Hunderttausende Griechen demonstrierten am Donnerstag gegen die geplante Pensionsreform von Premier Alexis Tsipras.
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Athen. Maria Papadopoulou, 58, Brille, rotgefärbtes Haar, hält an diesem frühlingshaften Donnerstagmittag mitten auf dem Athener "Klafthmonos"-Platz einen pechschwarzen Luftballon in der Hand. Darauf ist eine Krankenpflegerin abgebildet, in der Sprechblase steht: "Alexis, wie lange soll ich noch arbeiten?" Mit Alexis ist Athens vor gut vier Monaten wiedergewählter linker Premier Alexis Tsipras gemeint. Papadopoulou, Pflegerin in einem Athener Spital, demonstriert gegen Tsipras’ rigorosen Sparkurs. Was nicht nur Papadopoulou maßlos ärgert: der jüngste Regierungsvorschlag über eine Pensionsreform.
Paradox: Maria Papadopoulou steht mit rund 50.0000 Demonstranten in der Athener Innenstadt, obwohl sie Tsipras im September noch einmal gewählt habe, wie sie unverhohlen enthüllt: "Tsipras hat uns vor der Wahl andere Sachen versprochen. Er wollte die Sparpolitik abmildern, er wollte dafür ein Parallelprogramm auflegen. Alles gelogen! Stattdessen wird alles immer schlimmer."
Ob in Athen, Thessaloniki, Volos, Korfu, Patra oder auf dem Peloponnes: Die jüngste Protestwelle in Hellas erreichte am Donnerstag mit einem 24-stündigen Generalstreik ihren (vorläufigen) Höhepunkt. Es war zwar schon der dritte Generalstreik seit Tsipras’ Wiederwahl. Fast alle Berufsgruppen beteiligten sich an dem Ausstand. Hunderttausende gingen in ganz Hellas auf die Straße - und dies weitgehend friedlich. Dennoch: Die Wut der Griechen wird immer größer.
Der Anfang des Jahres präsentierte Entwurf der Regierung zur Pensionsreform ist für das Gros der Griechen nur eines: "Eine Guillotine." Dies ist auch auf der Athener Großdemo immer wieder zu hören. Was Tsipras will: Alle Pensionskassen sollen fortan zu einer einzigen Sozialkasse fusionieren. Die künftigen Pensionen sollen ferner um durchschnittlich 15 Prozent sinken, die heutigen Bezüge hingegen unangetastet bleiben - zumindest vorerst. Dafür sollen die Sozialbeiträge massiv angehoben werden.
Nicht nur Bauern und Fischer, sondern auch andere Freiberufler wie Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Ärzte und Ingenieure, die sich erstmals zu einer "Bewegung der Krawattenträger" formiert haben, laufen gegen die Regierungspläne Sturm. Denn: Sie müssen unisono besonders bluten. Seit Wochen blockieren Bauern mit ihren rund 25.000 Traktoren an landesweit 127 Stellen die Autobahnen. Sie drohen, die Grenzübergänge nach Bulgarien und in die Türkei unbefristet zu schließen. Griechenland droht der Verkehrs-Blackout. Ferner blieben am Donnerstag die Fähren in den Häfen angebunden. Zudem fielen Inlandsflüge aus. Ebenso zogen die Taxifahrer die Bremse an. Auch Tankstellen und Geschäfte blieben geschlossen.
Die Forderung der Demonstranten: Die Athener Regierung solle umgehend ihren Reform-Entwurf zurücknehmen, damit ein Dialog "von null an" beginnen könne - bisher ohne Erfolg. Dies liegt auch daran, dass die Chefkontrolleure von Griechenlands öffentlicher Gläubiger-Quadriga aus EU, Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischem Stabilitätsmechanismus bereits signalisiert haben, dass sie zusätzlich weitere Einschnitte auch bei den jetzigen Pensionen wollen.
Die Athener Opposition lässt Tsipras im Regen stehen. Hartnäckige Gerüchte, wonach der 41-jährige Regierungschef schon erwäge, alsbald mit Neuwahlen - es wäre der dritte Urnengang in Athen in nicht einmal eineinhalb Jahren - die Flucht nach vorne zu ergreifen, wird aus Regierungskreisen mit Nachdruck dementiert. Noch.
Derweil wird der Ton auf den Athener Straßen zusehends rauer. Die Demonstranten skandierten am Donnerstag erstmals in der Ära Tsipras in Anspielung an die Turbulenzen 2001 in Argentinien: "In einer Nacht, so magisch wie die damals in Argentinien, werden wir sehen, Alexis, wer die Helikopter besteigen wird." Eine unmissverständliche Drohung. Als dieser Sprechchor durch die Straßen hallt, ist der Geschmähte aber gar nicht da. Alexis Tsipras weilte am Donnerstag in London bei der Syrien-Geldgeber-Konferenz.