Hehre Ziele ohne konkrete Vorgaben: In Rumänien debattieren EU-Spitzenpolitiker über Herausforderungen für die Union.
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Sibiu. Die Schulkinder hatten ihre Freude. Sie hatten nämlich ein paar Tage frei bekommen, als sich Sibiu auf das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs vorbereitete. Die Piata Mare, der Platz, wo sich einst das Verwaltungszentrum der Siebenbürger Sachsen befand, wurde weiträumig abgesperrt. Im Rathaus, gegenüber des österreichischen Konsulats und gleich neben der römisch-katholischen Kirche, die sich fast nahtlos in die Häuserzeile fügt, tagen am heutigen Donnerstag die Spitzenpolitiker.
Wie zuvor die Österreicher, von denen die Rumänen zu Jahresanfang den EU-Vorsitz übernommen hatten, haben sie den informellen Gipfel nicht in der Hauptstadt organisiert. Stattdessen luden sie eben nach Sibiu, ins Herz Transsilvaniens, in die Stadt, die bereits im 12. Jahrhundert gegründet wurde und in der der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis jahrelang Bürgermeister gewesen war. Österreich hatte das Spitzentreffen im Vorjahr in Salzburg veranstaltet.
"Auf dem Weg nach Sibiu" könnte auch das Motto für den Fahrplan lauten, den EU-Ratspräsident Donald Tusk den Mitgliedstaaten im Herbst 2017 vorgelegt hatte. Wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker drängte er damals zum wiederholten Mal auf Entscheidungen in den Debatten rund um Migration, Grenzschutz, die soziale Säule der Gemeinschaft. In Rumänien sollte dann eine Art Resümee gezogen werden. Einen Blick nach vorn sollte das aber nicht ausschließen: Beratungen über die Ära nach dem Brexit hätten nämlich auch auf der Agenda stehen sollen.
Zwischen 2017 und 2019 sind freilich nicht unbedingt die Fortschritte erzielt worden, die sich Tusk und Juncker erhofft haben. So lässt eine Reform der Asylpolitik ebenso noch auf sich warten wie die Stärkung der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik. Hinzu kommt, dass, wie das mühsame Ringen um den EU-Austritt der Briten auch das Treffen in Salzburg überschattet hatte, der Brexit noch immer nicht vollzogen ist.
"Geeint sind wir stärker"
Daher wurden im Vorfeld des informellen Gipfels wichtige Weichenstellungen nicht erwartet. Vielmehr sollten die Spitzenpolitiker eine Deklaration unterzeichnen, die voller hehrer Formulierungen war, was zumindest zum Datum passte: Immerhin ist der 9. Mai der Europatag. Europa soll denn auch verteidigt werden - "von Osten nach Westen, von Norden nach Süden", zitiert die Austria Presseagentur den Entwurf für die Gipfelerklärung. Die Gemeinschaft müsse außerdem als solche auftreten: "Wir bekräftigen unsere Überzeugung, dass wir geeint stärker sind in dieser unruhigen und herausfordernden Welt." Das wird gleich mehrmals betont: "Wir bleiben geeint, durch dick und dünn. Wir werden uns gegenseitig Solidarität zeigen in Zeiten, wo wir es brauchen, und wir werden immer zusammenstehen."
Insgesamt geben die Toppolitiker der EU zehn Versprechen ab. Diese reichen eben vom Wunsch nach Einigkeit und gemeinsamen Lösungen über Fairness auf dem Arbeitsmarkt sowie im Sozialwesen bis hin zu Investitionen in junge Menschen. Doch bilden manche Punkte, auch wenn sie auf dem Papier unterstützt werden, in der Realität durchaus Anlass zu Zwistigkeiten. So haben unterschiedliche Regierungen das Wort "Solidarität" während der Flüchtlingskrise unterschiedlich interpretiert - und eine Einigung auf einen Schlüssel zur Verteilung von Asylwerbern war nicht möglich. Auch können Begriffe wie "Demokratie" und "Rechtsstaatlichkeit" für Debatten sorgen - in Ungarn, Rumänien oder Polen, wo die EU-Kommission den Stand der Rechtsstaatlichkeit untersuchen lässt.
Auf Widerspruch in der Praxis könnte eine weitere Zusage stoßen. "Wir werden die Union mit den Mitteln ausstatten, die notwendig sind, um ihre Zielsetzungen zu erreichen und ihre Strategien durchzuführen", heißt es in der Erklärung. Wenn es allerdings um Finanzmittel geht, dann sind die Mitgliedstaaten nicht so großzügig, wie es die EU-Kommission und das EU-Parlament gerne hätten. Diese zwei Institutionen wünschen sich meist mehr Geld für die EU als die Regierungen zur Verfügung stellen möchten. Und die Verhandlungen über das nächste mehrjährige EU-Budget stehen erst an ihrem Anfang.
Ruf nach Vertragsänderungen
Parallel dazu kommen einzelne Länder mit eigenen Anliegen nach Sibiu. So will Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz seine Forderung nach einer EU-Vertragsänderung bekräftigen. Er hatte die vor zehn Jahren verabschiedete Vereinbarung von Lissabon als "nicht mehr zeitgemäß" bezeichnet. Dabei plädierte er für klarere Spielregeln und härtere Sanktionen gegen Länder, die sich nicht daran halten.
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Ein weiter gespanntes Programm will wiederum Tusk präsentieren. Der Ratspräsident, der die Sitzungen der Staats- und Regierungschefs leitet, stellt diesen die nächste strategische Agenda vor - eine, die auf fünf Jahre ausgelegt ist. Die dort angeführten vier Bereiche umfassen den Schutz der EU-Bürger und derer Freiheiten, das künftige Wirtschaftsmodell, Klimaschutz sowie die Stärkung der Außen- und Verteidigungspolitik. Konkretere Vorgaben sollen aber erst in den kommenden Wochen folgen.