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Die Zwickmühle der EU-Erweiterung

Politik
Sein Land beweise jeden Tag, dass es schon Teil eines vereinten europäischen Werteraums sei, meint der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
© reuters / Valentyn Ogirenko

Das EU-Beitrittsansuchen der Ukraine rückt das Westbalkan-Dilemma der EU in den Fokus.


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Ginge es nach Charles Michel, würde die EU ihrer Erweiterung neuen Schwung verleihen. Diesen Wunsch verpackte der EU-Ratspräsident in sein Einladungsschreiben an die EU-Staats- und -Regierungschefs, die am Donnerstag zu einem zweitägigen Gipfeltreffen nach Brüssel reisen. Erwähnt wird dabei der Westbalkan, "der für die EU wichtig ist, so wie die EU wichtig für den Westbalkan ist". Daher sollten "wir dem Erweiterungsprozess neuen Antrieb geben", meint Michel.

Große Erwartungen, dass den Worten rasch Taten folgen, werden die südosteuropäischen Regierungsvertreter, die bei der Spitzenzusammenkunft ebenfalls anwesend sind, freilich kaum haben. Zu lange schon steckt die Erweiterungspolitik in der Sackgasse - und ob sich dies durch das EU-Beitrittsansuchen der Ukraine ändern wird, ist offen. Der Antrag des Landes wird denn wohl auch für eine breitere Gipfeldebatte sorgen als die Annäherung der Westbalkan-Staaten.

Für die EU-Kommission ist klar: Der Ukraine sollte - ebenso wie der benachbarten Republik Moldau - der Status eines Beitrittskandidaten verliehen werden. Die Brüsseler Behörde empfahl das vor wenigen Tagen, nicht einmal vier Monate nach der Antragstellung durch Kiew und Chisinau. Es sei an der Zeit anzuerkennen, dass die Zukunft der Länder in der EU liege, betont ebenso Michel. Er legt den EU-Regierungschefs nahe, den Anwärterstatus zu gewähren.

Reformen ohne Belohnung

Das lehne auch kein EU-Land ab, konstatierte zumindest der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn am Rande eines Treffens mit Amtskollegen am Dienstag. Dennoch waren in den vergangenen Tagen aus einigen Hauptstädten Einwände zu hören. In Berlin und Wien etwa wurde immer wieder darauf gepocht, den Westbalkan nicht zu vernachlässigen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederum brachte eine andere Form der EU-Anbindung als eine Mitgliedschaft in der Union ins Spiel.

Solche Ideen gab es bereits vor Jahren in Berlin in Zusammenhang mit der Beitrittskandidatin Türkei. In Ankara wurde dies brüsk zurückgewiesen - so wie es nun in Podgorica, Tirana und Skopje nicht goutiert wird. Und Belgrad versucht sich ohnehin im Balanceakt zwischen der EU, Russland und China.

Auch in Kiew wird darauf hingewiesen, dass die Ukraine auf nichts weniger als eine EU-Mitgliedschaft hinarbeite. Das von Russland angegriffene Land beweise jeden Tag, dass es schon Teil eines vereinten europäischen Werteraums sei, erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache.

Mit einem Schnellverfahren zur Aufnahme in die Gemeinschaft kann die Ukraine allerdings nicht rechnen. Das haben bereits mehrere EU-Regierungspolitiker deutlich gemacht. Und auch Länder, die bereits einen Kandidatenstatus haben, wissen, wie lange der Weg in die Union ist.

Besonders schmerzhaft ist dies für Nordmazedonien, das seit fast 17 Jahren EU-Anwärter ist. Die enormen Reformanstrengungen des Landes - bis hin zu einer Änderung der Verfassung und des Staatsnamens, um eine Blockade Griechenlands auszuräumen - sind noch immer nicht belohnt worden. Nun sträubt sich Bulgarien gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien. Auch Albanien wartet noch auf ein Datum für den Start der Verhandlungen. Mit Serbien und Montenegro laufen diese bereits. Davon sind Bosnien-Herzegowina und der Kosovo noch weiter entfernt. Die beiden Länder haben noch keinen Kandidatenstatus erhalten. Die Kosovaren dürfen nicht einmal ohne Visum in die EU einreisen.

Sanktionen gegen Russland

Doch auch ein weiteres Thema wird die Gipfelteilnehmer beschäftigen: Strafmaßnahmen gegen Russland. So erwägen die EU-Staaten zusätzliche Schritte und haben dabei Diplomaten zufolge auch erstmals Gold im Blick. "Wir werden weitermachen mit Sanktionen", heißt es in einem Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels, den die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte. In einer früheren Version war von weiteren Sanktionen konkret nicht die Rede. Nach Angaben von EU-Vertretern könnte Gold, ein wichtiger Vermögenswert für die russische Zentralbank, ein Ziel sein.(czar)