Corona-bedingt wird der neue Chef der deutschen Christdemokraten von Delegierten aus dem Homeoffice gewählt. Reden im Beisein von 1000 Personen entfallen somit, neue Wege der Absprache werden gegangen.
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Die Rede vor den Delegierten, deren Raunen, Lachen, Ächzen, Toben und letztlich vom Ausmaß des Beifalls als Gradmesser für den Erfolg. All das fehlt diesmal. Stattdessen treten Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen am Samstag in der nahezu leeren Messe Berlin auf. Nur ganz wenige Personen sind dann vor Ort, wenn die drei Kandidaten um den Vorsitz der CDU um die Stimmen der 1.001 Delegierten werben. Diese verfolgen das Geschehen im heimatlichen Büro.
Die Corona-Pandemie führt dazu, dass der 33. Parteitag der deutschen Christdemokraten zum ersten digital abgewickelten mutiert. Dafür ist das Parteienrecht in der Bundesrepublik nicht ausgelegt, und so müssen die Funktionäre doppelt wählen. Wer die CDU künftig anführt, wird ebenso digital abgewickelt wie die Voten für die Mitglieder von Präsidium- und Bundesvorstand. Weil die Ergebnisse so juristisch nicht gedeckt sind, muss eine analoge Briefwahl nachgeschoben werden. Streng genommen steht somit erst nach Auszählung dieser Stimmen, am 22. Jänner, fest, wer die CDU künftig anführt.
Ein Probelauf vor der Premiere
Um das neue Wahlprozedere besser kennenzulernen, spielte die Partei Anfang der Woche einen digitalen Probelauf durch. Mehr als 800 Delegierte beteiligten sich daran. Auch das Werben um die Stimmen der Delegierten funktioniert diesmal anders, die Termine bei Vereinigungen und Landesverbänden laufen digital ab oder Delegierte werden angerufen. Spannung verspricht insbesondere die digitale Koordinierung bei einer Vorsitz-Stichwahl, wohin dann die Stimmen des ausgeschiedenen Kandidaten wandern. Die gewohnten Bilder von Delegierten-Trauben, die sich absprechen, entfallen jedenfalls.
Beim Testlauf konnten Stimmen nicht bereits vorab abgegeben werden, eine Prognose ist aufgrund der geänderten Umstände ohnehin schwierig. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage für die ARD lag Merz mit 29 Prozent vorne, Laschet und Röttgen waren mit 25 Prozent gleichauf. Befragt wurden jedoch CDU-Anhänger - was deutlich vom Votum der Delegierten abweichen kann.
Unter den Vereinigungen der CDU hat sich die Junge Union (JU) bereits frühzeitig für Friedrich Merz entschieden - wie bei dessen erfolglosem Antreten 2018. Er kam bei einer Mitgliederbefragung auf mehr als 50 Prozent. Falls Merz scheitert, favorisiert JU-Chef Tilman Kuban nicht Röttgen oder Laschet als Kanzlerkandidaten, stattdessen bringt er Jens Spahn ins Spiel. Der Gesundheitsminister profilierte sich in der Flüchtlingskrise als Widerpart zu Angela Merkel, was ihn mit Merz verbindet. Wer das Erbe der Langzeitkanzlerin so weit wie möglich abschütteln möchte, setzt ebenso auf Merz wie die Vertreter von Unternehmen und Wirtschaftsliberale. So fordert die Mittelstands- und Wirtschaftsunion unter anderem ein Moratorium für Sozialleistungen in Deutschland und ein Nein zur Vergemeinschaftung von Schulden in der EU.
Erzkonservativer wirbt für Merkelianer Laschet
Umgekehrt heißt es bei den Bewahrern der Ära Merkel: alle, bloß nicht Merz. "Wir brauchen jetzt einen starken Zusammenhalt, damit die CDU weiter die führende Partei in der Mitte der Gesellschaft bleibt", erklärte Annette Widmann-Mauz, Vorsitzende der Frauen-Union, gegenüber dem "Spiegel". Deren Vorstand legt sich nicht auf eine Person fest, favorisiert aber Laschet und Röttgen. So handhabt es auch einer der engsten Vertrauten Merkels, ihr Kanzleramtschef Helge Braun. Er verweist auf notwendige Regierungserfahrung - über die Merz als einziger der Kandidaten nicht verfügt.
Dabei war es Merkel selbst, die Norbert Röttgen mit Schimpf und Schande als Bundesumweltminister 2012 entließ, weil er die CDU zuvor als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in ein Debakel geführt hatte. Danach suchte er sich ein neues Betätigungsfeld und fand es als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Im Rennen um den Vorsitz kehrt Röttgen wieder zur Umweltpolitik zurück, schlägt dabei auch überraschend unternehmerfreundliche Töne an. Er wirbt aber auch um die Stimmen der von Merz oft abgeschreckten Frauen und positioniert sich in der Mitte der drei Kandidaten.
Denn Laschet lässt keinerlei Absetzbewegungen von Merkel erkennen. Ein solch später Schwenk wäre auch nicht glaubwürdig. Anfangs als klarer Favorit auf den Parteivorsitz gehandelt - auch weil er sich die Unterstützung Spahns sicherte -, hat Laschets Ruf unter seinem Corona-Schlingerkurs gelitten. Zuletzt landete er aber einen Überraschungserfolg: Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sprach sich für Laschet aus. Biedenkopf regierte Sachsen zwölf Jahre - einen besonders konservativen Landesverband, aus dem sich Merz viele Stimmen erhofft.