Diebstahl setzt Gewahrsamsbruch und Vorsatz voraus. | Kein Bruch des Gewahrsams, wenn Sache herrenlos - Vorsatz fraglich. | Wien. In Deutschland sorgt eine Kündigung in der Entsorgungsbranche für Aufregung. Der Müllarbeiter Mehmet G. wurde von seinem Arbeitgeber des Diebstahls beschuldigt, nachdem er ein originalverpacktes Kinder-Reisebett mit nach Hause genommen hatte, das er im Müll fand. Es befand sich in einem Altpapiercontainer, der gerade bei dem Mannheimer Entsorgungsbetrieb, bei dem Mehmet G. arbeitet, abgeliefert worden war. Mehmet G., der zwei kleine Töchter hat, nahm das Bett nach Dienstschluss mit nach Hause. Das hatte für ihn fatale Konsequenzen: Die fristlose Entlassung folgte am selben Tag und wurde kurz darauf in eine Kündigung geändert.
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Dass der Arbeiter das Bett sofort wieder ausgeladen hatte, hatte seinen Chef nicht mehr umstimmen können. Mehmet G.s Verhalten wurde von dem Entsorgungsunternehmen als "Diebstahl von Firmeneigentum" bezeichnet - und dass, obwohl das Bett ohnehin verschrottet worden wäre. Mehmet G. wendete sich an das Arbeitsgericht.
Kündigung unwirksam
Was dann folgte, war ein erbitterter Prozess - beide Parteien schlossen bereits im Vorfeld einen Vergleich aus: Sie erklärten, wenn nötig, durch alle Instanzen zu gehen. Ende Juli entschied das Arbeitsgericht Mannheim für Mehmet G.: Das Verhalten des Mitarbeiters sei zwar nicht korrekt gewesen, die Kündigung sei dennoch unwirksam, da sie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit spreche. Die Entsorgungsfirma muss Mehmet G. rückwirkend bis Dezember seinen Lohn bezahlen. Ob er tatsächlich in den Betrieb zurückkehrt, ist jedoch offen.
Wie sieht die Rechtslage in Österreich aus? Kann Müll bei uns gestohlen werden? "Das kommt auf die Umstände an," meint Hannes Schütz vom Institut für Strafrecht an der Universität Wien. "Bei Müll handelt es sich um Sachen, die jemand freiwillig aufgegeben hat, die also niemandem gehören. Diebstahl erfordert einen Gewahrsamsbruch - also eine Sache aus dem Besitz eines anderen zu nehmen. Da Müll aber herrenlos ist, kann kein Besitz gebrochen werden. Es gibt ja niemanden, dem man die Sache wegnehmen kann."
Zudem erfordert der Tatbestand des Diebstahls vorsätzliches Handeln. "Vorsatz in diesem Zusammenhang bedeutet bereits, es ernstlich für möglich zu halten, etwas zu stehlen. Bei Müll liegt das wahrscheinlich nicht vor, da niemand davon ausgeht zu stehlen, wenn er etwas aus dem Abfall nimmt", so Schütz. "Solange sich der Müll also in Müllbehältern befindet, kann er, da er niemandem gehört, auch nicht gestohlen werden".
Anders ist die Rechtslage dann, wenn der Müll keine herrenlose Sache mehr ist, sondern einen neuen Eigentümer gefunden hat - so wie das Kinderbett im Hof des Mannheimer Betriebs.
Auch nach dem Wiener Abfallwirtschaftsgesetz ist das dann der Fall, sobald die Müllabfuhr den Abfall übernimmt. "Wird Müll beispielsweise aus einem Müllwagen oder einer Deponie entwendet, so liegt jedenfalls ein Gewahrsamsbruch vor. Da wird die Sache der Müllabfuhr weggenommen", sagt Schütz. Fraglich ist aber auch in diesem Fall der Vorsatz. "Wenn jemand eine Sache von der Müllabfuhr mitnimmt und davon ausgeht, dass die Sache für sie keinen Wert hat, liegt wohl keine Absicht vor, etwas zu stehlen", so Schütz.
Die Frage, ob Müll gestohlen werden kann, ist auch für "Freeganer" von Relevanz. "Freeganer" sind Menschen, die Lebensmittel aus dem Müll suchen. Ihre vordergründige Motivation ist allerdings nicht eine finanzielle Notlage, sondern die Boykottierung der Wegwerfgesellschaft.
Erlöse durch Altstoffe
Ob es sich bei dieser Art von Lebensmittelbeschaffung um Diebstahl handelt, ist im Einzelfall zu beurteilen. "Hält ein Freeganer es für ernstlich möglich, eine fremde Sache zu stehlen, so ist der Vorsatz zu bejahen. Von einem Gewahrsamsbruch kann beispielsweise bei Eindringen in ein Supermarktgelände gesprochen werden", erklärt Nina Huber vom Institut für Strafrecht der Universität Wien.
Bei der Wiener Magistratsabteilung 48 für Abfallwirtschaft verbieten die internen Regelungen den Mitarbeitern die Mitnahme von Müll. "In Wien gibt es ja nicht nur Restmüllsammlungen, sondern auch 19Mistplätze, wo durchaus auch gut erhaltene Sachen abgegeben werden. Diese werden von uns in regelmäßigen Bazaren verkauft. Würde ein Mitarbeiter etwas mitnehmen, hätten wir - und in weiterer Folge der Steuerzahler - einen wirtschaftlichen Schaden", meint ein Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung der MA 48. Müll bestehe ja nicht nur aus Restmüll, sondern auch aus Altstoffen, durch die Erlöse erzielt werden. Es liege somit auch im Interesse des Steuerzahlers die Verwertung zu optimieren und Entwendungen zu verhindern.
Auf den Fall des Mehmet G. angesprochen, meint der Rechtsexperte: "Uns ist kein derartiger Fall bekannt. Wir würden, wenn so etwas passiert, aber sicherlich einmal mildere Maßnahmen ergreifen - etwa ein Gespräch führen - und den betroffenen Mitarbeiter nicht gleich kündigen. Man muss schließlich auch immer den menschlichen Aspekt sehen."