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Dilma Rousseffs schwärzeste Stunde

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik
Public Viewing Impeachment: Die Abstimmung wurde in Rio neben dem Strand verfolgt.
© reu/R. Moraes

Das brasilianische Repräsentantenhaus stimmte für ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin.


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Brasilia. Zwischen euphorischem Jubel und bitteren Tränen lagen an diesem historischen Tag gerade mal ein paar Meter. Auf der Avenida Atlantica in Rio de Janeiro trennte die Lager der Gegner und Befürworter des Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff nur ein Steinwurf. Beide Lager verfolgten die Live-Übertragungen im Fernsehen und auf Großbildleinwänden. Die Atmosphäre erinnerte an das Public Viewing einer Fußball-WM. Trotz der aufgeladenen Atmosphäre blieb die Lage friedlich. Das spricht für Brasiliens junge Demokratie und vor allem für die Brasilianer selbst, die sich deutlich reifer und erwachsender präsentierten als ihre Politiker.

Denn im Parlament flogen die Fetzen. Ein linker Abgeordneter bespuckte die Opposition, die revanchierte sich mit verbalen Provokationen. Hätte es noch eines Beweises bedurft, wie tief die politische Klasse in Brasilien gesunken ist, die Live-Übertragung und die bisweilen peinlich-pathetischen Begründungen jedes einzelnen Parlamentariers für oder gegen das "Impeachment" hätten gereicht. "Gott erbarme sich unseres Landes" rief Parlamentspräsident Eduardo Cunha.

Der Initiator des Verfahrens ist allerdings selbst wegen Korruption angeklagt und ein Vertreter der immer mächtiger werdenden evangelikalen Kirche. Viele Brasilianer, auch jene, die für das Impeachment sind, kommentierten die Live-Übertragung in den sozialen Netzwerken angewidert.

Der Weg für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff ist nun frei. Deutlich mehr als die erforderlichen 342 Abgeordneten stimmten im Unterhaus dem Antrag zu. Damit ist Dilma, wie sie die Brasilianer rufen, nur noch eine Präsidentin auf Abruf. Da half es auch wenig, dass sie den Tag demonstrativ mit einem Ausflug auf dem Fahrrad in der Hauptstadt Brasilia begann.

Rousseff, die selbst nicht wegen Korruption angeklagt ist, bezahlt den Preis für den gigantischen Bestechungsskandal um die regierende Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT), die sich wie andere Politiker auch Millionen aus der Kasse des Ölkonzern Petrobras abzweigte.

Nun muss noch der Senat dem Verfahren zustimmen. Das wird voraussichtlich im Mai der Fall sein.

Auch hier zeichnet sich die erforderliche Mehrheit für das hässliche, aber eben auch verfassungskonforme Prozedere ab. Es sei denn, Rousseff entscheidet sich doch noch für einen Rücktritt. Darauf deuten erste Debatten innerhalb der Arbeiterpartei hin. Das Debakel für Rousseff hat in den Reihen der lange sieggewohnten PT Spuren hinterlassen. Auch der Versuch des immer noch einflussreichen Ex-Präsidenten Lula da Silva, hinter den Kulissen die Wahlniederlage zu verhindern, schlug fehl. "Eine Enttäuschung" nannte Lula das Ergebnis; zu viel mehr war der Übervater der PT nicht in der Lage. Auch gegen ihn wird ermittelt.

Rücktritt für Neuwahlen?

Nicht wenige prominente Stimmen in der Arbeiterpartei raten dem Führungsduo Rousseff und Lula deshalb zu einer Kurskorrektur: Ein Rücktritt und die Forderung nach direkten Neuwahlen des Präsidenten würden die Ausgangslage verändern und der PT das Gesetz des Handelns zumindest in Teilen zurückbringen. Ob es dazu kommt, werden die nächsten Tage zeigen. Denn auch darüber würde im Parlament entschieden, die Verfassung müsste wohl geändert werden.

Gelingt eine Einigung auf Neuwahlen nicht, droht Brasilien eine politische Lähmung. Bei einer Amtsenthebung Rousseffs würde Vizepräsident Michel Temer automatisch aufrücken. Doch auch gegen den ehemaligen Koalitionspartner wird ermittelt. Ebenso gegen andere führende Köpfe der Opposition. Die wiederum könnte ebenfalls den Druck der Straße zu spüren bekommen, denn in weiten Teilen der Bevölkerung regt sich Widerstand gegen eine bloßen Machtwechsel. Stattdessen fordern die Menschen Neuwahlen und einen Neuanfang. Und den kann Brasilien nur wenige Monate vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im August dringend gebrauchen.