sind daher stets mit Vorsicht zu lesen.

Unklar ist, wer für den Bombenangriff zur Verantwortung gezogen werden kann. In der Region fliegen normalerweise nur Syrien und sein Verbündeter Russland Luftangriffe. Nachdem die syrische Armee am Montagabend die Waffenruhe für beendet erklärt hatte, begannen Kampfjets und Hubschrauber mit heftigen Angriffen auf Stellungen der Rebellen in der Provinz Aleppo. Nach dem Beschuss eines Hilfskonvois stellten die UN und das Rote Kreuz ihre Hilfe aus Sicherheitsgründen ein.

Die USA machen Russland für den blutigen Angriff auf den Hilfskonvoi vom Montag verantwortlich. Alle Informationen deuteten auf einen Luftschlag hin und damit könnten nur Russland oder die syrische Regierung hinter der Tat stecken, argumentiert der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Ben Rhodes. Aus US-Regierungskreisen hatte es kurz zuvor geheißen, zwei russische Kampfjets des Typs SU-24 hätten die Lkw angegriffen. Die Maschinen seien nach Erkenntnissen des US-Geheimdienstes genau zum Zeitpunkt der Bombardierung über dem Konvoi gewesen. Das führe zu dem Schluss, dass das russische Militär verantwortlich sei.

Moskau weist die Vorwürfe entschieden zurück, demnach habe es gar keinen Angriff aus der Luft gegeben. Auch die Vereinten Nationen gingen am Dienstag nicht mehr unbedingt von Kampfbombern aus. "Wir sind nicht in der Lage festzustellen, ob es sich tatsächlich um einen Luftangriff gehandelt hat", so ein UNO-Sprecher. Das russische Außenministerium kündigte eine genaue Untersuchung des Zwischenfalls an. "Mit Empörung nehmen wir die Versuche (. . .) wahr, der russischen und der syrischen Luftwaffe die Verantwortung für den Zwischenfall zu geben", hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Für solche Anschuldigungen gebe es keine Beweise.

"Syrien ermöglicht Moskau Rückkehr auf die Weltbühne"

Aktivist Darwish, der in Syrien einige Zeit in Haft war, bezeichnete die Lage im Bürgerkriegsland im Gespräch mit österreichischen Medien als "sehr schmerzvoll". In dem von außen angefeuerten Stellvertreterkrieg würden sich die Zivilisten "zwischen Hammer und Amboss" befinden und "einfach zermalmt" werden. Das Fatale an der syrischen Tragödie ist laut Darwish, dass der Krieg für viele Mächte ein zu lohnendes Unterfangen ist, als dass man ihn stoppen wollte. Russland sei es über das Eingreifen in den Syrienkrieg gelungen, sich wieder als Global Player zu etablieren. Außerdem lenke Russlands militärische Partizipation die öffentliche Berichterstattung weg von der Ukraine und der Krim. Dazu komme, dass sich Moskau für die von der EU verhängten Sanktionen revanchieren könne. "Russland bestraft die europäischen Staaten mit den Karawanen und abertausenden an Flüchtlingen."

Laut Darwish hätten die USA in der Vergangenheit mehrfach die Chance gehabt, den Krieg zu beenden. Assad könne jedenfalls niemals Teil einer Lösung sein: "Das wäre so, als würde man den Israelis vorschlagen, Hitler zum israelischen Premier zu machen", sagt er.