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Die strikte Budgetdisziplin hat in 30ern die Krise verschärft. | "EU und Eurozone sind ein Segen." | Herbert Matis: Es gibt Parallelen bei jeder Wirtschaftskrise: Überproduktion und überbewertete Aktien, Spekulation, Börsenkrach. Der Ausdruck "Krach" ging übrigens 1873 von Wien aus und wurde in andere Sprachen übernommen.
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Meist folgen dann ein Durchschlagen der Krise auf die Realwirtschaft, Konjunkturabschwung, geringerer Welthandel - und am Ende droht Massenarbeitslosigkeit.
Was ist heute anders?
Damals hat man gemeint, man könne die Krise durchtauchen, der Markt werde sich selbst heilen. Deshalb hat man strikte Budgetdisziplin eingehalten und Deflationspolitik betrieben: Das Geld wurde durch Hochzinspolitik verknappt.
Heute versucht man, durch niedrige Zinsen die Liquidität anzukurbeln und Investitionen zu erleichtern. Ein weiterer Unterschied: Die EU und die Eurozone sind ein Segen, weil international abgestimmt agiert wird. Damals haben die Nationen versucht, durch einseitige Währungsabwertungen Vorteile zu gewinnen, was die Krise verstärkt hat. Und es wurde heute relativ rasch reagiert, damit die Liquiditätskrise nicht die Realwirtschaft in eine Abwärtsspirale reißt.
Was war damals die Rolle des Staates? Die gängige Meinung war in den 1930ern gegen Interventionismus .. .
Absolut. Einer der Exponenten war Ludwig von Mises, aber auch schon Friedrich August von Hayek: Sie waren strikt gegen wirtschaftliche Aktivitäten des Staates. Finanzpolitik war klassische Parallelpolitik: Man kann nur ausgeben, was man einnimmt.
Das hat man durchgehalten bis zuletzt, was angesichts der Krise ein Problem war. Es gab schon 1936, in der Endphase der Krise, das Buch von John Maynard Keynes. Das wurde aber als Schuldenmachen abgelehnt - nur in Skandinavien gab es Versuche einer antizyklischen Politik.
Welche Rolle hat Roosevelts "New Deal" gespielt?
Für die USA war das ein ideologischer Sprung über den Schatten: staatliche Konjunkturprogramme, der Ausbau des Sozialstaates und Arbeitsbeschaffung durch Großprojekte.
Heute hört man bei uns bereits, "der Kapitalismus ist tot". Der Irrtum ist, beides singulär zu sehen: Marktwirtschaft pur oder alles reguliert der Staat. In Wirklichkeit sind der Staat und der Kapitalismus als Wirtschaftssystem nicht zu trennen. Sie sind als siamesische Zwillinge aufeinander angewiesen. Der Staat setzt Rahmenbedingungen und greift bei Fehlentwicklungen ein. Von überbordenden staatlichen Steuerungsmechanismen halte ich aber nichts, weil sie meist nicht funktionieren.
Das staatliche Auffangen der Credit-Anstalt 1931 konnte den Zusammenbruch auch nicht verhindern .. .
Die Credit-Anstalt war die weitaus größte Bank, sogar im zentraleuropäischen Raum. Auslöser für die Krise war, dass die von der Agrarkrise getroffene Bodencreditanstalt durch Fusion gerettet werden sollte, was die Credit-Anstalt mitriss.
Obwohl man absolut gegen Interventionen war, erkannte man, diese Bank können wir nicht fallen lassen. Das Misstrauen der Bevölkerung war dennoch groß - Folge war ein panikartiger Run, der jede Bank in eine Liquiditätskrise stürzt.
Wann werden Banken zu groß, um von Staaten aufgefangen zu werden? Wir kennen "too big to fail" - gibt es auch "too big to be saved"?
Das ist eine interessante Frage, zu der es zu wenige Untersuchungen gibt. Auch heute ist bei Banken oft die Eigenkapitaldecke nicht gegeben, um den enormen Geschäftsumfang zu rechtfertigen.
Die Geschichte lehrt: Nach der Blase ist vor der Blase. Sind Spekulationen vielleicht sogar für Wachstum erforderlich?
Wachstum wird nach wie vor in der Realwirtschaft gemacht - durch neue Märkte und Produkte. Das hat man ein wenig vergessen. Die Finanzmärkte sollten die finanzielle Alimentierung gewährleisten, um die Realwirtschaft in Gang zu halten.
Wird die Diskrepanz zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft zu groß, ist das ungesund. Mir ist zum Beispiel ein Rätsel, warum die ÖBB einen Auftrag haben sollen, hochriskante Spekulationsgeschäfte zu betreiben. Und das ist kein Einzelfall.
Zur PersonHerbert Matis (67) ist Professor der Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Wirtschaftsuni Wien und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften.