Das geplante europäische Insolvenzrecht ist "revolutionär", sagt Experte Florian Klimscha.
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Wien. Mit einer Geschäftsidee scheitern - in manchen Ländern wird das als beruflicher Suizid angesehen, in anderen wird ein Unternehmer schief angeschaut, der nicht mindestens zwei Mal hingefallen und wieder aufgestanden ist. Hierzulande liegt die Einstellung irgendwo dazwischen, wohl eher in Richtung Ersterem.
Das soll sich bald ändern. Noch im März will die Regierung ein, so heißt es im überarbeiteten Regierungsübereinkommen, "modernes Insolvenzrecht" auf den Weg bringen, das auch in Österreich eine "Kultur des Scheiterns" etabliert. Geplant sind demnach ein Entfall der Mindestquote bei der Rückzahlung und die Entschuldung schon nach drei Jahren statt bisher sieben Jahren. Die Schuldnerberatungen sehen darin "ganz wesentliche Verbesserungen im Privatkonkurs", hieß es.
Doch auch im Insolvenzrecht für Unternehmen könnte es bald zu maßgeblichen Verbesserungen kommen, hat die Europäische Kommission doch Ende vergangenen Jahres einen Richtlinien-Entwurf für europaweit gleiche Regelungen zur Bekämpfung von Firmeninsolvenzen veröffentlicht. Im Vordergrund sollen dabei Restrukturierungsmaßnahmen stehen, wie Florian Klimscha, Partner und Insolvenzrechtsexperte bei Freshfields Bruckhaus Deringer, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erläutert. "Der Entwurf hat aus der Sicht eines Restrukturierungspraktikers alles Werkzeug, das man sich wünschen würde", sagt er. Denn derzeit ist das Firmeninsolvenzrecht in Europa zersplittert - in manchen Ländern steht der Schutz der Schuldner im Vordergrund, in manchen jener der Gläubiger.
System wird vereinheitlicht
Mit dem nun vorliegenden "spektakulären" Entwurf würde dieses System bis 2019 vereinheitlicht -was auch zu einem Wettbewerbsvorteil für Europa führen könnte. "Internationale Investoren schauen sehr stark auf das Insolvenzregime eines Landes, für sie ist Vorhersehbarkeit wichtig - damit würde man diesen Markt sehr stark beleben", so Klimscha.
Eine der wesentlichen Neuerungen sei, dass der Schuldner im Restrukturierungsverfahren sein eigener Herr bleiben soll - geschützt vor dem Zugriff der Gläubiger. Ein weiterer wesentlicher Aspekt: Mehrheitsentscheidungen der Gläubiger sollen verbindlich für alle gelten. "Es geht darum, einen Restrukturierungsplan mit den Gläubigern verhandeln zu können, der im Wege einer Mehrheitsentscheidung auch Minderheiten binden würde."
Natürlich werde durch die Richtlinie nicht Unmögliches möglich, aber sie eröffne Bewegungsspielraum für Maßnahmen - etwa Unternehmensteilsverkäufe, geografische Refokussierung oder die Schließung von Bereichen. Möglich werden sollen auch Finanzierungen in der Phase der Restrukturierung. "Das ist im Moment in den meisten Ländern sehr schwierig", sagt Klimscha. Denn derzeit würde kaum jemand Geld in ein Unternehmen pumpen, das in der Restrukturierungsphase ist, selbst wenn es einen belastbaren Businessplan gibt - "weil das ein Hochrisiko-Geschäft ist". Der Vorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, dass jemand, der eine Neu- oder Brückenfinanzierung ermöglicht, daraus keinen haftungs-, straf- oder insolvenzrechtlichen Nachteil haben soll.
Rechtssicheres Umfeld
Klimscha: "Die Richtlinie würde hier ein sehr rechtssicheres Umfeld bieten, das wäre ein sehr großer Sprung - gerade in Österreich." Für den Geschäftsführer würde die Richtlinie den straf- und haftungsrechtlichen Folgen einer Insolvenz die Zähne ziehen.
Und schließlich sieht der Entwurf auch ein einheitliches Regime für den "benefit from a second chance" vor - eine zweite Chance in Form einer gänzlichen Entschuldung nach einem Zeitraum von höchstens drei Jahren. Für den Experten ist der Entwurf insgesamt "revolutionär". Im österreichischen Insolvenzrecht werde sich dadurch einiges an Nachbesserungsbedarf ergeben, vor allem beim Minderheitenrecht und bei der Flexibilität. Denn "im Rahmen eines Sanierungsverfahrens kann man derzeit den Gläubigern kein Eigenkapital statt Cash anbieten - in anderen Ländern ist das ein ganz üblicher Sanierungsschritt", so der Experte. Und: "Letztlich ist unser Regime nicht für Restrukturierung außerhalb der Insolvenz gemacht." Nun soll eine Kultur des Scheiterns einkehren.