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Digitale Schamgrenzen

Von Franz Zauner

Leitartikel
Franz Zauner ist Online-Chef der "Wiener Zeitung" und stellvertretender Chefredakteur.
© Wiener Zeitung

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Die Datenschutzgrundverordnung hat den Normunterworfenen einiges abverlangt. Sie war teuer, sie war verwirrend, und sie zeitigte skurrile Folgen. Datenbanken, Webformulare und Workflows wurden zu Großbaustellen, aber die Lektüre von AGB ist immer noch kein Genuss. Und das institutionelle Auskunftsverhalten, das sich dank des österreichischen Amtsgeheimnis-Kultes öfter in Verweigerung äußert als in Entgegenkommen, hat nun mit dem Ruf "Datenschutz!" unüberhörbar eine weitere Keule im Arsenal. Die DSGVO, so ihr Kosename, gehört zweifellos zu den Gesetzen, die den Adrenalinspiegel der Betroffenen erhöhten.

Nun, wo aller Datenschutz-Spam gelöscht, die Cookie-Warnungen weggeklickt und die neuen AGB angemessen "gelikt" wurden, scheint sich aber doch langsam ein besseres Datengefühl auszubreiten. Die Myriaden aus Nullen und Einsern, die der User auf seinen digitalen Reisen absondert, sind weder frei verfügbar noch eine ölartige Substanz, die man nach Belieben verwerten kann. Daten, die für das Persönliche stehen, sind ein Gut, das behütet werden, mit Vorsicht genossen und mit Besonnenheit genützt werden will. Ein solches Bewusstsein wäre, bei aller praktischen Unvollkommenheit der DSGVO, ein schönes Beispiel für Rechtswirksamkeit. Wären da nicht die digitalen Riesen. Für sie scheint die DSGVO vor allem ein Marketingthema zu sein.

Es geht nicht nur um juristische Hardcore-Vergehen, wie sie der Jurist Max Schrems und sein Datenschutz-Projekt noyb.eu zur Beschwerde bringen. Die Zumutung beginnt bei den "dark patterns", den Benutzerdesigns, die darauf ausgelegt sind, den User dazu zu bringen, gegen seine Interessen zu klicken. Große Datensammler wie Google und Facebook, behauptet ein gut untermauerter Report der norwegischen Konsumentenschutz-Organisation, verstecken Datenschutzoptionen in den Tiefen ihres Angebots. Die großen Internetkonzerne offerieren ihren Kunden bestenfalls "eine Illusion von Kontrolle".

Auch die jüngste Meldung passt in dieses Bild: Google sammelt in Android-Handys offenbar auch dann Ortsdaten, wenn die entsprechende Option deaktiviert ist. Natürlich ist es möglich, versichert Google, auch das zu unterbinden. Man muss dazu nur die Website myaccount.google.com aufrufen und dort die Option "Web- und App-Aktivitäten" finden und wegklicken.

Technik schrumpft die Räume, in denen man für sich sein kann, bringt sie tendenziell zum Verschwinden. Vor der Technik sind alle nackt. Umso mehr braucht es einen Kodex für Scham und Schicklichkeit, ein Wegsehen, wenn es erwünscht ist. Man soll sich nicht nur aus dem algorithmischen Spiel nehmen können. Es sollte auch einfach sein.