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Digitale (Hiobs-)Botschafter

Von Lea Luna Holzinger

Politik
Videodolmetschen wird etwa in Gebärdensprache, Türkisch und Bosnisch angeboten .
© Hautzinger

Service soll das Übersetzen von überforderten Angehörigen ersetzen.


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Wien. In einem Behandlungszimmer im St. Anna Kinderspital wartet ein Ehepaar darauf, dass der 6-jährigen Tochter geholfen wird. Ehe der Arzt mit der Untersuchung beginnt, schaltet er einen Bildschirm ein, auf dem eine junge Frau mit Headset erscheint. "Dobar dan", sagt sie zu der Familie und "Guten Tag" zum Arzt. Nun kann der Arzt Gustav Fischmeister die Mutter zu gesundheitlichen Problemen der kleinen Vanessa befragen - die Dolmetscherin am Bildschirm übersetzt die Fragen auf Serbisch.

Solche Bildschirme wie im Kinderspital stehen seit Oktober 2013 österreichweit in elf Krankenanstalten. In Wien nehmen neben dem Kinderspital das UKH Meidling, die Semmelweis Frauenklinik und die Rudolfstiftung an dem Videodolmetsch-Programm der Plattform Patientensicherheit teil. Das Prozedere ist in allen Kliniken gleich: Wird ein Patient behandelt, der schlecht Deutsch spricht, schafft das Krankenhauspersonal den auf einem fahrbaren Gestell angebrachten Bildschirm herbei. Auf dem Display kann man dann zwischen Gebärdensprache, Türkisch, Bosnisch, Serbisch und Kroatisch wählen. Mit dem Finger tippt der Arzt auf ein Feld mit der gewünschten Sprache. Bald darauf meldet sich ein Dolmetscher.

Durch das Videodolmetschen soll unter anderem verhindert werden, dass Angehörige zum Übersetzen herangezogen werden. Denn viele Krankenanstalten greifen auf Angehörige zurück, darunter auch Kinder, die das entsprechende Vokabular nicht gut beherrschen und dadurch auch manchmal falsch übersetzen, erklärt Projektleiterin Maria Kletecka-Pulker.

Wenn "Ja" eigentlich "Nein" heißt

Dieses Problem kennt Gustav Fischmeister. Er ist Leiter der Allgemeinen Ambulanz des St. Anna Kinderspitals. "Oft verschweigen die Angehörigen wichtige Informationen, weil sie ihre Familienmitglieder schonen wollen", sagt er. Er hat außerdem erlebt, dass viele Patienten einfach alles mit Ja beantworten. "Sie sagen ja, sie haben alles verstanden, und dann gehen sie hinaus und haben gar nichts verstanden." Dabei geht es hier um essenzielle Informationen, wie jene der Medikation. Wenn die Patienten nicht wissen, welche Medikamente sie wie einnehmen sollen, kann es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen und einer Verschlechterung der Krankheit kommen.

Um das Problem des Dolmetschens durch Angehörige zu verhindern, werden laut Kletecka-Pulker in manchen Krankenanstalten mehrsprachige Mitarbeiter als Übersetzer herangezogen. Diese haben allerdings keine entsprechende Ausbildung für diese Tätigkeit. Die Juristin macht in diesem Zusammenhang auf eine Gefahr für die Mitarbeiter aufmerksam: "Keine Versicherung würde das je abdecken, wenn die Mitarbeiter bei der Übersetzung einen Fehler machen." Aus diesem Grund findet sie das Dolmetsch-Projekt auch im Sinne der Mitarbeitersicherheit wichtig.

Rechtliche Probleme verhindern

Durch das Videodolmetschen sollen rechtliche Probleme für die Krankenanstalten verhindert werden. Grundsätzlich bestehe in Österreich für Krankenanstalten nur dann Behandlungspflicht, wenn die Patienten unabweisbar seien, erklärt die Juristin Kletecka-Pulker. Das müssten die Ärzte feststellen. Beherrscht der Patient die Sprache jedoch nicht gut, ist dies nicht einfach. Außerdem brauche jeder Patient vor der Einwilligung in eine Heilbehandlung eine entsprechende Aufklärung.

Durch das System des Videodolmetschens soll auch das vereinfacht werden. Allerdings hätten die Mitarbeiter einiger Krankenanstalten noch Hemmungen, diese Geräte zu verwenden. "Dass die Hemmschwelle so groß ist, hätte ich nicht gedacht. Aber neue Geräte, neue Dinge machen oft Angst", meint Kletecka-Pulker.

Von den Patienten selbst werde das Videodolmetschen jedoch gut angenommen, berichtet Fischmeister. "Man merkt sofort, wie sich die Leute entspannen, sobald ein Landsmann auf dem Schirm erscheint. Auch die Kinder entspannen sich, wenn sie merken, dass die Mutter ruhig ist." Dadurch beruhige sich die ganze Situation.

Die 6-jährige Vanessa im Behandlungszimmer im Kinderspital wirkt allerdings nicht entspannt. Sie hat Halsweh, Husten und musste sich übergeben, übersetzt die Dolmetscherin für Fischmeister. Dieser erkennt schnell, dass es sich um eine eitrige Angina handelt. Vanessa bekommt ein Zäpfchen gegen das Fieber. Der Dolmetsch-Bildschirm wird in den Notfallraum geschoben. Dort ist sein Stellplatz, damit er im Notfall schnell verfügbar ist.

Das Videodolmetschen solle Dolmetscher, die vor Ort arbeiten, nicht ersetzen, meint Kletecka-Pulker. Es sei immer besser, jemanden persönlich vor Ort zu haben. Da jedoch nicht ständig eine Gruppe von Dolmetschern in den Krankenanstalten stationiert sein könne, koste es Zeit und Geld, einen Übersetzer zu rufen. Das Videodolmetschen biete deshalb eine bessere Lösung, ist Fischmeister überzeugt: "In einer Notfallsituation brauche ich in den nächsten fünf, spätestens zwanzig Minuten jemanden, der übersetzt." Und dies sei oft nur mit dem Videodolmetschen zu schaffen.

Momentan stehen die Übersetzer täglich von 6 bis 22 Uhr auf Abruf zur Verfügung. Doch der Bedarf ende nicht um 22 Uhr, meint Fischmeister. Aus diesem Grund sollen die Dolmetscher ab April rund um die Uhr verfügbar sein. Ende März endet die Pilotphase des Projekts. Danach wird das Videodolmetschen in den Routinebetrieb übergehen. Doch es gibt noch einiges zu tun. Denn die Pilotphase habe auch gezeigt, dass die derzeitigen Sprachen nicht ausreichen, sagt Kletecka-Pulker.