Gibt es einen zweiten Wahlgang? | Kontinuität nach Lulas Abgang gefragt. | São Paulo. Stolz führt Dona Sandra Vieira die brasilianische Präsidentschaftskandidatin Dilma Rousseff durch ihr neues eigenes Haus. Mehr als 22 Jahre wohnte die Verkäuferin aus Recife, im Nordosten Brasiliens, in einer Siedlung aus maroden Pfahlhäusern, die auf sumpfigem Gelände standen. Es gab kein fließendes Wasser und keinen Strom, dafür aber Schwärme von Moskitos und den ständigen Geruch nach fauligem Wasser. "Für mich ist ein Traum wahr geworden", erzählt Vieira gerührt und nimmt Rousseff in den Arm. | Brasilien auf dem Sprung zur Wirtschaftsmacht
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Vor zwei Monaten konnte sie ihr neues Haus beziehen, das durch das landesweite Wohnungsbauprogramm "Mein Haus, mein Leben" errichtet wurde.
2009 initiierte die Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das 34 Milliarden Reais (rund 14,7 Milliarden Euro) schwere Förderprogramm, mit dem die Wohnungsnot der armen Bevölkerung gelindert werden soll. Vieira zeigt auf ein Bild von Lula da Silva, das eingerahmt an der unverputzten Wand über den Fernseher hängt. "Ich bin stolz auf unseren Präsidenten", sagt sie und fügt hinzu. "Dilma wird seine Politik fortführen."
Und die Chancen dafür stehen gut. Am Sonntag wählen die Brasilianer ein neues Staatsoberhaupt. Rousseff ist in allen Umfragen schon bei über 50 Prozent der Stimmen gelegen, ist aber jüngst wegen eines Bestechungsskandals um ihre engste Mitarbeiterin wieder unter die absolute Mehrheit gesunken. Damit liegt die Kandidatin von Lulas Arbeiterpartei PT (Partido dos trabalhadores) klar vor ihrem konservativen Herausforderer, dem Gouverneur von São Paulo, José Serra. Dieser war schon 2002 an Lula gescheitert, und auch diesmal liegt seine einzige Hoffnung darin, dass es einen zweiten Wahlgang am 31. Oktober geben könnte. Für die Grünen tritt die Ex-Umweltministerin Marina Silva an. Sie kommt in der Wählergunst auf mehr als zehn Prozent.
Lula populär wie nie
Für viele Beobachter ist die Aufholjagd der als Technokratin und "eiserne Lady" titulierten Rousseff ein Phänomen. Vor sechs Monaten war die gestrenge Kanzleramtsministerin nur politischen Insidern bekannt. Damals lag Serra, der 2002 schon einmal als Präsidentschaftskandidat antrat, rund zehn Prozentpunkte vorne. "Es gibt keine Wechselstimmung. Die Brasilianer sehnen sich nach Kontinuität", sagt Marcos Coimbra vom Meinungsforschungsinstitut Vox Populi in Porto Alegre. "Dilma Roussef ist die Kandidatin von Lula, der auch nach acht Regierungsjahren auf Sympathiewerte von 80 Prozent kommt." Rousseff gilt als engste politische Vertraute des populären Präsidenten. Experten sagen, sie habe viel von seiner Volksnähe gelernt. "Die Regierung Lula war für mich eine Schule fürs Leben", sagt sie bei Veranstaltungen immer wieder.
Mit dem Namen Lula verbindet vor allem die arme Bevölkerung zahlreiche Sozialprogramme wie die "bolsa família" für besonders Bedürftige, den staatlich geförderten Wohnungsbau und die Initiative "luz para todos" ("Licht für alle") zur Elektrifizierung des ländlichen Raumes. Unter seiner Präsidentschaft wurde auch der staatlich verordnete Mindestlohn auf aktuell 500 Reais (217,33 Euro) verdoppelt. Insgesamt ist die Armut unter Lula da Silva um 50 Prozent gesunken.
Auch im brasilianischen Wahlkampf hat das Online-Fieber Einzug gehalten. Kein Kandidat kommt an der ständig wachsenden Internetgemeinde vorbei. In sozialen Netzwerken, Blogs und Foren wird jeder Schritt der Präsidentschaftsanwärter genau verfolgt und kommentiert.
Wahlkampf im Internet
Das Wählerpotenzial ist enorm: Fast 87 Prozent aller brasilianischen Internet-Surfer nutzen soziale Netzwerke, wie eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstitutes Ibope zeigt. Diese Quote ist weltweit eine der höchsten, mit steigender Tendenz.
Vor allem die Marketingstrategen von Rousseff setzen auf eine virtuelle Kampagne. Vorbild ist der erfolgreiche Präsidentschaftswahlkampf 2008 von US-Präsident Barack Obama. Selbst Staatspräsident Lula da Silva wendet sich in einer Videobotschaft an die Internet-Nutzer, an die "companheros internautos", und bittet um Unterstützung für Rousseff. First Lady Marisa Silva zeigt vom heimischen Laptop aus, wie online gespendet werden kann. Nur ein paar Klicks sind notwendig.
Auch wenn die Internet-Euphorie in Brasilien hohe Wellen schlägt, verweisen Meinungsforscher doch darauf, das die Mehrheit der ärmeren Bevölkerung immer noch mit der klassischen Wahlpropaganda in Radio und TV angesprochen wird. "Sie werden das Wählerverhalten entscheidend beeinflussen", sagt Coimbra. Denn 95 Prozent aller brasilianischen Haushalte verfügen über ein Fernsehgerät, aber nur knapp 24 Prozent über einen Internetanschluss.