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Man sagt nicht zu Unrecht, dass die Wahrheit wehtun kann. Oft kann sie ganze Berufssparten in schlechtes Licht rücken, auch wenn es nur ein Hilfeschrei sein soll: Maria Francesca Garritano hat es gewagt, und ihr wurde mit einer Entlassung gedankt. Die 33-jährige Ballerina der Mailänder Scala hat in ihrem Buch "La verita, vi prego, sulla danza" (Die Wahrheit, bitte, über das Ballett) über die omnipräsente Problematik von Essstörungen und Magersucht im Ballett-Ensemble berichtet und schwere Vorwürfe an ihre Ausbildner und gegen das Opernhaus erhoben. Sie solle gezwungen worden sein, sich von Äpfeln und Joghurt zu ernähren, um ihre Figur halten zu können. Die Schuldfrage sollte hier nicht zur Entlassung wegen Rufschädigung führen, sondern vielmehr der Anstoß zur Diskussion eines strukturellen Problems sein. Denn Balletttänzerin zu werden und zu bleiben, ist gleichzeitig eine bewusste Verzichtserklärung, mit der man - freiwillig eben - zu leben lernt. Ballett ist eine Berufung, für die man leiden muss: Verletzungen stehen ebenso an der Tagesordnung wie eben auch der Verzicht auf Völlereien - Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Doch wer sich nur von Äpfeln und Joghurt ernährt, trägt schlichtweg selbst die Schuld. Dass es allerdings grundsätzlich grob fahrlässiges Ernährungsverhalten im Ballett gibt, liegt auf der Hand, ein Blick auf klapperdürre Mädchen bestätigt dies bei jeder Ballett-Vorstellung. Die Verantwortlichen zu finden, ist nicht möglich: die Tänzer? Die Ballett-Intendanten? Die Ausbildner? Das Elternhaus? Der Appell an die Vernunft aller verhallt leider auch heute noch häufig ungehört.