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Diplom in Kurmedizin

Von Christa Karas

Wissen

Anthroposophie, Homöopathie, Kneipp und Kinesiologie. | Wie Mediziner mit Esoterik zertifiziert punkten können. | Wien. Dass Österreichs Ärzte ihre Qualität über einen Fragebogen selbst evaluieren und nur durch gelegentliche Stichproben (fünf Prozent aller 17.000 Praxen) überprüft werden, dürfte wohl nicht nur Hans-Jörg Schelling befremdet haben, den neuen Vorsitzenden des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger (HVB). Dass er bei der Vertragsgestaltung mit den niedergelassenen Ärzten laut über eine zu diskutierende "Liste von Qualitäts- und Objektivierungsmaßnahmen" nachdachte, hatte die üblichen Folgen. Nach drei Tagen des Sturms im Wasserglas gaben sich schon Donnerstag Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) und HVB einträchtig und betonten den "gemeinsamen Weg".


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Bis dahin war so auffallend oft die Rede von der gegebenen "Qualität der ärztlichen Fortbildung" gewesen, dass es lohnt, diese einmal unter die Lupe zu nehmen. Das Ergebnis ist vor allem hinsichtlich der von der ÖÄK an fortbildungswillige Ärzte vergebenen Spezialdiplome bemerkenswert. Zwar beinhaltet das Programm weitgehend, was man davon erwarten kann, liest sich darüber hinaus aber wie der Katalog eines Esoteriker-Cercles.

Da werden etwa angeboten: Akupunktur, Anthroposophische Medizin, Applied Kinesiology, Begleitende Krebsbehandlungen, Chinesische Diagnostik und Arzneitherapie, Diagnostik und Therapie nach F.X.Mayr, Homöopathie sowie Kneippmedizin - und was da so in den genannten Bereichen Ernährungsmedizin, Integrative Kurmedizin und Manuelle Medizin unterrichtet wird, möchte man eigentlich schon lieber gar nicht wissen, wenn man über die kommende Jahresfortbildungstagung Umweltmedizin informiert ist.

Der Umweltreferent

Die Tagung steht nämlich unter der Leitung von Gerd Oberfeld. Oberfeld ist nach wie vor ÖÄK-Referent für Umweltmedizin, obwohl er im Vorjahr nach langem beharrlichen Insistieren seine peinliche "Studie" zurückziehen musste. Zur Erinnerung: Darin hatte er eine ungewöhnlich hohe Krebsrate im Bereich von Hausmannstätten, Steiermark, behauptet und diese kühn in Verbindung mit einem Funkmast gebracht.

Davon abgesehen, dass sämtliche wissenschaftlichen Untersuchungen bisher keinerlei Anhaltspunkte für eine derartige Gefahr fanden, hatte es an dem von Oberfeld genannten Standort nie einen solchen Funkmast gegeben. Seine "Studie" entbehrte jeglicher Grundlage und reflektierte ausschließlich seine Annahmen und Meinungen.

Ob die Jahresfortbildungstagung unter seiner Leitung ihre Teilnahmegebühr von 230 Euro wert ist, muss in Relation zu den fünf freien DFP-Punkten gesehen werden, mit denen die Veranstaltung approbiert ist. Denn Ärzte, die brav diese Fortbildungspunkte sammeln, beweisen damit jene Qualität, die von der ÖÄK gemeint ist. - Noch weiter kommt man freilich mit einem eigenen ÖÄK-"Spezialdiplom Umweltmedizin". Das kostet allerdings 1860 Euro, sechs Wochenenden mit Oberfeld an verschiedenen Orten plus die Spesen für Reisen und Übernachtungen. - Dafür erfahren die Kursteilnehmer, dass Luftverschmutzung und "Elektrosmog" fatale Folgen haben.

Da passt es auch schon ins Bild, dass diese Veranstaltungen oft in Kooperation mit der Wiener Akademie für Ganzheitsmedizin, Gamed, durchgeführt werden, die ein spezielles Kurssammelsurium an "Alternativverfahren" anbietet.

Fort von Bildung

Edmund Berndt, Pharmazeut und Mitglied der Gesellschaft für kritisches Denken, bringt die Gesamtsituation auf den Punkt: "Fortbildung erhält so einen neuen Sinn. Fort von Bildung beziehungsweise frei von Wissenschaft werden hier die Bedürfnisse des Gesundheitsmarktes mit Bildungspunkten prämiert."

In solchen Zeiten läuft die auf wissenschaftlicher Evidenz basierende Medizin (EBM) Gefahr, zunehmend erst dann zum Einsatz zu kommen, wenn die zum Teil gefährlichen und im besten Fall wirkungslosen Methoden und Mittelchen der diversen Gesundheitssekten versagt haben.

Hier wäre vom zuständigen Gremium zu erwarten, dass es Qualitätssicherung tatsächlich ernst nimmt und zumindest die Praxen einschlägig bekannter Ärzte schließt: Also jene von Impfgegnern, Verfechtern der "neuen Germanischen Medizin" und "Schamaninnen", die Schwangeren von den gebotenen Vorsorgeuntersuchungen abraten. - Bis jetzt passiert das leider nicht einmal dann, wenn Anzeigen vorliegen.