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Digitaler David fordert die Telekom-Riesen heraus

Von WZ-Korrespondent Adrian Lobe

Wirtschaft

Der Online-SMS-Dienst WhatsApp ist mittlerweile eine Milliarde Dollar wert.


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Santa Clara. SMS war gestern, WhatsApp ist heute. Tagtäglich werden 10 Milliarden Mitteilungen über den Kurznachrichtendienst geschickt. 300 Millionen aktive Nutzer verzeichnete der Messenger im vergangenen Monat, das ist mehr als Twitter. Allein in Deutschland, Mexiko, Indien und Spanien nutzen mehr als 20 Millionen Menschen regelmäßig den Dienst. Doch was macht den kometenhaften Aufstieg der Firma aus?

2009 wurde das Unternehmen von den beiden Ex-Yahoo-Entwicklern Jan Koum und Brian Acton gegründet. Über die Firmengeschichte ist wenig bekannt, die beiden Gründer meiden die Öffentlichkeit. Einen seiner wenigen Medienauftritte hatte Koum, gebürtiger Ukrainer, im Mai dieses Jahres beim Onlinemagazin "AllThingsD". Gelassen plauderte er in Jeans und Schlabberpulli über sein Projekt. Die Idee zur Gründung eines Kurznachrichtendienstes sei im Urlaub entstanden. "Ich erinnere mich, als ich nach Argentinien reiste und einer Freundin zum Geburtstag gratulieren wollte. Es war schwierig, sie zu erreichen, wegen diesem verwirrenden Vorwahlsystem und Funknetz. Ich dachte, das muss einfacher werden!"

Als er im Januar 2009 nach New York zurückkehrte, kaufte sich Koum ein iPhone und feilte mit seinem Kollege Acton an einer Software. Das Ziel: SMS über das Internet zu senden. Das geht schneller und ist obendrein billiger. "Wir wollten einen Dienst aufbauen, wo Nutzer und Kunde eins sind", sagt Koum. Aus der Idee ist ein überaus erfolgreiches Start-up geworden.

Der 36-jährige Firmengründer, der noch immer mit ukrainischem Akzent spricht, entspringt nicht der klassischen Smiley-Generation. Koum und sein Kollege Acton sind so etwas wie der Gegenentwurf zu den sendungsbewussten Internetgründern aus dem Silicon Valley: ruhig, verschlossen - und fast doppelt so alt wie manches Wunderkind der digitalen Revolution. 45 Mitarbeiter arbeiten heute in der WhatsApp-Niederlassung in Santa Clara in Kalifornien, die außen mit Graffiti besprüht ist und sechs Meilen von der Facebook-Zentrale in Cupertino entfernt liegt.

Facebook hat Interesse

Der Firmenwert von WhatsApp wird auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Bei solch einer geringen Belegschaft ein gigantischer Wert. Kein Wunder, dass Facebook bereits seine Fühler ausgestreckt hat. Auch Microsoft und Apple haben Interesse bekundet. Der digitale David fordert die Telekommunikationsriesen wie AT&T, T-Mobile und Vodafone heraus. WhatsApp wildert in einem Revier der großen Platzhirsche. Die Konkurrenz ist nervös. Durch die kostenfreien Kurznachrichten ist das lukrative Geschäft der Mobilfunkkonzerne bedroht. Das Marktforschungsinstitut Ovum schätzt, dass die Dienste die Mobilfunkbetreiber 2011 13,9 Milliarden Dollar SMS-Umsatz gekostet haben. Dieses Jahr dürfte es noch viel mehr sein.

Innerhalb von vier Jahren ist WhatsApp zu einem weltumspannenden Kommunikationsnetzwerk avanciert. Spanische Polizisten setzen WhatsApp bei der Verbrecherjagd ein. Lehrer geben über die Gruppenfunktion Hilfestellung bei den Hausaufgaben. Und auch in mancher Chefetage tauscht man sich über das Handy-Programm aus. Firmengründer Koum gibt sich als visionärer Philanthrop. Er spricht von Nachhaltigkeit und Verantwortung. "Wo Werbung ist, ist der Kunde ein Produkt", sagt er. "Wir wollen der Welt zeigen, dass es anders geht." WhatsApp hat sich einer Anti-Werbe-Philosophie verschrieben. "Wir sind aus Prinzip gegen Kleinanzeigen", sagt Koum. "Das Smartphone ist nicht der richtige Ort dafür. Sie wollen doch auch nicht von einem Werbebanner gestört werden, wenn Sie mit Ihrem Liebsten chatten."

Doch auch WhatsApp ist ein Unternehmen und als solches profitorientiert. Schon bald soll der Nutzer daher für ein Digitalabo 99 Cent pro Jahr bezahlen. Bei 300 Millionen Nutzern wären das knapp 300 Millionen US-Dollar. Kritiker wittern allerdings auch noch eine ganz andere Finanzierungsquelle. Denn WhatsApp betont zwar auf Anfrage, die Datenströme würden binnen 30 Tagen gelöscht, doch was in der Zwischenzeit damit passiert, weiß niemand.