Das Fallen der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze sei sicher die Voraussetzung für eine sinnvolle Schulreform, sagt die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel. Die Zukunftskommission des Bildungsministeriums, der Spiel angehörte, habe aber mit guten Gründen nicht die Einführung der Gesamtschule vorgeschlagen. Man könne die österreichische Schulrealität nicht mit PISA-Spitzenreiter Finnland vergleichen.
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Christiane Spiel, Dekanin der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien, betont: "Ein Gesamtschulsystem ist nur dann gut, wenn es eine innere Differenzierung gibt." Eine solche dürfe sich nicht nur auf drei Leistungsgruppen beschränken, sondern müsste Individualisierung anstreben.
Neben "erfolgreichen Gesamtschulsystemen" gebe es, etwa in Deutschland, auch andere. Dass sich auch differenzierte Schulsysteme bewährt haben, beweist für Spiel, dass es nicht darauf ankommt, "was außen draufsteht". In Österreich haben mitunter ländliche Hauptschulen ein höheres Niveau als städtische AHS-Unterstufen. Eine gute Gesamtschule müsse neben der Chancengleichheit für alle auch die bestmögliche individuelle Förderung des einzelnen Kindes zum Ziel haben.
Dass die Zukunftskommission die Gesamtschule nicht explizit empfahl, liege nicht an politischen Rücksichten, sondern an sachlichen Gründen. Ein Hindernis ist der völlig unterschiedliche Ausbildungsstand der Lehrkräfte für 10- bis 14-Jährige. Erste Voraussetzung wäre eine gemeinsame fachliche und didaktische Ausbildung aller Lehrkräfte dieser Schulstufe.
Zweitens, so Spiel, sei das Lehrpersonal bei uns weit von jener Einstellung entfernt, die in Finnland herrscht. Dort schieben bei schlechten Schulleistungen die Lehrenden die Verantwortung nicht an Schüler und Eltern ab, sondern überlegen, wo sie zu wenig erklärt oder gefördert haben.
Für Christiane Spiel ist jetzt die Politik gefordert, nach dem "schwammigen" Kompromiss zur Zwei-Drittel-Mehrheit die Schulreform voranzutreiben. Die Lehrkräfte müssten dabei als Experten am Ort aktiv eingebunden, motiviert und unterstützt werden: "Es geht nicht nur darum, Entscheidungen zu treffen, sondern Prozesse zu definieren und sorgfältig zu begleiten." Es sei in der Bildungspolitik schon viel Gutes beschlossen worden, es müsse aber auch "in jede Klasse und zu jedem Lehrer vordringen".