Bei seiner Rede "Österreich 2030" betonte Karl Nehammer vor allem altbekannte ÖVP-Standpunkte.
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Einen Veranstaltungsraum mit "Weitblick" habe man gewählt, sagt Moderatorin Ina Sabitzer. Denn das brauche man, in Zeiten wie diesen. Bundeskanzler Karl Nehammer hat zur Rede "zur Zukunft der Nation" in den 35. Stock eines Hochhauses in der Wienerberg City geladen, "Österreich 2030" lautet der Titel. Im Eingangsbereich werden Besucher von Technomusik und ÖVP-Funktionären in Logojacken begrüßt, getrübt wird die Partystimmung von massiver Polizeipräsenz. Denn nicht nur der Kanzler selbst ist anwesend. Er wird seine Rede vor versammelter ÖVP-Prominenz halten. Fast die gesamte türkise Ministerriege nimmt in den ersten Reihen Platz, ebenso wie zahlreiche ÖVP-Landeshauptleute, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Klubobmann August Wöginger, Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer, Seniorenbundpräsidentin Ingrid Korosec und viele weitere ÖVP-Granden.
Dass es sich bei der Kanzlerrede um eine ÖVP-Veranstaltung handelt, ist also schnell klar. Zwar sind auch Nehammers Kabinettchef Andreas Achatz und sein Pressesprecher Daniel Kosak aus dem Bundeskanzleramt anwesend, doch es war die Volkspartei, die die Veranstaltung organisiert und zu ihr eingeladen hat.
Degressives Arbeitslosengeld gefordert
Die Technomusik weicht sanfteren Klavierklängen, "Österreich 2030" heißt das Stück, das eigens von einer Zwölfjährigen komponiert worden sein soll. Dann betritt der Kanzler unter großem Applaus die Bühne und setzt zu einer eineinhalbstündigen Rede darüber an, wie sich Österreich aus Sicht der Volkspartei in den nächsten sieben Jahren entwickeln soll.
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Viele altbekannte Stehsätze wie "Leistung muss sich lohnen" werden dabei aus der Schublade geholt, aber auch konkrete Forderungen präsentiert der Bundeskanzler. Im Bildungsbereich brauche es etwa ein Pflichtfach Programmieren ebenso wie einen Fokus auf politische Bildung und Medienkompetenz, E-Papers für ältere Schüler inklusive.
Die Meisterprüfung für Lehrberufe soll kostenlos werden, Medizinstudienplätze ausgebaut. Dafür will der Kanzler eine Berufspflicht für Medizinabsolventen in Österreich, um auch seine Forderung nach 800 zusätzlichen Kassenärzten bis 2030 erfüllen zu können.
Nachdem Grüne und ÖVP Ende 2022 eine größere Arbeitsmarktreform zu Grabe getragen hatten, tritt Nehammer auch erneut für ein degressives Modell des Arbeitslosengeldes ein, zumindest für den, "der 35, 25 Jahre alt ist, und zwei gesunde Hände hat".
Auch dem Bereich Asyl und Migration ist ein Kapitel gewidmet. Asylwerber sollen - geht es nach Nehammer - mehr Sach- und weniger Geldleistungen erhalten. Vollen Zugang zu Sozialleistungen soll überhaupt nur haben, wer mindestens fünf Jahre in Österreich gelebt hat. Bei seinem Veto, Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum aufzunehmen, wolle er bleiben, sagt der Kanzler und appelliert in Richtung Brüssel, mehr im Kampf gegen irreguläre Migration zu tun, als "vermeintlich Probleme zu lösen, die Nationalstaaten deutlich besser lösen können".
Und obwohl viele der von Nehammer angesprochenen Punkte durchaus Geld kosten, wünscht sich der Kanzler eine Senkung der Abgabenquote bis 2030 von 42 auf 40 Prozent.
Vieles bereits im Regierungsprogramm
Insgesamt sind es altbekannte ÖVP-Standpunkte, die Nehammer am Freitag vor Parteifreunden und Medienvertretern präsentiert. Vieles davon ist im aktuellen Regierungsprogramm enthalten, vieles stand in der türkis-blauen Koalitionsvereinbarung aus dem Jahr 2017. Nehammers Rede wird von Ministern und Landeshauptleuten regelmäßig begeistert beklatscht, kaum etwas kommt überraschend, nichts dürfte innerhalb der Partei für größeren Unmut sorgen.
Nehammer beschreitet keine neuen Wege, kündigt keine noch nie da gewesenen Reformpläne an. Ex-SPÖ-Kanzler Christian Kern hat sich 2017 bei der Rede zu seinem "Plan A", die Nehammer wohl auch als Vorbild gedient haben dürfte, schon deutlich weiter aus dem Fenster gelehnt, mit Forderungen nach einem Zwölfstundentag etwa durchaus Teile der eigenen Partei vor den Kopf gestoßen.
Nicht so Karl Nehammer. Er gibt über eineinhalb Stunden einen Überblick über das Parteiprogramm der ÖVP, erinnert Wählerinnen und Wähler daran, wofür die Volkspartei steht, wenn sie nicht gerade mit Löcherstopfen in Krisenzeiten beschäftigt ist.
Weniger begeistert dürften hingegen die Grünen als Koalitionspartner von der Kanzlerrede sein. Wieder einmal betonte er die türkise Forderung nach einer Abschaffung der Grunderwerbssteuer für das erste Eigenheim. Doch das sorgt gerade innerkoalitionär für Zwietracht. Weil die Grünen die Maßnahme nicht mittragen wollen, sind Verhandlungen um ein Paket zu "leistbarem Wohnen" vorerst gescheitert - und damit auch die Einführung einer Mietpreisbremse.
Auch dürften die Ansichten zum Thema Klimapolitik deutlich auseinandergehen. Man müsse die Probleme mit Kreativität und Innovation lösen, nicht durch Verzicht, denn er habe nicht erlebt, "dass Rückschritt jemals ein Fortschritt war", meinte der Kanzler und bezichtigte Klimaaktivisten, eine "Untergangsapokalypse" heraufzubeschwören. Sollte es auf EU-Ebene zur Abstimmung kommen, werde er sich auch gegen ein Ende von Verbrennungsmotoren stellen.
Entsprechend enttäuscht zeigten sich im Anschluss nicht nur eine Handvoll Klimaaktivisten, die vor der Veranstaltungslocation demonstrierten, sondern auch Umweltorganisationen wie Global 2000, die Nehammers Aussagen zur Klimapolitik als "Bankrotterklärung" bezeichneten.
Rede für Neos "ambitionslos und inhaltsleer"
Auch die Opposition übte Kritik, die Neos bezeichneten die Kanzlerrede als "ambitionslos" und "inhaltsleer". Die SPÖ ärgerte sich wiederum über fehlende Vorschläge zur Inflationsbekämpfung, die rote Frauensprecherin Eva-Maria Holzleitner bemängelte, dass in eineinhalb Stunden kein Wort zum Thema Frauenpolitik gefallen war.
Überschwängliche Begeisterung gab es dagegen aus den eigenen Reihen. Das dürfte Nehammer zunächst auch wichtiger sein, hielt er die Rede doch nicht nur als Kanzler, sondern vor allem auch als Obmann einer Partei, die seit den Wirrungen rund um den Rückzug von Ex-Kanzler Kurz fast dauerhaft im Krisenmodus operierte und in Umfragen derzeit weit unter dem Wahlergebnis von 2019 liegt. Jetzt soll sich der türkise Blick aber wieder in Richtung Zukunft richten - und wohl auch auf die Nationalratswahl 2024.
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