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Die zweite Welle rollt -Bittbriefe an weitere 1.500 Unternehmen versandt

Von Brigitte Pechar

Politik

Zu Wochenbeginn haben etwa 1.000 Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten einen Brief der Regierungsbeauftragten Maria Schaumayer und des Leiters der Arbeitsgemeinschaft "Plattform humanitäre Aktion", Heinz Kessler, erhalten, in dem sie gebeten wurden, sich an der "freiwilligen Solidaraktion" der Wirtschaft zur Speisung des "Versöhnungsfonds" zu beteiligen. Zu Beginn nächster Woche folgt die zweite Welle: Weitere 1.500 Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten werden gebeten, eine Verpflichtungserklärung abzugeben.


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Die Zeit drängt, denn es ist wichtig, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter möglichst rasch zu ihrem Geld kommen. Schaumayer geht davon aus, dass nur noch 150.000 ehemalige auf österreichischem Gebiet eingesetzte Zwangsarbeiter leben. Bis Mitte/Ende August soll die Mittelaufbringung für den Fonds nahezu abgeschlossen sein.

Von der "Plattform humanitäre Aktion" werden als Zahlung 0,2 Prozent des Vorjahresumsatzes vorgeschlagen plus eines Betroffenheitsfaktors, der sich von der Zahl der beschäftigten Zwangsarbeiter ableitet.

Die Reaktionen aus der Wirtschaft sind unterschiedlich. Bisher gibt es noch keine einzige Rückmeldung auf den Brief von Kessler und Schaumayer. In der Wirtschaftskammer herrscht dennoch Zweckoptimismus. Man rechnet damit, dass die Wirtschaft zwischen 40 und 60 Prozent der 6 Mrd. Schilling aufbringen wird.

Schaumayer machte deutlich, dass sie sich Solidaritätsbeiträge von der gesamten Wirtschaft erwartet, strich aber hervor, dass Unternehmen, in denen Zwangsarbeiter gearbeitet haben, zusätzlich einen sogenannten "Betroffenheitsfaktor" einkalkulieren sollten. Sie geht davon aus, dass die Zahlungen weniger schleppend als in Deutschland erfolgen werden. Dort hat der Beauftragte für die Stiftung, Otto Graf Lambsdorff, scharfe Kritik an der Zahlungsverweigerung weiter Teile der deutschen Wirtschaft geübt. Bisher haben sich dort 2.950 Unternehmen zu Zahlungen von 3,2 Mrd. DM bereit erklärt. Lambsdorff sprach von einem "öffentlichen Ärgernis".

Die zwei großen Bereiche - neben der Landwirtschaft mit 36,3% -, in denen je 5% der Zwangsarbeiter eingesetzt waren, waren die Elektrizitätswirtschaft und die Baubranche. Die E-Wirtschaft ist derzeit noch am überlegen, ob eine gemeinsame Lösung aller EVUs angestrebt werden soll oder jedes einzelne Unternehmen für sich einen Beitrag leistet. Der Verbund etwa hat bereits vor zwei Jahren eine eigene Historikerkommission eingesetzt und damit seine grundsätzliche Bereitschaft zu Zahlungen dokumentiert. Der Umsatz der gesamten E-Wirtschaft beträgt zwischen 50 Mrd. und 60 Mrd. Schilling, der Verbund-Konzern hatte 1999 einen Umsatz von 17 Mrd. Schilling.

Die Österreichischen Bundesbahnen beschäftigten 3,6% der auf österreichischem Gebiet eingesetzten Zwangsarbeiter. Von den ÖBB gibt es mittlerweile eine Zusage, 200 Mill. Schilling in den Fonds einzuzahlen (0,2% des Umsatzes wären 90 Mill. Schilling).

Viele Unternehmen haben sich bereits geoutet. Die Firma Doppelmayer, ein Seilbahnunternehmen, war der erste Betrieb in Vorarlberg, der zum Rüstungszulieferer erklärt wurde. 60 Zwangsarbeiter waren dort eingesetzt. Prokurist Christoph Hinteregger gibt an seine Managerkollegen die "Empfehlung aus, hier freiwillig mitzutun, da es eine große emotionale Komponente geben kann". Der Imageschaden, den ein Unternehmen durch unterlassene Zahlungen erleiden könne, sei nicht quantifizierbar. Exportrückgänge und Umsatzeinbußen könnten die Folge sein. Hinteregger appelliert daher an alle Unternehmen, aus humanitären Gründen, aber auch unter diesem unternehmerischen Aspekt mitzumachen. (Die Firma Doppelmayer beteiligt sich mit etwa 7 Mill. S.)

Ähnlich beurteilt das auch der Vorstandsvorsitzende der VA-Stahl, Wolfgang Eder. Man sei an einer gemeinschaftlichen Lösung interessiert. Das sei ein Thema, das die gesamte Wirtschaft und die gesamte Bevölkerung betreffe. Die Aufarbeitung und die Zahlungen seien notwendig, "um einen ordentlichen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen".

In der früheren Staatsdruckerei waren 100 Zwangsarbeiter eingesetzt. Gerhard Gehmayr, Generaldirektor der von der OESD abgespaltenen Print Media Austria, bekräftigte seine Bereitschaft einen entsprechenden Beitrag (500.000 Schilling) zu leisten. Voraussetzung sei allerdings der Rechtsfriede.