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"Diese Angst ist noch heute in meinen Knochen"

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Die heuer zum zehnten Mal unter der bewährten Moderation von Hans-Henning Scharsach abgehaltene Volkstheater-Matinee mit Zeitzeugen der sogenannten "Reichskristallnacht" stand Sonntagvormittag ganz im Zeichen der Frauen, die das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überlebt haben. Die Schrecken dieses speziell für weibliche Häftlinge eingerichtete KZ beschrieb die 78-jährige Kärntner Slowenin Helene Igerc mit schlichten ergreifenden Worten: "Diese Angst sitzt noch heute in meinen Knochen".


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Mit Mutter und Schwester gemeinsam war Igerc von den Nazis aus ihrer Kärntner Heimat deportiert worden. Zuvor hatte sie sich geweigert, der Aufforderung ihres Nazi-Lehrers nachzukommen und dem BDM beizutreten. Auch der Vater hatte sich verdächtig gemacht, weil er gegen Hungerlöhne demonstriert hatte - für einen Stundenlohn hatte man sich gerade einmal drei Semmeln kaufen können. In Ravensbrück hatte Helene Igerc die Nummer 68.400 erhalten bevor sie in ein Außenlager überstellt wurde, wo es bei unzureichender Ernährung und Bekleidung Sklavenarbeit zu leisten galt. Den Selektionen für die Gaskammer ist sie mehrmals entkommen, weil eine tschechische Blockälteste ihren Namen von der Liste gestrichen hat und einen medizinischen Versuch, wie lange Menschen in einem luftdicht abgeschlossenen Bunker überleben können, überstand sie wie durch ein Wunder. Im September 1945 nach Hause zurückgekehrt empfand Helene Igerc die Heimat als kalt und fremd. Im Gemeindeamt residierte noch der Sekretär aus der Nazi-Zeit, der auf die Bitte nach Lebensmittelkarten trocken meinte: "Was willst Du denn, ihr seid doch Selbstversorger".

Die fast 80-jährige Regine Chum, nach den Nürnberger Rassegesetzen als Mischling eingestuft - ihr jüdischer Vater wurde in Buchenwald ermordet - wurde wegen Widerstandstätigkeit nach Auschwitz deportiert. "Nach den Wochen im Wiener Gefängnis waren wir zuerst froh, an der frischen Luft zu sein" erzählte sie. Erst nach und nach habe man die grauenhafte Wirklichkeit erkannt, die Selektionen für die Gaskammern miterlebt, bei denen Freunde von einem Tag auf den anderen verschwunden waren. Nach der Evakuierung von Auschwitz kam sie ins vollkommen überfüllte KZ Ravensbrück, wo sie unter unbeschreiblichen Umständen in einem Zelt im Freien mitten im Winter untergebracht war. Auf dem Todesmarsch bei Kriegsende flüchtete sie und erlebte auf dem Heimweg wie Helene Igerc die Ablehnung der Bevölkerung: "In Oberösterreichgaben sie uns nicht einmal Wasser zum trinken".

Ach Mila Kalibova erlebte fast drei Jahre lang die Unmenschlichkeit in Ravensbrück. Als 19-jährige kam sie im Frühsommer 1942 in einer Gruppe von 196 Frauen - die älteste war 88, die jüngste 16 - aus Lidice nach Ravensbrück - als Rache für das Attentat auf Reinhard Heydrich. Zuvor hatte man die Frauen zuerst von den Männern getrennt und dann von den Kindern. "Mit Gewalt hat man die weinenden Kinder von den Frauen weggerissen. Das war der traurigste Abschied unseres Lebens". Als die überlebenden Frauen nach Kriegsende nach Lidice zurückkehrten gab es dort nur noch Felder und sie erfuhren vom Mord an ihren Männern, den ihnen ihre Mitgefangenen in Ravensbrück gnädig verschwiegen hatten. Von den 105 Kindern kehrten nur 17 zurück.

Auch die heute 87-jährige Antonia Bruha, die man 1941 als Widerstandskämpferin in Wien verhaftet hatte, wurde von ihrem eben erst geborenen Kind brutal getrennt. Nach einem Jahr in Gestapo-Haft, kam sie nach Ravensbrück, wo sie nach schwerer körperlicher Sklavenarbeit über Vermittlung von Rosa Jochmann als Revierleiterin in den Häftlingskrankenbaracke zu SS-Arzt Percy Treite kam. Toni Bruha erlebte dort, wie Neugeborene Stunden nach der Geburt tot waren, wie man an jungen polnischen Frauen grausame medizinische Experimente ausführte und 11-jährigen Zigeunerkindern bei Sterilisationsversuchen mit Röntgenstrahlen und Säure die Gebärmutter verbrannte. Erst in den letzten Wochen habe man einige Neugeborene retten und drei zum Tode verurteilte Österreicherinnen vor der SS verstecken können.

Gedenkstätte für jüdische NS-Opfer eröffnet

Der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, hat am Samstagabend vor dem Erlöschen der Jüdischen Gemeinde in Österreich gewarnt. "Wir leben in einer kleinen, immer kleiner werdenden Gemeinde mit 7.000 bis 8.000 Mitgliedern", sagte Muzicant bei der Eröffnung einer Gedenkstätte für 65.000 jüdische Nazi-Opfer im Wiener Stadttempel.