Sieg der Nationalisten in Serbien wahrscheinlich. | "Wiener Zeitung": Hat der Kosovo nach den Kämpfen in Mitrovica das Schlimmste hinter sich oder droht das Chaos? | Alexander Anderson: Wir haben einen Wendepunkt erreicht, in der die internationale Gemeinschaft politischen Willen für den Verbleib der mehrheitlich serbischen Gebiete im Norden beim Kosovo demonstrieren muss. Auch beim Nato-Gipfel nächste Woche muss diskutiert werden, ob die Kfor künftig proaktiver handeln soll - denn status-neutral vorzugehen heißt nicht, passiv zu sein.
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Schließlich haben sich alle Länder, die sich hinter den Athisaari-Plan gestellt haben, zur Einheit des Kosovo bekannt - auch jene, die nicht vorhaben, den Kosovo anzuerkennen. So kann die Kfor etwa eine sehr aktive Rolle spielen, wenn es die Unmik alleine nicht schafft, die Grenzposten zu Serbien wiederherzustellen.
Soll die EU nicht in Zukunft Aufgaben wie die Grenzkontrollen übernehmen?
Das ist für das Ende der Übergangsperiode (im Juni) geplant. Aber auch hier wird die Kfor der Dreh- und Angelpunkt sein. Die EU muss eng mit der Kfor zusammenarbeiten. Allein für die Grenzkontrollen im Norden sind laut Nato mindestens 300 Soldaten nötig. Und die Kfor leidet bisher unter ungenauen Vorgaben von den Regierungen für den Fall von Gewaltausbrüchen. Sie braucht ein robustes Mandat, innerhalb dessen sie je nach Gegebenheiten vor Ort selbstständig handeln kann.
Militärische Stärke ist der Schlüssel zu einem geeinten unabhängigen Kosovo?
Natürlich müssen in den nächsten Monaten und Jahren auch weitere Verhandlungen stattfinden. Aus einer Position der Schwäche zu verhandeln, endet aber so gut wie sicher in einem Desaster.
Kann das serbische Angebot, mit der Unmik zu kooperieren, wenn Polizei, Justiz und Grenzkontrollen unter serbischer Kontrolle sind, bei den Verhandlungen eine Rolle spielen?
Das bedeutete, dass Belgrad die Unmik als Feigenblatt verwendet, um den Kosovo zu teilen. Damit wären das gesamte Unabhängigkeitsprojekt und die von der EU und den USA seit den 1990er Jahren angestrebte Grenzziehung am Balkan gefährdet. Das zum jetzigen Zeitpunkt einzuräumen, ist völlig unnötig.
Aber könnte am Ende nicht der Deal sein, dass Serbien den Nordkosovo bekommt und dafür den Rest als unabhängig akzeptiert?
Derzeit ist nicht einmal Belgrad daran interessiert, das anzubieten. Für so einen Handel fehlen sämtliche Grundlagen.
Steht zu befürchten, dass die Serbische Radikale Partei nach den Wahlen mit den Gefolgsleuten von Premier Vojilav Kostunica die Regierung bildet?
Unglücklicherweise ist das die wahrscheinlichere Variante. Zusätzlich wird es bis dahin im Kosovo gefährlicher, weil Kostunica sich im Wahlkampf sich nicht mehr mit der Demokratischen Partei von Boris Tadic abstimmen muss, und die serbische Kosovo-Politik praktisch im Alleingang betreiben kann. Und die EU und die USA, die auf einen Sieg der pro-westlichen Kräfte hoffen, neigen dazu, sich im Vorfeld der Wahlen vor Ort passiver zu verhalten, um Provokationen zu vermeiden und der Propaganda der nationalistischen Kräfte keine Munition zu liefern.
Sind die Beteuerungen der EU, dass sie Serbien immer offen stehe und das Angebot von Sonderabkommen vor den Wahlen eine gute Idee?
All diese Vorstöße, um Tadic zu unterstützen, werden langsam ein wenig peinlich. Die Serben bekommen dadurch die falsche Botschaft: Nämlich, dass die EU nicht ihren Grundsätzen folgt und Serbien unbedingt dabei haben will. Kostunica kann den Wählern sagen: Seht her, wir müssen keine Zugeständnisse machen, die EU macht sie uns. Das beste, was sie vor diesen Wahlen machen kann, ist, leise zu sein.
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Der britische Osteuropa- und Russlandexperte Alexander Anderson leitet seit 2003 das Büro der International Crisis Group in Pristina.